Heilen mit Haltung

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Autor: Josef Ruhaltinger

Der Wunsch nach Nachhaltigkeit steht bei den meisten Krankenanstalten in den Leitvisionen. Den guten Vorsätzen folgen aber zu wenige Taten.

Narkosegase sollen den Schmerz nehmen. Und doch schaffen sie Probleme –, denn Narkosegase sind Klimakiller. Desfluran, Isofluran und Lachgas, aber auch die umweltfreundlicheren Sevofluran und Isofluran sind verheerende CO2-Schleudern. In einer siebenstündigen Operation wird ein CO2-Äquivalent freigesetzt, das einer Autofahrt von Wien nach London entspricht. Mit dem Desfluran-Äquivalent käme man sogar 8.000 Kilometer weit. In Österreichs OPs werden Narkosegase in der Regel vom Patienten wieder ausgeatmet, abgesaugt und dann in die Luft geblasen. Die klimatechnischen Effekte sind angesichts der Mengen entsetzlich: Auch wenn nicht alle Anästhetika in Form von Gasen verabreicht werden – bei schätzungsweise 17 Millionen Betäubungen pro Jahr in deutschen Krankenhäusern und 1,1 Millionen operativen Eingriffen in Österreichs Spitälern (Statistik Austria, 2020) – viele davon in Vollnarkose – summieren sich die Emissionen durch Betäubungsgase zu einer horrenden Klimabelastung.

Desfluran wirkt 2.540-mal klimaschädlicher als CO2. Dies hat Folgen. Narkosegase sind bis zu 35 Prozent an den Emissionen eines Krankenhauses verantwortlich. So heißt es in der deutschen Studie im Rahmen des Klimaprojekts „KliK-Green“, das von 2019 bis 2022 die Potenziale zum Klimaschutz im Gesundheitswesen identifizieren sollte. Ein zentrales Ergebnis: Bei den Narkosegasen ist das Einsparungspotenzial von Kohlendioxidäquivalenten (CO2) besonders groß. Und auch „besonders einfach“, wie Wolfgang Deutz versichert. Der kaufmännische Vorstand des LKH Villach forciert in seinem Einflussbereich seit Jahren Maßnahmen zur nachhaltigen Betriebsführung. Gemeinsam mit Ernst Trampitsch, Abteilungsvorstand der Anästhesiologie und Intensivmedizin am LKH Villach, wurde dieses Jahr in den Villacher OPs damit begonnen, die Narkosegase zu recyceln – als erstes Krankenhaus in Österreich. „Hier handelt es sich um eine einfach umzusetzende, günstige und extrem sinnvolle Maßnahme“, schwärmt Deutz. Die Narkosegase, die üblicherweise fluorierte Kohlenwasserstoffe sind, werden an einen Aktivkohlefilter gebunden und nicht mehr in die Atmosphäre geblasen. Die Anästhetika werden danach aus dem Filter gewaschen und wiederverwendet. Dabei seien die Kosten für die Filter vernachlässigbar. Auch die Umstellung der OPs sei recht günstig, so Deutz. Der Finanz-Chef des LKH Villach versteht nicht, warum Gas-Recycling nicht zu den Standards in heimischen OPs gehört: „Österreich könnte allein mit dieser Maßnahme tausende Tonnen an CO2-Äquivalenten einsparen.“

Marsch durch die Institutionen.
Lars-Peter Kamolz trägt die Idee eines klimafitten Gesundheitssystems durch das Land. Der plastische Chirurg und Uni-Professor setzt dabei auf den Gang durch die Beiräte: Immer mehr Menschen mit den richtigen Überzeugungen säßen in den richtigen Gremien. Und dort würden die Weichen gestellt.

