Hände weg

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Autor: Josef Ruhaltinger

Händedesinfektion gehört zum kleinen Einmaleins der Krankenhaushygiene. Dennoch folgt das Personal den Hygieneregeln mit sehr unterschiedlicher Intensität. Eine Studie zeigt: Auch die Säumigen halten sich für tolle Händewäscher.

Türöffner schreiben in Leipzig eigene Geschichten. Iris F. Chaberny begleitet ihre ärztlichen Kollegen und Kolleginnen gerne auf Visite. Das ist nichts Ungewöhnliches. Chaberny ist Direktorin des Instituts für Hygiene, Krankenhaushygiene und Umweltmedizin des Universitätsklinikums Leipzig und verfolgt akribisch die Arbeitsabläufe in Krankenhäusern – nicht nur in ihrem eigenen. Sie ist als Chefhygienikerin des Uniklinikums stets den Keimen auf der Spur: „Die Kollegen desinfizieren ihre Hände mehrmals und vorschriftsmäßig im OP und beim Verlassen des OP. Sie desinfizieren auch die Hände, wenn sie vor den Krankenzimmern stehen. Und dann greifen sie zur Klinke und öffnen die Tür. Das geht gar nicht.“ Seither gibt es bei Visiten im Leipziger Klinikum den Posten des Türöffners: Meist kommt die Aufgabe dem jüngsten Mitglied in der weißen Entourage zu.

Es ist für Laien verblüffend, wie gefährlich ein Handschlag ist. Auf unseren Händen befinden sich ca. 10 Millionen teilweise pathogener Mikroorganismen – eine Zahl, die die Hand zu einem bedeutenden Risikofaktor macht. In manchen deutschen Kliniken ist dem Personal Händeschütteln per Dienstanweisung verboten. „80 Prozent der Keime verbreiteten sich über die Hände“, rechtfertigte sich einer der verantwortlichen Geschäftsführer in den Medien. Der Verzicht auf das Händegeben sei ein einfacher Hebel, um die Hygiene in den Einrichtungen zu verbessern. Er war für diese Entscheidung stark unter Druck gekommen. Betriebsräte, Pädagogen und Verhaltenswissenschaftler mögen ob dieser unpersönlichen Regelung empört sein. Aus Sicht einer Hygienikerin wird durch die Maßnahme eine der intensivsten Übertragungsarten von Erregern unterbunden. „Handreichungen in jeder Form bleiben die häufigsten Übertragungsformen – im Krankenhaus und außerhalb“, setzt Iris Chaberny nach. Schon Pontius Pilatus wusste: Händewaschen ist eine zivilisatorische Notwendigkeit. Chabernys Idealvorstellung einer hygienebewussten Begegnung in Gesundheitseinrichtungen passiert zwischen Menschen, die „ihre Hände unter Kontrolle haben und Masken tragen“.

Die WHO hat globale Studien und Betrachtungen zur Keimübertragung in Spitälern in einem „Modell der fünf Indikationen der Händedesinfektion“ zusammengetragen. Das Modell entwickelte sich zum Grundgerüst für national und lokal angepasste Empfehlungen der Händehygiene.
Händedesinfektion ist notwendig:

  • vor Patientenkontakt,
  • vor aseptischen Tätigkeiten,
  • nach Kontakt mit potenziell infektiösem Material,
  • nach Patientenkontakt und
  • nach Kontakt mit Oberflächen in unmittelbarer Umgebung des Patienten.

Im Bereich der Händedesinfektion hat sich ein umfangreicher Zweig der Medizintechnik etabliert. Die Entwicklung reicht hin bis zu Desinfektionsspendern, die mit tragbaren Mobilgeräten verbunden sind und jede Händedesinfektion protokollieren. Zur „Steigerung des Problembewusstseins“ wurden Apps für das Personal entwickelt, die mithilfe von Virtual Reality-Technik Arbeitssituationen simulieren, in denen Händehygiene praktiziert werden sollte. Selbst die Auswahl des Desinfektionsmittels ist zur Wissenschaft geworden. Alle Händedesinfektionsmittel wirken gegen Bakterien und Hefepilze. Gegen unbehüllte Viren, wie z. B. Noroviren, ist ein Händedesinfektionsmittel mit einem viruziden Wirkspektrum erforderlich. Diese enthalten größtenteils hohe Ethanol-Konzentrationen, da Alkohol besonders sicher Viren inaktiviert. Wichtig dabei: Händedesinfektion geht nicht nur die Mitarbeiter in Gesundheitseinrichtungen an, sondern auch Patienten und – die unregulierte Größe jedes Hygienekonzepts – deren Besucher.

