Bereits zurückgedrängte Krankheiten kehren durch Impflücken wieder oder könnten verstärkt auftreten. „Die Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte wurden vergessen“, warnte Rudolf Schmitzberger von der Ärztekammer (ÖÄK) am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Wien vor Impfmüdigkeit. Ursula Wiedermann-Schmidt von der MedUni Wien verwies vor allem auf Masern, Keuchhusten und Diphtherie. Beim Arzt- oder Apothekenbesuch kann jeder seinen Impfpass überprüfen lassen.
Der Medientermin wurde anlässlich des Österreichischen Impftages – einer traditionellen Medizinertagung, die diesmal am 21. Jänner 2023 im Austria Center Vienna stattfindet – abgehalten. Der Kongresses läuft unter dem Titel „The good, the bad & the ugly – Neues aus der Vakzinologie“, berichtete Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien.
„Das Gute“ in diesem Motto beziehe sich auf die vielen verfügbaren Impfstoffe, nicht nur die in den vergangenen Jahren groß verbreiten Covid-Schutzimpfungen, erläuterte die Vakzinologin. „Das Schlechte“ sei, „dass die Kommunikation von uns rund ums Impfen nicht sehr gut geglückt ist“, gab sie sich auch selbstkritisch. Die „hässliche“ Seite beim Thema Impfen betrifft den Aspekt, „dass wir durch Impfung schon Krankheiten ausrotten hätten können“, was aber laut Wiedermann-Schmidt durch mangelnde Impfung nicht geglückt ist.
Verschmähte „Lieblingsimpfung“
Selbst die „Lieblingsimpfung der Österreicher“, die sogenannte Zecken-Impfung gegen FSME, „ist in der Pandemie in Vergessenheit geraten“, berichtete Schmitzberger. Heuer seien bereits 180 Fälle der Frühsommer-Meningoenzephalitis dokumentiert. Weiters warne die Weltgesundheitsorganisation WHO schon lange vor einer weltweiten Masern-Epidemie – mit der gestiegenen Reisetätigkeit und den Kriegswirren „stehen wir unmittelbar davor“, sagte der ÖÄK-Impfreferatsleiter. 2021 seien nur mehr 74 Prozent der Zweijährigen mit zwei Dosen gegen Masern geschützt gewesen. Um den Gemeinschaftsschutz zu erreichen, ist eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent notwendig.
Die zunehmenden Fälle der Diphtherie in Europa treten besonders bei Menschen mit Fluchthintergrund auf, erläuterte Wiedermann-Schmidt. Vor allem Rachendiphtherie ist eine schwerwiegende Erkrankung, warnte die Medizinerin. Dagegen geimpft wird in Österreich mit einem Sechsfach-Vakzin auch gegen Keuchhusten, Tetanus, Haemophilus influenzae, Kinderlähmung und Hepatitis B und im Erwachsenenalter mit der Auffrischung für Tetanus, Keuchhusten und Polio. Aber auch hierzulande wird auf die Auffrischung vergessen. Ab 60 Jahren ist die Auffrischung alle fünf Jahre empfohlen, nicht mehr alle zehn, erinnerte Gerhard Kobinger, Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer.
Ursula Wiedermann-Schmidt ist sich zuversichtlich, dass die „passive Immunisierung“ gegen RS-Viren vor schweren Verläufen „relativ bald“ etwa auf Geburtenstationen zur Verfügung stehen könnte.
„Man muss die Menschen zum Impfen motivieren“, sagte Kobinger. Das versuchen seine Kollegen umzusetzen, außerdem bieten die Apotheken einen Impfpass-Check an. Zudem gebe es immer wieder Rabatt-Aktionen, beispielsweise einen vergünstigten Impfstoff gegen Gürtelrose (Herpes Zoster) im Jänner. Die Krankheit gebe nicht nur optisch kein schönes Bild am Körper ab, sondern kann auch monatelange starke Schmerzen verursachen. Auch Pneumokokken können schwerwiegende Krankheitsbilder hervorrufen, „die wären zu vermeiden“, verwies der Apotheker auf die verfügbare Impfung.
Dreifach-Epidemie durch Impflücken
Maria Paulke-Korinek, Leiterin der Abteilung Impfwesen im Gesundheitsministerium verwies auf die dreifache Epidemie aus Corona, Grippe und RS-Viren, die derzeit in Österreich grassiert. Gegen RS-Viren gibt es keine klassische Impfung aber seit kurzem eine Zulassung für eine sogenannte Passive Immunisierung, berichtete Wiedermann-Schmidt. Das Medikament in Form eines monoklonalen Antikörpers kann Säuglingen und dabei vor allem Frühgeborenen vorbeugend verabreicht werden, die in der RSV-Saison auf die Welt kommen. Wiedermann-Schmidt zeigte sich zuversichtlich, dass dieser Schutz vor schweren Verläufen „relativ bald“ etwa auf Geburtenstationen zur Verfügung stehen könnte.
Bereits kürzlich groß angekündigt wurde die Ausweitung der HPV-Impfung im kostenlosen Kinderimpfprogramm ab Februar 2023. Dieser Impfstoff gegen sechs Krebsarten bei Frauen und Männern ist dann bis zum vollendeten 21. Lebensjahr gratis. Dies soll laut Paulke-Korinek vor allem „Nachholimpfungen“ ermöglichen, um allen voran Gebärmutterhalskrebs, aber auch Anal- und Pensikrebs auszurotten. Prinzipiell ist die Immunisierung im neunten bis zwölften Lebensjahr empfohlen.
Infos zum Impftag finden Sie hier.