Krieg verändert Haltungen

Die Gruppe der Klima-Kämpfer in Österreichs Krankenhäusern wächst. Lars-Peter Kamolz repräsentiert das, was man ärztliches Establishment nennt. Der Grazer Uni-Professor ist viel prämierter plastischer Chirurg, Primar, Abteilungsvorstand und zum Drüberstreuen Präsident des Verbandes Leitender Krankenhausärzte Österreichs. Wenn es seine Zeit zulässt, zieht Kamolz durch die Lande und hält Keynote-Reden. Sein Kernthema: Nachhaltigkeit im Gesundheitsbereich. „Nachhaltigkeit ist eine natürliche Voraussetzung für Gesundheit.“ Das Bewusstsein in der Gesundheitsbranche habe sich gegenüber Themen wie Umwelt und Ressourcenschonung schon vor langer Zeit geöffnet. Er ist zuversichtlich: „Es finden sich immer mehr Menschen, von denen ich weiß, dass sie die Ökobilanz ihrer Entscheidungen sehr eindringlich bedenken.“ Und die säßen zunehmend in jenen Gremien, in denen die großen Entscheidungen getroffen werden. Das Umdenken spiele bei der Beschaffung von medizinischen Geräten ebenso eine Rolle wie bei der Gestaltung des Speiseplanes in der Kantine. Sogar die einst so geschätzten Kongressreisen per Flugzeug seien für viele Kolleginnen und Kollegen mittlerweile verpönt. Kamolz: „Wir sind auf dem richtigen Weg.“ Nur mit der Geschwindigkeit, da müsse man noch zulegen.

Margit Kapfer teilt den Optimismus von Lars Kamolz nur bedingt. „Wenn wir in der Vergangenheit mit großen Gesundheitseinrichtungen gesprochen haben, dann spielte das Thema Energie keine Rolle“, ätzt die Biologin und Beraterin des Consultingunternehmens Denkstatt. Sie unterstützt Betriebe und Einrichtungen in Sachen Umweltschutz und Ressourcenschonung (lesen Sie hier ihren Gastkommentar). Und sie nennt den Grund für die langsame Entwicklung: „Energie war zu billig für große Veränderungen.“ Die meisten Akteure haben „nicht einmal gewusst, wo sie die Energie verbrauchen“. Betriebe und Spitäler waren „eine Blackbox, in die Strom und Gas hineinfloss und irgendwo als Wärme rauskam“, beschreibt Kapfer eine Zeit, die nur auf den ersten Blick heil war.

Das erste Umdenken begann 2014 „durch das Energieeffizienzgesetz“, erinnert sich die Nachhaltigkeits-Expertin. Unternehmen und Spitäler begannen, fossilen Energieverbrauch als kostentreibend und – ein neuer Begriff – klimaschädigend zu verstehen. Seither werden Pläne Sonderzahl geschmiedet, um die Energieversorgung zu dekarbonisieren und Unternehmensabläufe klimaneutral zu gestalten. Das Problem: Ein Energiemanager eines Klinikverbundes nannte die landläufige Dauer einer erneuerbaren und klimaneutralen Energieversorgung fünf bis zehn Jahre. Eine lange Zeit: Die meisten Initiatoren von Fernwärmenetzen und Wärmepumpen-Heizungen in den Spitälern verfolgen die Eröffnung ihrer Schöpfungen aus der Pension.

Der Krieg und seine Vorbereitungen änderten die Rahmenbedingungen komplett. „Es ist pervers: Aber erst, seit Energie so teuer ist, werden große Veränderungen möglich.“ Als Kapfer und ihr Team bei einem Energieaudit für einen Großbetrieb ein Energieeffizienzpotenzial von 70 Prozent (!!) festgemacht hatten, genehmigte der Vorstand umgehend Millioneninvestitionen, um die Einsparungsmöglichkeiten zu mobilisieren. Geplante Umsetzungszeit – zwölf Monate. „Vor eineinhalb Jahren wäre dies ein Ding der Unmöglichkeit gewesen“, ist sich die Consulterin sicher.

Das sind die Emissionsquellen einer Klinik.
Die Energieversorgung (Wärme und Strom), der Verpflegungsbereich der Groß­küche und die Gebäudeinfrastruktur sind die wichtigsten Emissionstreiber in Spitälern.

