Pflege neu denken: "Die Beziehung wieder zulassen“

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Autor: Scho

Er ist der Elefant in den Hallen des Hotel Savoyen in Wien: Der Pflegenotstand. Gleich zum Auftakt des zweiten Tages des 13. Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongresses 2023 kam er zur Sprache. „Eine Million Menschen pflegen in Österreich Angehörige“, so Birgit Meinhard-Schiebel von der Interessensgemeinschaft pflegender Angehöriger. Damit seien Angehörige der größte Pflegedienst des Landes. Eine Säule des österreichischen Gesundheitssystems sind sie also. Eine fragile Säule allerdings. Vor allem aber auch eine, die sehr wenig Beachtung findet, die überwiegend weiblich ist und die oft im Prekariat darbt. „Pflege findet im Verborgenen statt“, sagt Birgit Meinhard-Schiebel.

Die Demografie gibt den Takt vor. Die Realität im Pflegeberuf ist die Gegenströmung. Sieben Jahre verbringen Pflegekräfte durchschnittlich in der Branche.

„Was ich immer wieder höre: ,Damit habe ich nicht gerechnet.’“, sagt Birgit Meinhard-Schiebl. Was sie damit anspricht, sind die alltäglichen Herausforderungen für Angehörige in der Pflege – von der direkten Tätigkeit bis zur Bewältigung der Bürokratie. „Es ist eine 24-Stunden-Tätigkeit, die nie aufhört, die pflegende Angehörige nie ablegen“, sagt sie. Denn das sei nicht wie in einem Job mit fixen Arbeitszeiten. Dabei seien pflegende Angehörige aber ein beträchtlicher Wirtschaftsfaktor: „Sie haben ja kein Einkommen, erbringen aber eine Wertschöpfung von drei Milliarden Euro pro Jahr.“

„Ohne informelle Pflege“ kollabiert das System“

Ist die Anstellung pflegender Angehöriger die Lösung dieser Misere? Das Burgenland hat ein solches System geschaffen. In Summe 500 Personen hat das Land nach einer 100-stündigen Basis-Ausbildung inzwischen als Pflegekräfte für Angehörige angestellt. Johannes Zsivkovits, Geschäftsführer der Sozialdienste des Landes Burgenland, rechnet vor: „98 Prozent der Pflegebedürftigen wollen zu Hause bleiben. Und wir wissen auch, dass die informelle Pflege den größten Anteil hat. Wenn die wegbricht, kollabiert das System.“

Laut dem burgenländischen Modell können sich pflegende Angehörige vom Land je nach Pflegebedarf 20 oder 40 Stunden anstellen lassen. Pflege darf das allerdings nicht genannt werden – weil diese Personen keine vollständig abgeschlossene Pflegeausbildung haben. Und daher auch die Bezeichnung: „BetreuendEr AngehörigEr“. Aber auch Johannes Zsivkovits sagt: Nach Ende des Vertrages mit dem Land geben die allermeisten Betreuungskräfte zu verstehen, dass sie diese Tätigkeit nicht als Beruf ausüben wollten. Von den 500 Personen, die das Burgenland eingestellt hat, haben lediglich 20 das Angebot des Landes angenommen, eine weiterführende Ausbildung zur diplomierten Pflegekraft zu machen.

Birgit Meinhard-Scheibel sieht viele Gründe, an dem burgenländischen Modell Kritik zu üben. Aber sie sagt auch: „Ja, es ist eine Möglichkeit.“ Allerdings könne die Einbindung knapp ausgebildeter Angehöriger „zu schwierigen Situationen führen“. Etwa, dass sich dann alle anderen Angehörigen zurückziehen und Pflege- und Betreuungstätigkeiten komplett an eine Person abgeschoben würden. Heikel sind auch rechtliche Fragen. „Man muss dieses Modell evaluieren nach drei Jahren und sehen, ob man das weiterentwickeln kann und soll“, so Birgit Menhard-Scheibel. Vor allem gelte es auch sicher zu stellen, „dass man durch die Pflege eines Angehörigen nicht in die Armutsfalle fällt.“

Der Kollaps als Chance?

„Die gute Nachricht ist: Unser Pflegesystem kollabiert“, sagt Wolfgang Huber Geschäftsführer des Pflegedienstleisters Cura Communitas. Denn genau dieser Kollaps biete die Chance, das System neu zu denken. Für das burgenländische Modell hat Wolfgang Huber nur Lob: Denn es sei der Versuch, das System neu zu denken. Er sagt:„Die Hauskrankenpflege ist zu einer Fließbandarbeit degradiert worden und das ist eine Katastrophe.“ Man müsse sich fragen, wieso so viele Fachkräfte aus dieser Tätigkeit ausscheiden – das werde aber nicht getan. „Es laufen uns die Pflegekräfte davon“, sagt Wolfgang Huber. Und dann kämen Vorschläge wie diese: „Wir holen Leute aus Übersee.“ Das sei, wie in eine löchrige Kanne noch mehr Wasser hinein zu schütten, um das Loch zu flicken.

In genau diesem Feld ist das Unternehmen „Talent & Care“ tätig. Talent & Care arbeitet mit Pflegekräften aus Kolumbien – nicht für einzelne Fälle und eben nicht um zu flicken, sondern auf Dauer. „Es geht um Zuwanderung“, sagt Josef Missethon. Zu der geäußerten Kritik von Wolfgang Huber an der Arbeit mit „Leuten aus Übersee“ sagt er: „Es ist klar, das das nicht die Lösung des Problems ist – das ist eine ergänzende Maßnahme, um strukturellen Reformen wird man nicht herum kommen.“ Aber: „Die Demografie ist eben die Demografie – wir haben ein richtiges Problem in den nächsten zehn Jahren.“ Und genau das sei ein Problem, dass eben auch andere europäische Staaten hätten, aus denen Pflegekräfte nach Österreich kämen. Etwa Rumänien.

Wolfgang Huber sagt: „Beziehung ist das beste Medikament.“ Genau das sei es, was den Beruf der Pflege so schön gemacht habe. Und er sagt: „Um diesen Beruf wieder schön zu machen, muss man die Beziehung wieder zulassen.“

Nähere Informationen zum Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongress finden Sie hier.

(red.)

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