Der Nobelpreis für Medizin geht dieses Jahr an drei Forschende auf dem Gebiet der Immuntoleranz. Die Preisträgerin und zwei Preisträger sind Mary E. Brunkow und Fred Ramsdell (64) aus den USA sowie Shimon Sakaguchi aus Japan. Sie hätten gezeigt, „wie das Immunsystem in der Balance gehalten wird“, heißt es in der Begründung des Nobelkomitees in Stockholm am Montag zum Auftakt der Nobelpreiswoche. Die Auszeichnung ist mit elf Mio. Schwedischen Kronen (eine Mio. Euro) dotiert.
Die Arbeiten der Preisträgerin und der beiden Preisträger hätten maßgeblich dazu beigetragen, herauszufinden, wie das Immunsystem so eingestellt wird, dass es Krankheitserreger möglichst punktgenau erkennt und angreift, ohne dabei zum Überschießen zu neigen. Ist letzteres der Fall, wendet sich das Immunsystem sozusagen gegen den Körper – eine Autoimmunerkrankung entsteht.
Als einzigen der drei Ausgezeichneten habe der Sekretär der Nobelversammlung des Karolinska-Instituts, Thomas Perlmann, Sakaguchi in seinem Labor erreicht. Dieser sei „unglaublich dankbar“ und „von der Neuigkeit recht mitgenommen gewesen“. Die beiden US-Forschenden habe er gebeten, ihn doch bei Gelegenheit zurückzurufen, sagte Perlmann.

Damit die körpereigene Abwehr nicht die eigenen Organe angreift, braucht es die „periphere Immuntoleranz“. Den Ausgangspunkt zu ihrem Verständnis bildete Sakaguchis Arbeit, erklärte Marie Wahren-Herlenius vom Nobel-Komitee. Der 74-Jährige hatte beobachtet, dass das Herausnehmen der Thymusdrüse im Rahmen von Untersuchungen an Mäusen dazu führte, dass diese ein überaktives Immunsystem entwickelten. Umgekehrt half es, diese Reaktionen abzufedern, wenn den Tieren bestimmte Immunzellen – später als „regulatorische T-Zellen“ bezeichnet – injiziert wurden. An deren Wichtigkeit habe es in Fachkreisen in den später 1990er-Jahren zunächst noch „viel Zweifel“ gegeben, so Wahren-Herlenius.
Damals waren einige Forschende davon überzeugt, dass sich Immuntoleranz nur entwickelt, wenn potenziell schädliche – quasi zu scharf eingestellte – Immunzellen im Thymus durch einen zentrale Toleranz genannten Prozess eliminiert werden. Sakaguchi offenbarte, dass dieser Ablauf deutlich komplexer ist, und die neu entdeckte Zell-Klasse den Körper ebenso vor Autoimmunerkrankungen schützt.
Die Bedenken räumten in der Folge Brunkow und Ramsdell aus. Sie befassten sich um die Jahrtausendwende mit den genetischen Grundlagen des „Scurfy mouse“-Syndroms – einer schwerwiegenden Autoimmunerkrankung. Nach langwierigen Tests fanden sie heraus, dass die Mäuse eine Mutation in einem Gen aufwiesen, das sie „Foxp3“ nannten. In weiteren Studien konnten Brunkow und Ramsdell den entsprechenden genetischen Defekt auch beim Menschen finden. Hier löst die Mutation die schwere Autoimmunerkrankung „IPEX“ aus.
Kontrollinstanz für andere Immunzellen
Um das Jahr 2003 war es dann wieder Sakaguchi, der die Bedeutung der Erkenntnisse miteinander verknüpfen konnte: Er demonstrierte, dass das Foxp3-Gen zentral für die Entwicklung der von ihm 1995 identifizierten regulatorischen T-Zellen ist. Diese fungieren als eine Art Kontrollinstanz für andere Immunzellen. Im Verbund hätten die drei Neo-Nobelpreisträger „ein komplett neues Feld innerhalb der Immunologie“ auf den Weg gebracht, sagte Wahren-Herlenius.
Weltweit beschäftigt sich seither eine Vielzahl an Wissenschafterinnen und Wissenschaftern mit Ansätzen zum Heben der Aktivität dieser Immunzellen im Zusammenhang mit dem Bekämpfen der vielfältigen negativen Auswirkungen eines zu aktiven Immunsystems. Den anderen Weg geht man im Zusammenhang mit Krebs-Erkrankungen, wo es oft darum geht, das Immunsystem sozusagen schärfer zu stellen – indem man die Tätigkeit der regulatorischen T-Zellen herunterfährt – damit es Tumore besser bekämpfen kann. Derzeit würden mehrere klinische Studien mit Anwendungen laufen, die auf den Erkenntnissen der heurigen Medizin-Nobelpreisträger basiere, heißt es.
Im Vorjahr war der Medizin-Nobelpreis an die beiden US-Forscher Victor Ambros und Gary Ruvkun gegangen. Sie wurden für die Entdeckung der microRNA und deren Rolle bei der posttranskriptionellen Genregulation ausgezeichnet. Am Dienstag werden die Preisträger für Physik mitgeteilt, Chemie kommt am Mittwoch dran, Literatur am Donnerstag, der Friedens-Nobelpreis am Freitag und am Montag darauf die Wirtschaftswissenschaften. Die Auszeichnung wird traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, verliehen.
(APA/red.)


