MedUni Wien - die Forscher des Monats September 2022

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Scho

Aggressiver Blut- und Lymphdrüsenkrebs stellt PatientInnen und Behandlungsteams vor große Herausforderungen. Besonders bei Rückfällen oder bei refraktären Erkrankungen gibt es häufig keine etablierte Standardtherapie. In einer mehrjährigen Kooperation der Klinischen Abteilung für Hämatologie der Universitätsklinik für Innere Medizin I und dem Center for Molecular Medicine des ÖAW (CeMM) wurde ein innovativer translationaler Ansatz etabliert, der in diesen schwierigen Situationen Abhilfe verspricht. Die Extended Analysis for Leukemia/Lymphoma Treatment (EXALT-1) Studie ist die erste prospektive und systematische Untersuchung eines funktionellen, präzisionsmedizischen Verfahrens zur personalisierten Therapiefindung (1). Lebende Tumorzellen der Patientin werden mittels einer single-cell functional precision medicine (scFPM) genannten, bildanalytischen Hochdurchsatz-Medikamenten-Testung auf mögliche Empfindlichkeit gegenüber 100 Therapeutika untersucht (2,3). Die gewonnenen Ergebnisse werden im Rahmen eines interdisziplinären Tumorboards diskutiert und in einen maßgeschneiderten Therapievorschlag überführt.

Die Arbeit belegt sowohl die technische Machbarkeit im klinischen Alltag als auch den individuellen Erfolg: 39% (56/143) der PatientInnen erhielten eine scFPM basierte Therapie; im Vergleich zu klassischen, sequencing-basierten Studien ein höherer Anteil. Die Ergebnisse lagen im Median innerhalb von 5 Tagen und damit deutlich schneller als in sequencing-basierten Studien vor. Nach einem medianen Nachuntersuchungszeitraum von 23.9 Monaten zeigten 54% (30/56) der PatientInnen einen individuellen Vorteil, welcher durch eine Steigerung des progressionsfreien Überlebens (PFS) um 30% im Vergleich zur zuletzt stattgehabten Tumortherapie definiert wurde. 21% (12/56) der PatientInnen zeigten sogenannten „exceptional response“ also ein PFS, das 3-mal länger ist, als es bei der entsprechenden Erkrankung zu erwarten wäre.

Rasche Ergebnisse bei hohem Entscheidungsdruck

Durch scFPM werden mehrere Probleme der klassischen, sequencing-basierten personalisierten Medizin umgangen: Die Ergebnisse stehen deutlich schneller zur Verfügung; Unser Verständnis des Zusammenspiels von genetischen, epigenetischen, immunologischen und metabolischen Faktoren in Tumorentstehung und -progression ist limitiert und direkte therapeutische Konsequenzen nur in den seltensten Fällen einfach ableitbar; scFPM bietet unmittelbar klinisch nutzbare Therapievorschläge auf Basis eines direkten Read-outs: dem Tumorzelltod.; selbst breite NGS-Verfahren entdecken nur in wenigen Fällen etablierte Therapietargets während scFPM einer größeren Zahl von PatientInnen therapeutische Optionen bietet.

Die EXALT-1 Studie zeigt so, dass scFPM klinisch nützliche Therapievorschläge ermittelt, sich in die klinische Therapiefindung integrieren lässt und PatientInnen einen individuellen Vorteil ermöglicht.

Wissenschaftliches Umfeld

Die Arbeit ist das Ergebnis einer multidisziplinären Zusammenarbeit zwischen ÄrztInnen der Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie der MUW unter der Leitung von Prof. Staber, WissenschaftlerInnen der Gruppe von Prof. Giulio Superti-Furga am CeMM, der Gruppe von Prof. Berend Snijder an der ETH Zürich und HämatopatholoInnen des Instituts für Pathologie der MUW unter der Leitung von Prof.in Ingrid Simonitsch-Klupp. Diese Gruppen arbeiten am gemeinsamen Ziel, Funktionsprofile von Tumorzellen zur Optimierung der Behandlung von Krebspatienten zu nutzen. Entscheidend für den Erfolg der Studie war die enge Zusammenarbeit zwischen grundlagenorientierten und zahlreichen klinischen Gruppen sowohl an der MUW als auch in anderen österreichischen Zentren. Dies ermöglichte eine rasche Translation von Erkenntnissen der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung. Die Studie wurde neben dem AKH auch von anderen medizinischen Zentren in Wien und ganz Österreich unterstützt und bildet die Grundlage für die kürzlich eingeleitete prospektive randomisierte Studie zum Vergleich von funktionellen Arzneimitteltests mit umfassender genomischer Profilerstellung und ärztlicher Entscheidung.

Dr. Christoph Kornauth, geboren 1983, begann seine wissenschaftliche Tätigkeit während des Medizinstudiums in Wien (2004-2010) im Labor von Prof. Wolfgang Mikulits am Institut für Krebsforschung der Universitätsklinik für Innere Medizin I und forschte während seiner Facharztausbildung zum Pathologen am Klinischen Institut für Pathologie in der Arbeitsgruppe von Prof. Dontscho Kerjaschki. Im Rahmen seiner Spezialisierung auf Hämatopathologie bei Prof.in Ingrid Simonitsch-Klupp und seines Gegenfachs an der Klinischen Abteilung für Hämatologie begann Dr. Kornauth seine Tätigkeit im Labor von Prof. Philipp Staber, wo er sein PhD-Studium im Programm „Malignant Disease“ (N094) begann, das zur Publikation der vorliegenden Studie führte.

Dr.in Tea Pemovska, geboren 1986, begann ihre wissenschaftliche Tätigkeit während ihres Bachelor- und Masterstudiums (2005-2010) der biomedizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften an der Universität Utrecht in den Niederlanden. Ihr PhD-Studium (2011-2015) absolvierte sie am Institute for Molecular Medicine Finnland der Universität Helsinki unter der Leitung von Prof. Krister Wennerberg und beschäftigte sich mit chemischer Systembiologie und personalisierter Medizin bei akuten und chronischen myeloischen Leukämien. Als Postdoktorandin (2016-2020) arbeitete sie in der Gruppe von Prof. Giulio Superti-Furga am Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM) und untersuchte das Zusammenspiel zwischen Zellstoffwechsel, Tumorbiologie und Immunsystem in Blutkrebs, wobei sie tumorspezifische metabolische Schwachstellen mittels Chemosensitivitäts-Screens identifizierte. Bereits während ihres Post-Docs beteiligte sie sich an der von Prof. Philipp Staber geleiteten EXALT-1 Studie. Mit dem Bestreben, die Durchführung funktioneller Arzneimitteltests in der Klinik weiterzuerforschen und zu optimieren, trat sie im März 2020 in die von Prof. Philipp Staber geleiteten Gruppe für funktionelle Präzisionshämatologie als leitende Wissenschaftlerin ein.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Trainings-Kinderpuppe für die Pflegeausbildung

Trainings-Kinderpuppe für die Pflegeausbildung

Der Studiengang Gesundheits- und Krankenpflege der Fachhochschule St. Pölten verfügt seit Kurzem über eine Trainings-Kinderpuppe. An ihr erlernen die Studierenden wichtige Handgriffe, um Kinder optimal versorgen zu können.

ÖÄK-Mayer zur Ärzteausbildung: Politik und Länder haben „das System nicht verstanden“

ÖÄK-Mayer zur Ärzteausbildung: Politik und Länder haben „das System nicht verstanden“

Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer betont, dass in den Spitälern der Nachwuchs fehlt und fordert Investitionen in die Ausbildung.