Führung als Profession: Ziele

Lesedauer beträgt 2 Minuten
Autor: Heinz K. Stahl

Heinz K. Stahl verfasste im Rahmen der Schriftenreihe zum Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongress 33 exklusive Essays zum Thema „Führung als Profession“. Seinen ersten Essay widmete er den Zielen.

Ein Ziel ist ein positiv besetztes inneres Bild, das – anders als etwa die Erinnerung − auf ein zukünftiges Ergebnis gerichtet ist. Dieses Ergebnis wird durch bewusstes Handeln angestrebt, was mit persönlicher Anstrengung verbunden ist. Denn ein Ziel muss immer wieder aktiviert werden, und das kostet Energie. Wer sich hingegen in seinem Handeln auf den energiesparenden „Autopiloten“ verlässt, verzichtet auf Ziele. Stattdessen lösen bestimmte Signale oder unbewusste Motive ein erlerntes Verhalten aus.

Der Wert von Zielen liegt in ihrer Bindungskraft. Sobald wir uns etwas fest vorgenommen haben, sind unsere Sinne darauf ausgerichtet. Wir sehen, hören und fühlen Dinge, die mit unserem Ziel zu tun haben und die wir vorher gar nicht wahrgenommen haben. Die Bindung an ein Ziel ist umso stärker, je attraktiver wir den Zustand der Zielerreichung einschätzen und je freier wir uns fühlen, das Ziel selbst festlegen zu können. Die in den 1950er Jahren von dem Management-Vordenker Peter Drucker vorgeschlagene Methode, Ziele zwischen Führungskraft und Mitarbeiter zu vereinbaren, kommt diesem Punkt zwar entgegen. Zweckmäßiger wäre es jedoch, die Ziele mit den jeweiligen Teams gemeinsam zu erarbeiten, weil so auch das Wir-Bewusstsein seine Hebelwirkung entfalten kann.

Das Thema Bindungswirkung ist damit noch nicht erschöpft. Es lohnt sich, noch weitere Merkmale von Zielen unter die Lupe zu nehmen. Das erste Merkmal lautet, ein Ziel muss konkret (lat. concretus = gegenständlich) sein. Diese Bedingung ist am besten zu erfüllen, wenn das Ziel (a) positiv formuliert ist, (b) einen Zustand beschreibt, der anschaulich ist, und (c) mit einem Zeitpunkt versehen ist. Vorsätze als Verneinungen, z.B. „Ich will mich in Zukunft nicht mehr so verzetteln“, entfalten keine Bindungskraft, weil die Gedanken ständig um das Negative kreisen. Ein Zielzustand ist anschaulich, wenn er sinnlich erfassbar und im Idealfall gemessen werden kann. Arbeitszufriedenheit ist z.B. viel zu abstrakt, sie muss erst in beobachtbare Teile wie Fehlzeiten oder Abwanderungsraten zerteilt werden. Auf den Zeitbezug wird bei der Zielbildung oft vergessen. Die Anzahl weiblicher Führungskräfte um 20 Prozent zu erhöhen, ist eine wohlgemeinte Absicht, aber kein Ziel. Eine Absicht entfaltet keine Bindung, weil sie einfach in die Zukunft verschoben werden kann.

Ein Ziel muss, zweitens, ambitioniert (lat. ambitio = mit Ehrgeiz nach etwas streben) sein. Es darf weder als über- noch als unterfordernd empfunden werden. Beide Merkmale verursachen Stress: Die Überforderung durch das Auseinanderklaffen zwischen den Anforderungen und den eigenen Ressourcen, die Unterforderung durch ständigen Zweifel an den eigene Fähigkeiten. Zwischen ambitioniert und utopisch liegen jene Ziele, die wir als „Stretch Goals“ kennen. Diese Bezeichnung wird Jack Welch zugeschrieben, dem ehemaligen Gefahr ausstrahlenden („Neutronen-Jack“) CEO von General Electric. Seine Ziele waren oft so hochgespannt, dass sich niemand vorstellen konnte, wie sie zu erreichen wären. Solche „außerirdischen“ Ziele sind zwiespältig. Sie können zwar eine träge gewordene Truppe elektrisieren, zugleich aber Menschen in die Resignation treiben.

