In ihren präklinischen Untersuchungen wies das Forschungsteam um Matej Hotka und Helmut Kubista von der Abteilung für Neurophysiologie und -pharmakologie des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie der MedUni Wien drei Regulationssysteme je Gehirnnervenzelle (Neuron) nach. Fällt eines dieser Systeme aus, übernimmt ein anderes und gewährleistet, dass die Energiebereitstellung je nach Anforderung in ausreichendem Ausmaß abläuft. Konkret handelt es sich um das Glycerin-3-Phosphat-Shuttlesystem (G3PS), das die WissenschafterInnen als essentielles Back-up identifizierten. Bislang wurde das Vorhandensein dieses biochemischen Transportmechanismus in Neuronen von der Forschung in Frage gestellt, da dort ein anderes System (Malat-Aspartat-Shuttle, MAS) vorherrscht. Laut der aktuellen Studie ist das G3PS aber auch in Nervenzellen lebenswichtig.
Wie die ForscherInnen darüber hinaus beobachteten, folgt der Einsatz des Notfallsystems in den Neuronen einer Hierarchie: Während sich die ersten beiden Regulationsmechanismen ihre Back-up-Pflichten teilen, tritt das dritte erst dann auf den Plan, wenn die zwei anderen nicht ausreichend funktionieren. „Ein Grund dafür liegt sehr wahrscheinlich darin, dass die Beteiligung von System Nummer drei mit einem ungünstigen Nebeneffekt verbunden ist“, erklärt Helmut Kubista. „Es führt zur Bildung von Sauerstoffradikalen, die in hohen Mengen Schädigungen der Nervenzellen nach sich ziehen können. Darum springt es vermutlich nur dann ein, wenn der Energiebedarf über die beiden anderen Systeme nicht gedeckt werden kann.“
Energieversorgung nach Maß
Nervenzellen sind für die Verarbeitung und Übertragung von Informationen im Körper zuständig. Die Energie, die die Neuronen für den Ablauf dieser aufwendigen Prozesse benötigen, wird ihnen zu einem wesentlichen Teil von den Mitochondrien zur Verfügung gestellt. Diese „Kraftwerke“ müssen ihre Treibstoffproduktion allerdings an die jeweiligen energetischen Bedürfnisse der Zellen anpassen. Das nun identifizierte Zusammenspiel der drei Regulationssysteme stellt sicher, dass es hier weder zu einer Unter- bzw. Überversorgung noch zu einem Ausfall kommt.
Die in der Studie entdeckte Rolle des G3PS zur akuten Abwehr neuronaler Notfälle könnte einen Beitrag zur Erforschung verschiedener Funktionsstörungen des Gehirns leisten, wie sie z. B. durch angeborene Defekte im MAS-Regulationsmechanismus herbeigeführt werden. So könnten unter anderem neue Erkenntnisse und Therapieansätze für eine Form frühkindlicher epileptischer Enzephalopathie folgen, falls sich G3PS auch in Neuronen des menschlichen Gehirns nachweisen lässt.