Hungertod den Viren

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Autor: Alexandra Keller

Mit einem neuen Ansatz zur Virenbekämpfung geht das Wiener BioTech-Startup G.ST Antivirals in die erste klinische Runde. Ziel ist ein Nasenspray, mit dem Viren regelrecht ausgehungert werden.

Dem Problem begegnet er gerade täglich. Sobald Kindergärten und Schulen ihre Tore im Herbst öffnen, startet die Saison der laufenden Nasen. „Wenn ich an meine Co-Eltern im Kindergarten denke, wird wieder klar, wie viel Sinn es macht, gegen den Schnupfen etwas zu tun“, sagt Guido Gualdoni. Auch heuer ist das so. Wie immer eigentlich. Im zweiten Covid-Herbst ist das Wissen um Viren zum Allgemeingut geworden. Gualdoni ist CEO des Wiener BioTech-Startups G.ST Antivirals, das daran arbeitet, den Viren – egal welchen – auf ganz neue Weise den Kampf anzusagen. Das Gegenmittel soll in einer derart anwenderfreundlichen Form verabreicht werden, dass es das Potenzial zum Blockbuster hat. „Unsere Vision ist ein Nasenspray, das in Apotheken erhältlich ist und das erste Arzneimittel darstellt, das zur Prophylaxe verschiedener viraler Erkrankungen verwendet werden kann. Es soll nicht nur gegen ein Virus, sondern gegen alle Viren helfen, die über die Nasenschleimhaut angreifen“, schwärmt Gualdoni.

2-Deoxyglukose heißt die stark wirksame Substanz, mit der das Antivirals-Team ansetzt, die Welt für Viren erheblich unwirtlicher zu machen. Die Entwicklungsgeschwindigkeit des Wiener Start-ups ist hoch. Das Unternehmen wurde 2019 gegründet und noch heuer startet die Phase 1 der Klinischen Prüfung des Arzneimittels am AKH Wien – für Kenner des medizinischen Zulassungsprozesses ein enormer Fortschritt. „Wir sind auf einem sehr guten und sehr schnellen Weg“, sagt Gualdoni.

Arznei, nicht Medizinprodukt

Es gibt verschiedene Medizinprodukte, die auf Viren beziehungsweise ihre rasante Vermehrung „in der Nase“ abzielen. Die meisten bilden einen Schutzfilm auf den Schleimhäuten. G.ST Antivirals arbeitet aber nicht an einem Medizinprodukt, sondern an einem Arzneimittel – und das ist ein entscheidender Unterschied. Arzneimittel „funktionieren“ pharmakologisch, metabolisch oder immunologisch. Um für den Markt zugelassen zu werden, muss die 2-Deoxyglukose die Klinische Prüfung positiv bestehen – also die wissenschaftliche Untersuchung zu Wirkung und Sicherheit am Menschen.
Metabolismus ist im Zusammenhang mit dem Therapie-Ansatz, den Gualdoni und sein Co-Gründer Johannes Stöckl verfolgen, das entscheidende Stichwort. „Wir haben an der Medizinischen Universität Wien Grundlagenforschung betrieben. Am Anfang waren wir nur neugierig.“ Die Forscher hatten sich 2011 die Frage gestellt, wie es sein kann, dass sich Viren so schnell vermehren, obwohl sie komplett abhängig von der Wirtszelle sind. „Die Wirtszelle ist nicht gewohnt, dass sie so viel in so kurzer Zeit produzieren muss“, erklärt Gualdoni den Trigger für eine intensive wissenschaftliche Suche. Die Wissenschafter machten sich auf die Suche nach der Quelle, die den hohen Nährstoffbedarf der Viren deckt. Denn die Viren selbst besitzen keinen eigenen Stoffwechsel, um ihren extremen Vermehrungsdrang stillen zu können. Als Schmarotzer sind sie dabei ausschließlich von ihren Wirtszellen abhängig. Die Wirtszellen werden von ihnen nicht nur okkupiert und in Geiselhaft genommen, sondern auch dazu gezwungen, ihre Nährstoffaufnahme zu steigern, um den Infektionskreislauf sicherzustellen.

