Vergleichbar mit der Welt des Spitzensports verfügen ChirurgInnen im Idealfall nicht nur über Talent und Geschick, sondern auch über Disziplin und Durchhaltevermögen, über mentale und körperliche Fitness, über den Mut, rasch Entscheidungen treffen zu können und gleichzeitig über die Fähigkeit, ein selbstkritischer Teamplayer zu sein:
Die Parallelen zwischen den Anforderungen an die AkteurInnen des Hochleistungssports und jene der modernen Spitzenmedizin haben Prim. Prof. Dr. Ingmar Königsrainer, OA DDr. Peter Tschann und OÄ Dr. Stephanie Rauch dazu bewogen, auch Doppel-Olympiasieger Johannes Strolz als Gastreferent zur diesjährigen Fortbildungsveranstaltung ihrer Abteilung für „Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie“ am LKH Feldkirch einzuladen. In Kurzvorträgen vergangenes Wochenende im Peterhof in Furx wurden daher unter anderem die Themen „Sport am Limit“ und „Chirurgie am Limit“ anschaulich verknüpft.
Gehirnjogging
Das Team der Chirurgie am LKH Feldkirch ist seit jeher darum bemüht, moderne Medizin am jeweils aktuellsten Stand zu praktizieren: „Und um das zu gewährleisten, muss man sich selbst ständig weiterbilden und updaten“, betont Prim. Dr. Königsrainer gleich zu Beginn. Ein solches „Update“, das das Arbeitsfeld komplett umgekrempelt hat, ist die Entwicklung hin zu minimalinvasiven Techniken. Der Einsatz von Robotertechnik ist heute nicht mehr wegzudenken, sie spielt am LKH Feldkirch unter anderem bei Darm-Resektionen eine große Rolle. „Die Herausforderungen für die ChirurgInnen liegen darin, dass man Organe und Gewebe nicht mehr direkt in den Händen hat“, erklärt Primar Königsrainer. „Man kann beim Operieren also nicht mehr fühlen, sondern orientiert sich mehr mit den Augen und anhand der eigenen Erfahrung. Deshalb wird es auch immer die konventionelle Chirurgie brauchen, auch um ein Gefühl für das Gewebe, für dessen Stärke und Beschaffenheit zu entwickeln. Ansonsten würde man etwa nicht wissen, wie fest man mit dem Greifroboter ein Gefäß angreifen darf.“
Daher ist der Primar überzeugt, dass es verkehrt wäre, sämtlich Eingriffe minimalinvasiv durchzuführen und gleichzeitig auch falsch, sich davor zu verschließen: „Man muss das gewählte Verfahren individuell an die Patient:innen anpassen, darf hier durchaus an die Grenzen des Machbaren gehen, aber immer kalkuliert! Sport heißt Kämpfen, Durchhalten und Mut-Haben. Aber das heißt für mich auch: kalkuliertes Risiko, kalkuliert am Limit. Auch dabei kann man die Grenzen neu setzen. Übertreiben bringt nichts. Genauso ist es in der Chirurgie.“ Gerade sehr komplexe Operationen, etwa die Rekonstruktion von Gefäßen oder große Leber- und Pankreasresektionen, werden oft nach wie vor noch ohne Roboter direkt am Körper gemacht, „ganz einfach weil der Computer die menschlichen Fähigkeiten nicht überall ersetzen kann. Chirurgie am Limit bedeutet hier, die Entscheidung zu treffen, wann ich wo welche Methode am sinnvollsten einsetze.“
Der Vorteil eines Schwerpunktkrankhauses ist es, dass das gesamte Spektrum der Viszeralchirurgie angeboten wird und je nach Situation zur Anwendung kommen kann: also von offen über minimalinvasiv bis hin zur Roboterchirurgie. „Dadurch bietet Feldkirch auch dem chirurgischen Nachwuchs ein breites Ausbildungsfeld“, erklärt Prim. Dr. Königsrainer.