Ein Ziel muss, drittens, prominent (lat. prominere = herausragen) sein. Nur wenn es über die Alltagsroutine hinausragt, kann es seine Bindungskraft entfalten. In der Praxis wird dagegen oft in dreifacher Hinsicht verstoßen: Organisationen werden mit zu vielen Zielen ohne logischen Zusammenhang überfrachtet; Ziele werden als selbstredend eingeschätzt, die sich ohnedies aus dem betrieblichen Alltag ergeben („Darüber haben wir ja schon oft gesprochen…“); und Ziele werden quasi im Vorübergehen erteilt („Und übrigens, für das zweite Quartal erwarte ich…“). Ziele brauchen eine Inszenierung. Sie erinnert die Mitarbeiter an den psychologischen Vertrag, den sie mit dem Unternehmen stillschweigend eingegangen sind.

Dass Ziele, viertens, auch unterstützt werden sollen, erschließt sich aus den Bedingungen unserer Zeit. Wenn sich morgen die Welt schon wieder ganz anders darstellt, muss dem Mitarbeiter Hilfestellung auf dem Weg zur Zielerreichung angeboten, allerdings weder aufgedrängt noch verweigert werden. Große Ziele sollten in Etappenziele aufgeteilt werden, um die Chancen des frühzeitigen Feedbacks und der Unterstützung zu wahren. Eine Zielbegleitung, bei der mit dem Mitarbeiter Zwischenergebnisse, geänderte Umstände und notwendige Unterstützung erörtert werden, führt zu einer höheren und robusteren Leistungsbereitschaft.

Prolog zum Thema „Führung als Profession“ von Heinz K. Stahl

„Wer führen will, muss in erster Linie fachlich kompetent sein.“ Dieses Credo unseres Kulturkreises hat seinen Ursprung in den Handwerkszünften des Mittelalters. Wer es vom Lehrling über den Gesellen zum Meister gebracht hatte, genoss gesellschaftliches Ansehen. Hohes fachliches Können war eine wichtige Voraussetzung, um in den späteren Manufakturen die Führung im Sinne des „Vorangehens“ und „Bestimmens“ zu übernehmen. Diesem Vorrang konnte auch die Erfindung der Bürokratie und des Managements zu Beginn des 20. Jahrhunderts wenig anhaben.

Heute stehen wir vor der Situation, dass „Führung“ immer noch ein eine Art Nachgedanke ist. Der beste Verkäufer wird Verkaufsleiter, der geübteste Techniker Betriebsleiter, der kenntnisreichste Zahlenjongleur Leiter des Controllings. Parallelen im Gesundheitswesen müssen nicht eigens erwähnt werden. Was sie für Führung brauchen, werden sich die Auserwählten schon irgendwie zulegen. Konfrontiert mit den Umbrüchen in der heutigen Arbeitswelt, etwa die ungebremste Pluralisierung der Wertvorstellungen und Motive, sollen sich Führungskräfte plötzlich mit dem Menschen als Subjekt und nicht als Objekt auseinandersetzen. Psychologie, Soziologie und Philosophie drängen sich auf. Überforderung macht sich breit.

Gibt es eine Leitidee, um Führung unter diesen Umständen eine Kontur zu verleihen? Ja, sie lautet „Führung als Profession“. Profession ist der Gegenpol zum Nebenbei, ist mehr als der „Job“, ist ein Bekenntnis zu Könnerschaft und Verantwortung. Dieses Buches möchte die geschätzte Leserschaft dazu anregen, diese Idee in ihrem eigenen beruflichen Kontext zu unterstützen.

Führung als Profession von H.K. Stahl, Schriftenreihe zum Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongress, Band 1, Springer Verlag-GmbH, Wien, 2022

Der Essay zum Thema Ziele erschien in Kapitel 1 „Grundlegendes“.

Heinz K. Stahl, ao. Univ.-Prof., Dr. rer. soc. oec.,
Chemieingenieur; 24 Jahre Managementpositionen im Unilever-Konzern in Österreich, Großbritannien, Australien, den Niederlanden und Deutschland. 26 Jahre als Verhaltenswissenschaftler in Lehre und Forschung; Research Associate, Interdisziplinäres Institut für Verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management, Wirtschaftsuniversität Wien; Wissenschaftlicher Leiter Executive-Education-Programme, Management Center Innsbruck; Wissenschaftlicher Partner, Lehrstuhl Wirtschafts- und Betriebswissenschaften, Montanuniversität Leoben; Forschungspartner Department Gesundheit, Fachhochschule Burgenland; zahlreiche Publikationen, Autor und Herausgeber, u. a. der Reihe „Fokus Management und Führung“, ESV Verlag Berlin. Forschungspartner des Zentrums für systemische Forschung und Beratung, Heidelberg.
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