Austrian Health Forum 2022: Neue Lösungswege

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Autor: Scho

Rund 300 VordenkerInnen aus dem medizinischen Bereich kamen von 12.-14. Mai 2022 in Schladming zusammen, um gemeinsam an sinnvollen Innovationen für das österreichische Gesundheitssystem zu arbeiten. 63 ReferentInnen gaben wertvolle Impulse. Das Austrian Health Forum hat sich mittlerweile als führendes Netzwerktreffen im heimischen Gesundheitswesen etabliert. Hier ein Rückblick auf die Themenschwerpunkte Demenz und Pflege, Primärversorgung, onkologische Versorgung, Systeminnovation im Gesundheitswesen und digitale Gesundheitsanwendungen.

Themenschwerpunkt Demenz und Pflege

Der Schwerpunkt Pflege stand beim Austrian Health Forum im Mittelpunkt, vor allem am 12. Mai, dem Tag der Pflege, an dem auch die Pflegereform präsentiert wurde. Christian Klein, Bereichsleiter Pflege bei der Caritas Wien, hob systemische Mängel hervor, die eine gute Versorgung mit Pflegeleistungen überall in Österreich derzeit erschweren: „Wir müssen in manchen Gegenden Anfragen ablehnen, weshalb unsere Pflegeteams hier zu Gatekeepern des Systems werden, das tut mir weh. Unterschiede in föderalistischen Systemen kommen schon ziemlich zynisch an.“

Beim Themenschwerpunkt Pflege wurde heuer auch ein Fokus auf Demenz gelegt. Elisabeth Stögmann, Leiterin der Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen am AKH Wien, betonte in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Früherkennung und Frühdiagnostik, die 40% der weltweiten Demenz-Erkrankungen deutlich verzögern oder sogar verhindern könne. Wie viele Menschen mit Demenz es derzeit gebe, lasse sich schwer sagen, da es vermutlich eine Unterdiagnostizierung und damit auch eine Unterversorgung gebe. Aber man gehe von rund 147.000 Menschen in Österreich aus, die von Demenz betroffen seien. Um diese Gruppe geht es auch Raphael Schönborn, Geschäftsführer von Promenz, einer Initiative für von Demenz Betroffene: „Demenz ist eine unsichtbare Behinderung, und es ist ein unsichtbares Stigma. Wir müssen Menschenrechte für alle neu ausverhandeln, auch für Menschen mit Demenz.“

Themenschwerpunkt Primärversorgung

Einig war man sich bei den Diskussionen im Rahmen des Austrian Health Forum 2022 darüber, dass eine starke Primärversorgung ein Erfolgskriterium von Gesundheitssystemen sei. Ein gut organisierter Primärversorgungs-Sektor könne etwa 70 Prozent aller Krankheitsfälle abschließend betreuen und somit alle anderen Versorgungsebenen entlasten. In Österreich seien die systemischen Rahmenbedingungen dafür im Vergleich zu anderen europäischen Staaten allerdings schlecht ausgeprägt. Reformen und neue Versorgungsmodelle würden umgesetzt, müssten aber angesichts wachsender Bedürfnisse und neuer Herausforderungen laufend weiterentwickelt werden, so Kathryn Hoffmann, Leiterin UNIT Versorgungsforschung und Telemedizin in der Primärversorgung an der Medizinischen Universität Wien.

Martin Eichtinger, Vorsitzender NÖGUS und Landesrat in Niederösterreich, zum Thema Primärversorgung: „Durch Gesundheitszentren und Gesundheitsnetzwerke stärken wir die wohnortnahe Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, die hausärztliche Versorgung wird dadurch ergänzt. Die Menschen profitieren von längeren Öffnungszeiten und vielfältigen Leistungen direkt in ihrer Region. Auch für die Ärztinnen und Ärzte von Primärversorgungseinheiten ergibt sich ein Mehrwert. Sie können sich fachlich austauschen und gegenseitig entlasten, wodurch es zur Aufwertung der Work-Life-Balance kommt. Mehr Leistungen und Service ermöglicht das erweiterte Team, das aus verschiedenen Gesundheits- und Sozialberufen besteht.“