Gualdoni und Stöckl untersuchen seit 2012 diese komplexe und für Menschen überaus unangenehme Beziehung von Virus und Wirt. Ihren Fokus legen sie dabei auf Rhinoviren, die Erreger von Schnupfen. „Wir haben herausgefunden, wie die Interaktion zwischen den Rhinoviren und dem Stoffwechsel ihrer Wirtszelle in der Nasenschleimhaut funktioniert“, erklärt Gualdoni den grundlagenwissenschaftlichen Erfolg. „Damit war der Grundstein gelegt, um eine Therapie beziehungsweise eine Prophylaxe abzuleiten. Irgendwann hat uns gedämmert, dass das das Potenzial hat, das ganze Feld grundlegend zu verändern.“

Das Herzstück der wissenschaftlichen Erkenntnis und der zwischenzeitlich sehr handfesten therapeutischen Hoffnung ist die Art und Weise, wie die Wirtszelle Zucker verwertet. Mit dem Wissen um die Stoffwechselprodukte der Wirtszelle ist es den beiden Forschern gelungen, eine Substanz zu entwickeln, die ebendiese Zuckerverwertung in der Wirtszelle hemmt und damit die Viren verhungern lässt. Die Antwort liegt bei der erwähnten 2-Deoxy­glukose, einem Molekül, das nicht nur billig produziert werden kann und eine gute Wirksamkeit besitzt, sondern das auch das Potenzial für ein breites Anwendungsgebiet zeigt. „Das Virus infiziert die Wirtszelle, in den allermeisten Fällen eine Epithelzelle – also die oberste Schicht der Zellen, die auf der Nasenschleimhaut sitzt“, erklärt der Forschner. Viele Viren – Rhinoviren, Influenzaviren aber auch Coronaviren – würden als erstes über die Nasenschleimhaut angreifen. Selbst wenn bei den unterschiedlichen Virenangriffen andere Rezeptoren im Spiel sind und in der Zelle verschiedene Dinge passieren, ist die Wirtszelle selbst immer dieselbe. Mit 2-Deoxyglukose wird nicht das Virus angegriffen, sondern die Wirtszelle beschützt, indem die Viren innerhalb der Zelle ausgehungert werden. Darin steckt der potenzielle Clou. Sieben Jahre haben Gualdoni und Stöckl daran geforscht und sind dem Rhinovirus und seiner Wirtszelle im wahrsten Sinn des Wortes auf die Pelle gerückt. 2018 erkannten sie das Potenzial und trafen die Entscheidung, diesem Potenzial mit einem eigenen Unternehmen den Weg zu ebnen und ein Nasenspray auf den Markt zu bringen, mit dem anfangs der Schnupfen und dann weitere virusbedingte Krankheiten behandelt werden können. Dass Grundlagenforschung unmittelbar zu einer Therapiemöglichkeit führt, ist sehr selten.

Spray gegen Viren. Die beiden Gründer Guido Gualdoni (li) und Johannes Stöckl forschen am Beziehungs-Crash zwischen Wirt und Virus. Mit einem Nasenspray soll eine Verbindung unterbunden werden.

Vom Arzt zum Unternehmer

„Wir wussten, dass wir uns da reinhängen müssen, um das zum Erfolg zu führen“, so Gualdoni. Er hatte seine Dissertation am Institut für Immunologie geschrieben, später am AKH Wien als klinischer Arzt gearbeitet und eine wissenschaftliche Karriere angestrebt. Es kam anders. 2019 wurde das BioTech-Startup G.ST Antivirals als Spin-Off der Medizinischen Universität gegründet und in Windeseile an dem Wirkstoff weitergearbeitet – mit dem Markteintritt im Visier. „Wir sind in Gesprächen mit möglichen Partnern, um unsere Idee weiterzuentwickeln“, sagt Gualdoni. Die Namen der potenziellen Geschäftspartner will er nicht verraten, doch lassen die Förderung durch die Austria Wirtschaftsservice (aws), die Auszeichnung Inventors of the Year 2020 der MedUni Wien oder der von der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (OEGIT) an G.ST Antivirals verliehene Infektionspreis 2021 erahnen, wie hoch der potenzielle Impact eines Nasensprays gegen Virenerkrankungen auch außerhalb des jungen Unternehmens eingeschätzt wird.

Trotz der hohen Ansprüche der Gründer ist die Geschwindigkeit enorm, in der sie ihre Vision realisieren. Gualdonis Team ist gerade dabei, die Phase-1-Studie am AKH Wien vorzubereiten. Ziel ist eine vorläufige Unbedenklichkeit der Anwendung und eine erstmalige Darstellung des pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Profils des Wirkstoffes zu erhalten. Die Herausforderungen liegen in der Sicherheit der Substanz und der Dosierung ohne Nebenwirkungen. „In einem nächsten Schritt werden wir im Verlauf des Jahres 2022 prüfen, ob wir Schnupfen verhindern können“, so der CEO. Er selbst zweifelt nicht daran. Die über viele Jahre gesammelten Daten seien vielversprechend. Die Chancen, virusbedingte Erkrankungen auf so elegante Weise verhindern zu können, sind stark im Steigen.    //

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