Nachhaltigkeit war im Gesundheitssektor über lange Zeit ein nachrangiges Thema. Dabei ist die kritische Masse beträchtlich: Der Gesundheitssektor trägt mit rund sieben Prozent zum CO2-Fußabdruck in Österreich bei. Damit sind Spitäler, Pflegeeinrichtungen und Ordinationen aus Umweltsicht der viertwichtigste Konsumbereich (nach Ernährung, Mobilität und Wohnen). Dennoch existieren dazu kaum umfassende Umweltbewertungen. Der Schweizer Matthias Stucki glaubt, den Grund zu kennen: „Im Gegensatz zu den Supermärkten gibt es in der Gesundheit keinen Druck von der ‚Kundschaft‘ in Sachen Nachhaltigkeit. Für den Patienten steht die optimale medizinische Versorgung verständlicherweise im Vordergrund“, so Stucki in der Schweizerischen Ärztezeitung. Matthias Stucki leitete das aufsehenerregende Studienprojekt „Green Hospital“, das vier Jahre lang die Ökobilanz von 33 Schweizer Akutspitälern untersuchte. 2021 wurden die Ergebnisse präsentiert. Stucki und sein Team wollten wissen, welche Prozesse in einem Spital umweltrelevant sind und wie diese kosteneffizienter und umweltverträglicher gestaltet werden können.

Neben den Verbrauchsgrößen (siehe Abbildung oben) machte sich der Umweltwissenschaftler auf die Suche nach jenen Bereichen, in denen Ressourcen verschwendet werden. Dabei zeigte sich: Ressourceneffizienz ist unabhängig von der Spitalsgröße. Das kleinere Krankenhaus ist ökologisch nicht effizienter als das größere oder umgekehrt. Aber eine alte Klinik verschwendet deutlich mehr Ressourcen als eine neu errichtete. In Summe sind die Ineffizienzen der Häuser enorm: Die Schweizer Berechnungen haben gezeigt, dass die Hälfte der Kliniken ihre Emissionen um rund 50 Prozent vermindern könnten, ohne dass ihre Leistungen weniger würden. Das größte Potenzial liegt dabei – wenig überraschend – in der Wärmeversorgung. Spitäler, die ihre Energie mit Fernwärme oder erneuerbarer Energie bereitstellen, schneiden in der Ökobilanz deutlich besser ab als jene, die sich immer noch den fossilen Energieträgern anvertrauen. Aber – und hier wird die österreichische Kollegin Margit Kapfer nachdrücklich, wenn sie betont – „Ein nachhaltiges Spital schont Ressourcen in allen Bereichen – nicht nur beim Energieeinsatz.“

Betäubende Effekte: Narkosegase sind Klimakiller.
Wolfgang Deutz, kaufmännischer Direktor des LKH Villach, sorgte dafür, dass in seinem Haus Anästhetika wieder aufbereitet werden: „Das ist billig und einfach.“ Er versteht nicht, warum Österreichs OPs die Emissionen weiterhin ungefiltert in die Luft blasen.

Maßnahmen sind besser als Pläne

Für Martin Lackner ist die Einsparung und Sicherung von Strom, Wärme und Warmwasser tägliches Brot. Er ist Energiecontroller der Tirol Kliniken und täglich mit der Flüchtigkeit von Wärme und Strom konfrontiert. Er prüft und plant die Energieversorgung der Spitäler des Tiroler Klinikverbundes. „Wir haben 2015 angefangen, ein zertifiziertes Energiemanagement einzuführen. Dabei wurde klar, dass wir unsere Energieeffizienz steigern müssen.“ Tirol Kliniken entwickelte damals eine längerfristige Strategie, in der für jeden der fünf Standorte ein energetischer Versorgungspfad entworfen wurde. Ziel war die Dekarbonisierung der Wärme- und Warmwasserversorgung in allen verbundeigenen Kliniken. Der frühzeitige Start hat sich gelohnt: LKH Hall, die Landespflegeklinik Hall und das Bezirkskrankenhaus Schwaz werden bereits ohne fossile Energieträger beheizt, was sich krampflösend auf die Analyse der Energierechnung auswirkt. Energieträger ist an den drei Häusern das Grundwasser des Inn, das durch Wärmetauscher und Wärmepumpen genutzt wird. Für die verbleibenden zwei Standorte laufen bereits Machbarkeitsstudien, um sie vom fossilen Energieeinsatz unabhängig zu machen.

