LKH Hartberg: Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie eröffnet

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Scho

Dr. Thomas Trabi, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie, Leitung der dislozierten Ambulanz und Tagesklinik in Hartberg, hat seit dem 01.01.2022 an zwei Tagen in der Woche zunächst die Ambulanz für Kinder- und Jugendliche mit psychischen Problemen eröffnet, um regional erreichbar Diagnostik und Behandlung Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen anbieten zu können. Schnell stellte sich aber dar, dass der Bedarf das Angebot um mehr als das Doppelte überstieg: Die pro Monat behandelten Patienten nahmen um 228% zu, die Wartezeit für einen Erstkontakt stieg innerhalb kürzester Zeit auf mehrere Monate an. Um dem Bedarf zu begegnen wurden nun die Erweiterung der Ambulanz und die Eröffnung der Tagesklinik umgesetzt.

Man kann sich fragen: Woher kommt der Bedarf? Bestand vorher eine Unterversorgung? Oder ist psychisch krank zu sein der neue „Hype“ bei Kindern und Jugendlichen?

In mehreren wissenschaftlichen Studien wurde in den letzten Jahrzehnten aufgezeigt, dass knapp jedes/r 5. Kind/Jugendliche sich im Laufe der Kindheit und Jugend psychisch mindestens einmal belastet gezeigt hat. In den letzten Jahren ist diese Zahl im Rahmen der Covid 19 Pandemie noch gestiegen, wie in Österreich auch die Tiroler Covid-19-Kinderstudie ergeben hat. Heute zeigt fast jedes 3. Kind Anzeichen einer psychischen Belastung auf. Nicht jedes dieser Kinder findet aber frühzeitig den Weg zu einer fachgerechten multiprofessionellen Behandlung.

Die Gründe dafür sind vielfältig:

Fehlende regionale Erreichbarkeit. Erreichbarkeit von Versorgung spielt eine große Rolle: Kinder und Jugendliche mit psychischen Störungen haben meist keine eigene Transportmöglichkeit und stammen zudem eher aus sozial schwachen Familien, welche ggf. kein Auto haben, so dass lange Wege schnell unüberwindbare Hürden darstellen.

Initial fehlende Wahrnehmung von Problematiken im Außen: Kinder versuchen nicht selten Probleme erst einmal selbst zu lösen, um ihre Eltern nicht zu belasten – gerade in Zeiten von Corona. Sie kennen die Versorgungsstrukturen nicht, können sich so keine Hilfe suchen, reagieren über Rückzug, Leistungsprobleme oder Aggressionsausbrüche.

Angst vor Stigmatisierung: Jugendliche, in einem Alter in dem es um Identitätsfindung und Positionierung in der Peergruppe geht, gehen nicht gerne in psychiatrische Ambulanzen oder auch Ordinaturen, die als solche zu erkennen sind. Deswegen ist es von Vorteil, wenn Ambulanzen und/oder Tageskliniken in Gebäuden verortet sind, z.B. Allgemeinkrankenhäusern, die neben psychiatrischen Einheiten auch andere Strukturen vorhalten.

Diagnostik und Maßnahmen

In der erweiterten Ambulanz (geöffnet nun an 4 Tagen die Woche, außer dienstags) wird zunächst die vorliegende Problematik erhoben und wo erforderlich durch psychologische Diagnostik ergänzt. Im Anschluss werden gemeinsam mit den Kindern, Jugendlichen und Eltern, die daraus resultierenden Empfehlungen und Maßnahmen besprochen und initiiert.

Ist eine ambulante Behandlung nicht ausreichend oder bedarf es einer intensiveren Diagnostik oder Behandlung unter Erhalt des häuslichen Umfelds, kann eine Aufnahme in die Tagesklinik am LKH Hartberg erfolgen, welche 6 Plätze vorhält.

In die Tagesklinik aufgenommen werden können Kinder und Jugendliche im Alter von 5 bis 17,11 Jahren, bei denen eine behandlungsbedürftige psychische Störung festgestellt wurde. Sämtliche Störungsbilder der Kinder- und Jugendpsychiatrie können behandelt werden, sodass ein weites Diagnosespektrum abgebildet werden kann. Dies rangiert von Essstörungen über Störungen des Sozialverhaltens, Depressionen, Ängsten, Zwängen bis hin zu ADHS und Geschlechtsdysphorie. Ausgeschlossen sind nur Störungsbilder mit akuten Gefährdungen, z.B. akute Impulsdurchbrüche mit Aggressivität und Fremdgefährdung oder akute Suizidalität. Diese müssen stationär am LKH Graz II, Standort Süd behandelt werden.

Die tagesklinische Kinder- und Jugendpsychiatrische Behandlung am LKH Hartberg umfasst: lösungsorientierte Einzelgespräche, angepasst an das jeweilige Alter; eine intensive Verhaltensbeobachtung mit Training sozialer Kompetenzen; wo indiziert, eine ergänzende psychologische Diagnostik; Angeboten werden zudem Gruppentherapien, wie eine DBT-A Skillsgruppe oder soziales Kompetenztraining.

Alltag üben

Ebenso wird täglich Alltagsstrukturierung geübt. Da ein Kompetenzzugewinn der Eltern wichtig ist, um Behandlungserfolge ins häusliche Umfeld zu übertragen, werden die Eltern eng in die Behandlung miteinbezogen z.B. im Rahmen von Familiengesprächen oder Teilnahme an einer Elterngruppe.

Ca. 70-80% dieser Kinder und Jugendlichen mit psychischen Störungen haben auch Probleme in der Schule, seien es Leistungsprobleme, Probleme in der Peergruppe im Sinne von Mobbing oder Verhaltensprobleme. Daher ist es besonders erfreulich, dass es in der Zusammenarbeit mit der Bildungsdirektion gelungen ist, zwei Lehrkräfte, die von der Bildungsdirektion gestellt werden, in das Team der Tagesklinik zu integrieren. Diese unterrichten die schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen auf dem vorhandenen Niveau, nehmen Kontakt mit den Heimatschulen auf, versuchen Schulängste zu lösen, identifizieren gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen Leistungsprobleme und bahnen in Folge schulische Perspektiven.

Schulische UNterstützung

„Die dislozierte Tagesklinik am LKH Hartberg vereint Kinder- und Jugendpsychiatrische Fachkompetenz, schulische Unterstützung, Elterneinbezug und Wohnortnähe, um Kindern und Jugendlichen mit psychischen (und schulischen) Problemen zu helfen, Krisen zu bewältigen und im Heimatumfeld neue konstruktive Wege zu gehen“, so die Projektleiterin Prim. Univ-Prof. Dr. Isabel Böge zu der Frage, wozu es eine Tagesklinik in Hartberg braucht. „Mehr als 70% aller chronischen psychischen Störungen beginnen zwischen dem 7. und 24. Lebensalter. Jedes Kind, jeder Jugendliche, den wir durch ein niederschwellig erreichbares Angebot vor Chronifizierung bewahren können, ist es wert solche Angebote zu schaffen.“

Landesrätin Juliane Bogner-Strauß betont: „Es ist gelungen, in Hartberg nicht nur eine Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie einzurichten, sondern sowohl Kindern als auch Eltern mit der Tagesklinik inklusive einer Heilstättenklasse möglichst viel an normalem Umfeld zu bieten. Das Engagement in der Region ist auch aufgrund der herausfordernden Personalsituation als besonders hoch einzuschätzen! Davon werden Kinder und Eltern gleichermaßen enorm profitieren.“

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