Schnelle Reaktion auf Unvorhergesehenes
Die MitarbeiterInnen der Chirurgie kümmern sich aber nicht nur um den eigentlichen Eingriff, sondern berücksichtigen immer auch das „Rundherum“ und vor allem die postoperative Entwicklung ihrer Patient:innen mit: „Wir müssen die Menschen auch sicher durch die Zeit nach dem Eingriff begleiten, auch und gerade im Fall von Komplikationen. Da stehen Entscheidungen an, die auch nach der Operation über Krankheit und Gesundheit, über Leben und Tod entscheiden können.“
Viszeralchirurgie ist nur dann sicher, wenn man auch unvorhergesehene Probleme beherrschen und schnell darauf reagieren kann. Das Wesentliche sei es, die PatientInnen durch die jeweiligen Phasen intelligent zu begleiten und sie sicher wieder nach Hause zu bringen, fasst der Chirurg zusammen: „Auch nach dem eigentlichen Eingriff kann man noch viel bewirken, um den Genesungsprozess positiv zu beeinflussen!“
Mannschaftsübergreifende Teamplayer
„Chirurgie am Limit“ im Jahr 2022 bedeutet auch, dass das Fach an sich komplexer geworden und daher zumeist im Zusammenspiel mit Therapien und Leistungen anderer Fächer zu sehen ist. „Bei der Tumortherapie beispielsweise kann es eine Mischung aus Chemotherapie und Operation sein“, führt Prim. Dr. Ingmar Königsrainer nur ein Beispiel von vielen interdisziplinären Heilverfahren an. Die Chirurgie sei schon längst nicht mehr „alleine“ und werde immer mehr eingebettet in interdisziplinäre Konzepte. „Deshalb sind die Absprachen mit den Teams anderer Disziplinen auch so wesentlich, um das Optimale für die Patient:innen zu erreichen. Wichtig ist, sich auf die Patient:innen einzulassen und Verantwortung für sie zu übernehmen. Sich um sie zu kümmern. Und das funktioniert nur im interdisziplinären und berufsübergreifenden Team, das sich gegenseitig unterstützt.“
Der Austausch bindet immer auch den niedergelassen Bereich und die jeweiligen Fachabteilungen der anderen Häuser im Spitalsverbund mit ein: „Die Hausärzt:innen kennen im Idealfall ihre PatientInnen gut und können eine wertvolle Grundlage liefern“, erklärt Dr. Königsrainer, zu dessen Primariat nicht nur die Chirurgie in Feldkirch, sondern auch jene in Bludenz gehört: „Das erlaubt es uns, die Schwerpunkte gut zu verteilen. Es ist sinnvoll, die Chirurgie im gesamten Land als Einheit mit mehreren Standorten zu sehen.“ Die PatientInnen werden idealerweise in jenem Haus operiert, in dem auch die Spezialist:Innen für den jeweiligen Eingriff arbeiten. Hohe Fallzahlen bedeuten immer auch eine höhere Expertise.
Selbstreflexion macht stark
Digitale Zeitmessung, Videonachweise, offene Reglements. Wie im Spitzensport, ist auch das Arbeitsfeld der Chirurgie im Laufe der vergangenen Jahrzehnte transparenter geworden. Speziell durch die Robotik ist es möglich, im Nachhinein ganz genau nachzuvollziehen, welche Schritte die ChirurgInnen während einer Operation wann und wie gesetzt haben. Primar Königsrainer ist sich sicher: „Die Bescheidenheit, sich auch zu hinterfragen, sollte eine ChirurgIn ohnehin mitbringen. Genauso wie psychische Stabilität. Mit Grenzen des Machbaren und Enttäuschungen umzugehen, gehört genauso dazu wie die Stärke, nach Todesfällen und tragischen Schicksalsschlägen weiterzumachen. Die Kunst in dem Beruf ist es, mit Niederlagen umgehen zu lernen – genauso wie mit Erfolgen! Das ist beim Sport nicht anders.“
Um ein gewisses Maß an Bescheidenheit zu bewahren und den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren, sucht der Primar besonders nach Ausnahmesituationen das Gespräch mit engen Vertrauten, mit der Familie und anderen Fachleuten: „Allein das offene Reden darüber und die Selbstreflexion stärken und motivieren mich. Wichtig ist für mich, dass ich immer nach bestem Wissen und Gewissen handle. Prinzipiell arbeiten wir auch im Team die Arbeitstage auf.“
Demut vor dem Leben, Demut vor dem Menschen
Als Chirurg geht Prim. Prof. Dr. Ingmar Königsrainer tagtäglich bewusst und aktiv in diese Herausforderung hinein. „Es ist auch sehr befriedigend, wenn man merkt, dass man diesen Druck aushält, gut in Stresssituationen reagieren und aus herausfordernden Momenten etwas Gutes bewirken kann. „Ich durfte als Chirurg bislang viele Erfolge erleben und das gibt mir das Gefühl, etwas zum Wohle der Gesellschaft beizutragen – und das pusht und trägt einen auch durch herausfordernde Zeiten.“
Tragend wirkt auf den Chirurgen auch eine gewisse Demut vor dem Leben: „Die bringt auch Gelassenheit und Toleranz im persönlichen Alltagsleben. Manchmal wundere ich mich, über welche Banalitäten – verglichen mit Schicksalen, die wir im Spital erleben – sich die Menschen aufregen können“, schmunzelt er und wird gleich wieder ernst: „Manchmal würde ich ihnen gerne sagen, wie dankbar sie stattdessen sein könnten, dass sie gesund sind!“
„Die Demut vor dem Leben trägt jeder Mensch mehr oder weniger in sich. Genauso wie den Willen zu helfen“, davon ist der Primar überzeugt. „Wenn ein Patient vor mir sitzt, sehe ich zu 100 Prozent den Menschen, mit dem man mitfühlt. Die Gratwanderung, Mensch zu sein und gleichzeitig diesen oft fordernden Job zu erfüllen, lernt man mit der Zeit. Man wächst in diesen Beruf hinein, mit Begleitung. Bei der Operation selbst rückt der Mensch als Person in den Hintergrund und das, was man machen muss, wird wichtig. In diesem Moment darf ich mich nicht ablenken lassen. Wie ein Spitzensportler in der Wettkampfsituation muss ich konzentriert sein. Mentale Kraft kommt zum Einsatz. Ich kann in dieser Sekunde als Letztverantwortlicher nicht weglaufen. Das ist vielleicht der Unterschied zum Sport. In diesem Moment muss ich kämpfen. Für diesen Patienten. Aufgeben ist keine Option.“