Umweltwissenschaftler wie Margit Kapfer und Matthias Stucki zeigen sich begeistert von der aktuellen Energiesparwelle, die durch die Länder und Branchen schwappt. Sie werden aber nicht müde darauf hinzuweisen, dass mit dem Fokus auf erneuerbare Energieversorgung nur ein Teil einer klimaneutralen Betriebsführung abgedeckt wird. Margit Kapfer: „Mit der Konzentration auf die Energieversorgung fallen weite Bereiche der nachhaltigen Unternehmensführung unter den Tisch.“ Nach dem sogenannten „GHG Protocol Corporate Standard“ stammen nur 28 Prozent der Emissionen eines Spitals aus Quellen, die direkt verantwortet und kontrolliert werden können (Scope 1). Damit sind der Verbrauch von Energie oder der CO2-Ausstoß des Fuhrparks gemeint. Der weitaus größte Anteil der Emissionen eines Krankenhauses – nämlich 60 Prozent – werden durch Treibhausgase verursacht, die durch den Transport oder die Art der Herstellung von eingekauften Gütern herbeigeführt werden. Die sogenannten Scope 3-Emissionen bemessen klimarelevante Entscheidungen, die von der Klinik angestoßen oder veranlasst, aber nicht direkt kontrolliert werden. Dabei geht es in der Regel um die Beschaffung von Gütern: Diese Kategorie ist beispielsweise auf den Einkauf von Seuchenschutzausrüstung in emissionsintensiven Werken in Vietnam gemünzt oder auf die Fleisch-Gerichte in der Mitarbeiter-Kantine. So sehr es schmerzt: Der Verzehr von Fleisch zählt als Scope 3-Aktivität zu den zentralen Emissionstreibern jeder Ökobilanz.

Was kann ein Krankenhaus unternehmen, um als nachhaltig zu gelten? Matthias Stucki und seine Studie „Green Hospital“ nennen konkrete Maßnahmen. Am Anfang stehen die großen Dinge: Ein klimafittes Spital wird aus nachhaltigen Materialien wie einheimischem Holz errichtet und ist für den Einsatz erneuerbarer Energie optimiert. LED sorgt für Licht, smarte Belüftungssysteme für Kühlung. Die Verpflegung – ein sehr wichtiger Einflussfaktor – verzichtet weitgehend auf Fleisch: Vegetarische Gerichte schonen das Klima. Wird dennoch Fleisch angeboten, ist die Regionalität der Beschaffung von großer Bedeutung. Billigfleisch aus Dänemark oder Huhn aus Polen beschreiben das Gegenteil dessen, was Nachhaltigkeit bedeutet – auch wenn Alternativen betriebswirtschaftlich teurer sind. Selbst kleine Maßnahmen helfen: Matthias Stucki hat bei seinen Studien festgestellt, dass Patienten ihr Essen besser elektronisch ordern, weil dies zu deutlich weniger Foodwaste führt. Ohne Bestellung blieben neun Prozent der Gerichte unberührt, mit Bestellung waren es lediglich zwei Prozent. Das Spital konnte entsprechend weniger Lebensmittel kaufen. Stucki: „Solche Maßnahmen vermindern Emissionen, ohne dass die Qualität der Versorgung leidet.“ 

Interview:

„Es liegt an uns“

Herr Kamolz, wie kommt es, dass ein plastischer Chirurg sich für mehr Nachhaltigkeit im österreichischen Gesundheitswesen einsetzt?
Lars-Peter Kamolz: Wir haben vor einigen Jahren eine Forschungseinheit an unserer Abteilung gegründet, die sich mit dem Thema Qualität im Gesundheitswesen auseinandersetzt. Im Laufe der letzten Jahre kam immer mehr der Aspekt „Nachhaltigkeit“ hinzu. Und Nachhaltigkeit wiederum ist eine wichtige Voraussetzung für Gesundheit. Sie ist ein fester Bestandteil der Medizin. Seitdem beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft.

