Gesundheitsnotstand: Österreichweit 2.775 Spitalsbetten gesperrt

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Autor: Scho

Österreichweit sind aktuell 2.775 Spitalsbetten (Stand Mai 2023) gesperrt. Diese Zahlen präsentierten die GÖD-Gesundheitsgewerkschaft und younion bei einer Pressekonferenz in Wien. Vorsitzender Reinhard Waldhör sprach von einem „Notstand“. Er forderte einen Spitalsgipfel von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne). Das Ministerium stellte gegenüber der APA jedoch noch am Vormittag klar, dass es einen solchen Krisengipfel nicht geben werde.

Erstmals in Österreich wurden von der Gewerkschaft bundesweite Zahlen zum Pflege- und Ärztemangel erhoben. „Die hohe Arbeitsbelastung und der Mangel an medizinisch pflegerischem Personal hat dazu geführt, dass aktuell weit mehr Betten gesperrt sind, als es im AKH mit 1.732 gibt“, sagte Waldhör. Die Zahlen beziehen sich laut GÖD auf alle länder- und gemeindegeführten Spitäler in Österreich (33.000 Betten). Österreichweit sind damit 8,41 Prozent der Betten gesperrt. Zahlen zu Sperren für die insgesamt laut Statistik Austria 61.927 Betten in 264 Krankenhäusern (Stand Ende 2021) liegen nicht vor.

Doch auch die nun präsentierten Zahlen zeigten laut GÖD deutlich, wie hoch die Arbeitsbelastung im Gesundheitssektor mittlerweile sei und verdeutlichten den Engpass an Personal, so Waldhör. Zahlen zur jeweiligen Situation in den Bundesländern wurden jedoch nicht präsentiert. Man habe bewusst keine Bundesländervergleiche anstellen wollen, „um keine Wettrennen zu befeuern“, wie es hieß.

700 offene Stellen plus bevorstehende Pensionierungswelle

Verschärft werde die Situation durch knapp 700 offene Stellen bei den Medizinerinnen und Medizinern, hieß es. „Dabei stehen wir erst am Anfang, die Pensionierungswelle der Babyboomer steht gerade erst an“, so Waldhör. Man fühle sich vom Bund und den Ländern nicht gehört. Wir brauchen österreichweit ein koordiniertes Vorgehen, die politischen Spielchen müssen aufhören“, hieß es.

„Es ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für den Gipfel, denn zur Zeit laufen die Verhandlungen zum Finanzausgleich“, ergänzte Edgar Martin, younion-Vorsitzender der Hauptgruppe II. „Der Herr Minister und die Landeshauptfrauen- und männer müssen dabei auch Farbe bekennen: Wollen sie ein funktionierendes Gesundheitswesen, oder so Zustände wie in Großbritannien?“, hieß es bei dem Medientermin.

Martin wies auf 2.200 fehlende Pflegekräfte in Österreich hin. Beim Verwaltungspersonal seien 200 Stellen frei. Die Rede war von einem Notstand. „Wir werden die Leistungsdichte, die wir jetzt erbringen, nicht mehr in Zukunft erbringen können“, ergänzte Waldhör.

Es sei unerlässlich, Bund und Ländern die Situation im Gesundheitswesen vor Augen zu führen. „Patientinnen und Patienten müssen auf Behandlungen und Operationen warten, was unweigerlich nicht nur zu verlängertem Leid führt, sondern auch zu höheren Kosten. Für das gesamte Personal bedeutet dies eine noch höhere Arbeitsbelastung und noch weniger Zeit für die individuelle Betreuung der PatientInnen“, kritisierte Katarzyna Resch, ebenfalls younion.

Patientenversorgung nicht mehr sichergestellt

Auch Gerlinde Buchinger (GÖD-Gesundheitsgewerkschaft – Ausbildung) mahnte am Podium, dass die Patientenversorgung auf dem bisher gewohnt hohen Niveau nicht mehr sichergestellt werden könne. „Das Personal ist durch den täglichen Arbeitsdruck so schwer belastet, dass auch die Aufgaben der praktischen Ausbildung vor Ort nicht adäquat durchführbar sind. Es braucht daher die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Verringerung des Arbeitsdrucks zeitgleich mit der Vermehrung der Ausbildung“, so Buchinger.

Buchinger verwies auf Mängel bei Praktikumsplätzen im Bereich Pflegeausbildung und eine Aufstockung der Praxisanleiter. Derzeit sieht ein Praktikant den Anleiter nur am Beginn und am Ende seiner Ausbildung. Derzeit gebe bei der Ausbildung im Pflegebereich eine kumulierte Drop-out-Rate von 25 Prozent.

Am Freitag fand zudem eine Protestaktion der Gewerkschaft vor dem Gesundheitsministerium statt. Das Ministerium erteilte der Forderung nach einem eigenen Spitalsgipfel jedoch noch am Freitagvormittag eine Absage. Die Lage sei selbstverständlich bekannt. „Gerade deswegen sind Reformen aktuell auch Gegenstand von Verhandlungen im Rahmen des Finanzausgleich. Daher braucht es aus Sicht des Gesundheitsministeriums keinen Spitalsgipfel“, hieß es auf APA-Anfrage. Man befinde sich ohnehin in laufendem Austausch mit den Ländern.

Ruhezeit soll reduziert werden

Die Situation in den Spitälern wurde auch bei der Klausur der Betriebsräte der drei Medizinischen Universitäten (WIGMU 23) diskutiert. Die Facharztgehälter an den Universitätskliniken liegen laut den Vorsitzenden der drei Betriebsräte im österreichweiten Vergleich mit Abstand an letzter Stelle. Ein signifikanter Anteil der benötigen Mehrkosten zur Finanzierung einer gerechten Entlohnung der Universitätsärzte müsse auch über den Finanzausgleich aufgebracht werden, hieß es dazu in einer Aussendung.

Zukünftig soll die wöchentliche Ruhezeit für Spitalsbedienstete von derzeit 36 Stunden auf 24 Stunden reduziert werden. Eine entsprechende gesetzliche Änderung soll kommende Woche bei der Landesgesundheitsreferentenkonferenz im Burgenland mit einem Konsens auf Länderebene initiiert werden. Die Ärztekammer übte am Freitag Kritik. „Die Bundesländer und ihre Spitalsträger wollen mit diesem billigen und leicht durchschaubaren Trick erreichen, dass jene Lücken in der Gesundheitsversorgung, für die die Politik selbst hauptverantwortlich ist, von jenen geschlossen werden, die ohnehin seit Jahren am Limit sind“, wurde Harald Mayer, Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte und Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, in einer Medienmitteilung zitiert. „Wird die Reduzierung der Ruhezeiten durchgepeitscht, wird das zur Folge haben, dass noch mehr Ärzte aus Österreich vertrieben werden – dann brauchen wir uns über den Ärztemangel nicht wundern“, hieß es aus der Kammer.

(APA/red.)

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