Präventive Aufgaben rücken in der Primärversorgung immer mehr in den Fokus, wie auch Christoph Hörhan betonte, der durch das dreitägige Programm des Austrian Health Forum geleitete. „Die Wunschliste an die Primärversorgung ist lang: Sie soll niederschwellig und wohnortnahe eine umfassende Grundversorgung bieten, Lotse und Begleiter durch das komplexer werdende Gesundheitssystem sein, integrierte Betreuung bei immer mehr chronischen Erkrankungen leisten und wichtige gesundheitsfördernde, soziale und psychologische Angebote machen. Die Liste der Kassen-Ärztinnen und -Ärzte hingegen wird immer kürzer. Dabei gibt es in Österreich genügend Ärztinnen und Ärzte und Menschen, die mit Begeisterung im Gesundheitswesen arbeiten. Sie brauchen aber die richtigen Rahmenbedingungen – von der Ausbildung, über die Rahmenbedingungen ihrer täglichen Arbeit bis zur Honorierung. Das müssen wir in Österreich berücksichtigen und die Strukturen schaffen, in denen die vielen Menschen in der Primärversorgung ihre wichtigen Aufgaben erfüllen können.“

Themenschwerpunkt onkologische Versorgungsstrukturen

Beim Austrian Health Forum 2022 wurde auch intensiv zum Thema onkologische Versorgungsstrukturen diskutiert. Im Zentrum standen Versorgungsmodelle, die einerseits qualitativ hochwertige Diagnose- und Behandlungsverfahren gewährleisten und andererseits auf die erkrankungsspezifischen und individuellen Bedürfnisse der PatientInnen zugeschnitten sind.

Im Workshop „Onkologische Versorgung nahe am Patienten“ sprach unter anderem Ansgar Weltermann, Leiter des Tumorzentrums Oberösterreich und des Zentrums für Tumorerkrankungen am Ordensklinikum Linz. Er präsentierte Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Entwicklung der digitalen Kommunikationsplattform onkip, die 2023 in den klinischen Routinebetrieb gehen wird. „Neben der Bereitstellung von entitätsspezifischen Informationen ermöglicht die Plattform die Erhebung von Patient Reported Outcomes. Wir beziehen dabei auch die Angehörigen ein, denn manch ältere Krebspatientinnen und -patienten werden eine Unterstützung benötigen.“ Aktuell wird mit den JuristInnen der Spitalsträger ein Konzept erarbeitet, um eine rechtskonforme Grundlage für den Routinebetrieb sicherzustellen. Thema ist etwa die Frage, wie die vom Patienten eingegebenen Daten Teil der Krankengeschichte werden können.

Andreas Krauter, leitender Arzt und Fachbereichsleiter des Medizinischen Dienstes der Österreichischen Gesundheitskasse, betonte aber auch, dass die vorhandenen Ressourcen im Gesundheitssystem bestmöglich genutzt werden müssen: „Wir sprechen im Bereich der Onkologie von Therapien, die 100.000 Euro und mehr kosten. Daher besteht auch die Pflicht, sich konkret anzusehen, was dabei herauskommt.“

Themenschwerpunkt Systeminnovation im Gesundheitswesen

Da zahlreiche der diskutierten Lösungsansätze auch systemische Aspekte haben, widmete man den Samstag dem Thema der Systeminnovation. Der Startup-Experte Daniel Cronin betonte, dass man sowohl inkrementelle und langfristige, als auch radikale, schnelle Innovation brauche: „Für radikale Innovation muss man verstehen, dass das, was man machen möchte, richtig schwer sein wird. Das heißt aber auch Verantwortung übernehmen für die nächste Generation. Nur so können wir sinnvolle Dinge entwickeln und verstehen, für wen wir das machen“, so Cronin. Volker Amelung, Professor für Internationale Gesundheitssystemforschung an der Medizinischen Hochschule Hannover, betonte die Bedeutung der Patienten: „Die zentrale Frage ist: Wie baue ich ein Gesundheitssystem um die Menschen herum? In Deutschland und Österreich bauen wir die Systeme um die Krankenhäuser herum.“ Er stellte außerdem den deutschen Innovationsfonds vor, ein Mechanismus, der erfolgreichen Projekten im Bereich der integrierten Versorgung und der Versorgungsforschung einen strukturierten Weg in die Regelversorgung bietet.