Lars-Peter Kamolz, geboren am 11. 3. 1972 in Berlin, wuchs in Niederösterreich auf und studierte in Wien und in Krems. Drei Jahre lang leitete er am AKH Wien das Zentrum für Schwerbrandverletzte. Seit 2012 leitet der Universitäts-Lehrende mit Prof.-Titel die Klinische Abteilung für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie an der Med Uni Graz. Kamolz ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC) und – mit zweitem Präsidentenhut – des Verbandes Leitender Krankenhausärzte Österreichs (VLKÖ).

Foto: WWW.KEINRATH.COM

Warum ist Nachhaltigkeit im Krankenhaus­betrieb nicht stärker sichtbar?
Es hat sich doch manches verändert. Heute wird bei jedem neuen Krankenhausbau bereits in der Planungsphase das Thema „nachhaltiger Bau“ berücksichtigt. Wie weit dann alle Ideen und Möglichkeiten umgesetzt werden können, ist eine andere Sache. Aber Sie finden heute keinen Entscheidungsträger im Gesundheitssektor mehr, der das Thema Nachhaltigkeit als esoterische Eintagsfliege abtun würde.

Gibt es Umdenken der Unternehmen aus Umweltfreundlichkeit? Oder ist dies doch nur das, was man Greenwashing nennt?
Die Gründe sind sicher mannigfaltig. Es gibt eindeutig einen Druck auf die Unternehmen von der Nachfrageseite. Viele Einkäufer im Gesundheitsbereich verlangen mittlerweile Nachweise des CO2-Fußabdruckes oder anderer Nachhaltigkeits-Zertifikate. Aber es tut sich generell etwas am Markt und in der Gesellschaft. Wir müssen die Agenda der Nachhaltigkeit mit aller Vehemenz durchziehen. In einigen Bereichen sind wir schon ein gutes Stück weit gekommen, in andern Bereichen hängen wir hinter unseren Zielen. Es liegt an uns.

Wie weit ist der Gesundheitsbereich auf dieser Umsetzungsskala?
Aus meiner Sicht hat der Zug den Bahnhof verlassen und er wird sich auch nicht mehr aufhalten lassen. Unter den Anbietern im Medizintechnikbereich gibt es bereits Miet- und Pachtmodelle, die durch Wartungs- und Wiederverwertungszy­klen stark auf nachhaltige Nutzung ausgerichtet sind. Die Beschaffungskreisläufe sind heute in vielen Häusern verändert worden. Das beginnt bei medizinischen Großgeräten und reicht bis in die Wäscherei. Nachhaltigkeits-Prinzipien werden im Krankenhausbetrieb bald Standard sein.

Sie sind Primar, Sie sind Präsident des Verbandes Leitender Krankenhausärzte Österreichs, Sie sind häufig geladener Keynote Speaker. Damit will ich nicht schmeicheln, sondern einen Status beschreiben. Werden Sie und Ihre Thesen der Nachhaltigkeit von den Stakeholdern und Betreibern von Gesundheitseinrichtungen gehört?
Lassen Sie es mich so beantworten: Meine Person und Kolleginnen und Kollegen, die sehr ähnliche Auffassungen vertreten, werden bewusst in Gremien berufen, in denen Entscheidungen getroffen werden. Ein lieber Freund von mir, der sich auch mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ stark befasst, sitzt gerade wegen seiner Überzeugungen und seines Wissens im Technikbeirat eines großen Krankenhauses. Dort wird beispielsweise über die Beschaffung von Großgeräten entschieden – und entsprechend kann er sich in die Meinungsbildung aktiv einbringen. Diese Entwicklung haben Sie in vielen Ausschüssen, in denen Weichen gestellt werden.

Es ist zynisch: Aber der Krieg in der Ukraine hat mehr Energiesparbewusstsein in der Gesellschaft mobilisiert als Fridays for Future. Befeuern Krisen das Streben nach Nachhaltigkeit?
Man merkt in Krisensituationen, dass Strukturen, die jahrelang gelebt wurden, nicht mehr funktionieren. Sie weichen auf. Derartige Phasen bringen viel Unsicherheit. Aber es sind auch Zeiten, die viel Neues zulassen und in denen neue Dinge erprobt und umgesetzt werden können. Darum sind Krisenzeiten immer Katalysatoren von Veränderungen. Die Krise als Chance ist also nicht nur eine abgedroschene Metapher.

Wenn Sie in einem Krankenhaus unbegrenzte Entscheidungsgewalt bei Beschaffung, Organisation und Finanzen hätten: Was wären die ersten Maßnahmen, die Sie im Sinne der Nachhaltigkeit anpacken würden?
Mittel- und langfristig würde ich sehr stark auf das Thema „Kreislaufwirtschaft“ setzen. Der erste Schritt aber wäre es, den Mitarbeitern das Thema „Nachhaltigkeit“ nachhaltig zu kommunizieren. Wir müssen alle verstehen: Nachhaltigkeit ist deutlich mehr als nur Klimaschutz. Dabei muss auch verdeutlicht werden, dass Nachhaltigkeit bei einem selbst beginnt. Das Licht beim Verlassen des Raumes abzuschalten, die Klimaanlage im Sommer nicht bei geöffnetem Fenster laufen zu lassen; das sind einfache und leicht umsetzbare Maßnahmen, die jeder berücksichtigen kann.

Ist dies jetzt nicht zu einfach gedacht?
Diese simplen Maßnahmen beschreiben Wege, um die Dinge in den Köpfen der Menschen zu verändern. Manchmal sind sehr einfache Maßnahmen zielführend.

Die Herkunft und die Herstellung von Waren und Produkten gilt als einer der stärksten Hebel in einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Beobachten Sie Strategien in Krankenhäusern, die Beschaffung nach nachhaltigen Prinzipien zu organisieren?
Ein Beispiel: Wir haben sehr lange sehr stark aus Hygienegründen auf Einwegkleidung und Einwegabdeckungen im OP gesetzt. Heute kommen in vielen Krankenhäusern wieder Mehrweg-OP-Mäntel und und -Abdeckungen zum Einsatz. So wird beispielsweise aus linearen Lieferketten wieder eine zirkuläre. Dieses „zirkuläre“ Denken hat aber noch nicht in allen Bereichen gegriffen.

Gibt es auch Nachhaltigkeits-Maßnahmen im Berufsleben von Ärzten?
Natürlich. Viele Ärztinnen und Ärzte benützen täglich beispielsweise das Fahrrad, um in die Arbeit zu kommen. Wir hinterfragen aber auch, ob man für einen Kongress per Flugzeug anreisen muss oder ob es andere Formen der Mobilität oder der Kongressteilnahme gibt.

Da muss ich einhaken: Der beispielgebende Ärztekongress in Dubai wird hinterfragt?
Definitiv. Wir merken, dass die Kolleginnen und Kollegen deutlich weniger Kongressreisen machen als vor Covid. Es gibt derzeit ein offensichtliches Bemühen, Flüge so weit wie möglich zu vermeiden. Nachhaltigkeit ist schon in den Köpfen angekommen.

Quellen und weiterführende Lesetipps:

From bandages to buildings: Identifying the environmental hotspots of hospitals

Health professional’s willingness to advocate for strengthening global commitments to the Paris climate agreement: Findings from a multi-nation survey

Green Hospital – Ressourceneffizienz bei Schweizer Spitälern

Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML

Pilotprojekt „Beratung klimafreundliche Gesundheitseinrichtungen“

Krankenhaus trifft Klimaschutz