Die Ideen der beiden Innovationsexperten wurden von Arno Melitopulos, Leiter des Bereichs Gesundheitssystem & Qualität in der Österreichischen Gesundheitskasse, aufgegriffen: „Was wir brauchen, um die richtigen guten Ideen rascher umzusetzen ist ein „Innovations-Sixpack“. Das beinhaltet einen Innovationsfonds, aber auch das Definieren gemeinsamer Ziele und ein offenes Mindset, entsprechende Governance und Prozesse, die Einbindung von Innovatoren sowie einen klaren Fokus auf Nutzen und Qualität.“

Themenschwerpunkt Digitalisierung und digitale Gesundheitsanwendungen

Ein weiterer wichtiger Themenschwerpunkt beim Austrian Health Forum 2022 waren die Digitalisierung im Gesundheitssystem sowie digitale Gesundheitsanwendungen. „Österreich hat eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt, aber bei Weitem nicht eines der effizientesten. Was wir brauchen ist, den Nutzen von Innovationen und Digitalisierung rasch zu den Patientinnen und Patienten zu bringen.“ skizziert Christoph Hörhan, Mitbegründer und Programmdirektor des Austrian Health Forum, das Grundproblem.

Bernd Leinich, Geschäftsführer des Gesundheitsfonds Steiermark, zeigte sich im Rahmen des Austrian Health Forum stolz auf die Vorreiterrolle seines Bundeslandes: „Die Digitalisierung im Gesundheitswesen kann die Effizienz, Effektivität und Qualität der Versorgung substantiell erhöhen. Die Steiermark treibt mit Pilotprojekten dabei innovative Entwicklungen voran, die für Österreich Vorbild sein können und die in die ELGA Weiterentwicklung eingebunden werden.“

Dass Innovationen und Digitalisierung den Menschen zu Gute kommen müssen, strich Rainer Thomas, Generaldirektor-Stellvertreter der Österreichischen Gesundheitskasse, hervor: „Unser Anspruch ist, digitale Innovationen, die einen echten Mehrwert bieten, nachhaltig im System zu verankern. Wenn unsere Versicherten jederzeit und überall die Services angeboten bekommen, die sie sich von einem modernen Gesundheitsdienstleister erwarten, dann haben wir alles richtig gemacht.“

Maria Kletečka-Pulker, Direktorin des Ludwig Boltzmann Instituts Digital Health and Patient Safety sowie Kuratoriumssprecherin des Austrian Health Forum, strich hervor, dass man durch die Forschung schon sehr genau wisse, wo Digitalisierung in bestimmten Bereichen des Gesundheitssystems hilfreich sei: „Jetzt ist es wichtig, das umzusetzen, was möglich ist, um einen raschen, günstigen und maßgeschneiderten Zugang zu erleichtern“.

Und in puncto digitaler Gesundheitsanwendungen (DIGAs) erklärte Dorothee Stamm, Geschäftsführerin der Medtronic Deutschland GmbH und stellvertretende Vorstandvorsitzende des Bundesverbandes Medizintechnologie: „„Derzeit gibt es in Deutschland 33 zugelassene digitale Gesundheitsanwendungen und rund 50.000 Verschreibungen. Etwa die Hälfte der DiGA entfällt auf psychische Erkrankungen, darüber hinaus gibt es beispielsweise auch DiGA für Patientinnen und Patienten mit Adipositas oder Diabetes. Bei der Einführung des innovativen Erstattungskonzeptes lief naturgemäß nicht alles reibungslos. Natürlich wurden bei digitalen Gesundheitsanwendungen in Deutschland auch Fehler gemacht. Ärzte wussten zu wenig über DiGA und haben sie sehr wenig verschrieben. Hersteller wurden nicht ausreichend eingebunden, weshalb viele Unternehmen die regulatorischen Anforderungen unterschätzt haben.“

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