Spiegel an der Wand

Jedes Krankenhaus verfügt über eine Hygienerichtline. Deren Einhaltung wird stets von einem Hygienebeauftragten oder Hygieneteam begleitet. Große Institutionen verweisen sogar auf ein eigenes Institut. So sorgt und forscht im AKH die Klinik für Krankenhaushygiene und Infektionskontrolle für keimreduzierte Bedingungen. Die Hygieniker fungieren dabei als Wächter und Mahner. Denn Regeln sind nur so gut wie sie auch eingehalten werden. Die Leipziger Professorin Chaberny ist Co-Autorin der Studie „Wundinfektionen und Antibiotikaverbrauch in der Chirurgie“ (WACH). Dabei setzte sich das Wissenschaftler-Team – unter anderem – mit der Compliance des Krankenhauspersonals auseinander: „Wir wollten wissen, wie eng sich die Klinikbelegschaften an Hygieneregeln halten – und wie sie sich selbst dabei einschätzen.“ Die Autoren greifen dabei auf Otto von Bismarck zurück: „Die Selbstüberschätzung tötet den Erfolg im Keim“. In der Studie wurden Spitalsärzte und Pfleger in ihrem Alltag beobachtet und danach nach ihrer Einstellung gegenüber den Regeln der Händedesinfektion befragt. Die Fremdsicht wird der Eigenwahrnehmung gegenübergestellt. „Wir trafen überall auf guten Willen. Aber ebenso auf grandiose Selbstüberschätzung“, kommentiert Chaberny die Studienergebnisse. In Bezug auf Compliance lautet die Kernaussage: Knapp 90 Prozent aller Probanden gaben an, die Regeln der Händehygiene zu befolgen. Die Beobachtungen des Studienteams kamen zu einem anderen Ergebnis: Nur 44,2 Prozent hielten sich laut Fremdbeobachtung tatsächlich an die Vorgaben der Hygiene. Chaberny beschriebt das daraus erstehende Problem: „Wer sich schon für gut hält, glaubt nicht, sich verbessern zu müssen.“ In einem Beitrag im deutschen Magazin „Krankenhaus und Management“ formuliert die Leipziger Professorin (gemeinsam mit Co-Autoren Katrin Luz und Thomas von Lengerke) die Konsequenzen ausführlicher: „Wer sich selbst als ausreichend kompetent, fähig und besser als andere ansieht, der wird keine Notwendigkeit und Motivation zum Lernen, Optimieren und Reflektieren spüren und wahrnehmen.“

Saubere Hände.

Iris Chaberny ist Direktorin am Hygieneinstitut des Uniklinikums Leipzig. Sie untersuchte Eigensicht und Fremdsicht in Bezug auf Einhaltung der Hygieneregeln: „Wir trafen überall auf guten Willen. Aber ebenso auf grandiose Selbstüberschätzung“.

Veränderung durch Erkenntnis

Iris Chaberny empfiehlt, den Kolleginnen und Kollegen den Spiegel vor Augen zu halten: „Sobald wir die Diskrepanzen zwischen Eigen- und Fremdsicht vor Augen führen, kommt es in der Regel zu einem umfassenden Aha-Effekt.“ Es brauche Selbstreflexion, um eine verbesserte Wahrnehmung an den Tag zu legen. Erst die Identifikation eines Problems führt zu einer Lösungssuche, die in eine Verhaltensänderung mündet. Die Kernaufgabe liege aber in der Verankerung des Problems in den Köpfen des Nachwuchses. „Was Hänschen nicht lernt“, greift Chaberny in die Kiste des deutschen Märchenschatzes: „Ich beobachte bei meinen Studenten eine hohe Akzeptanz des Themas.“ Das Bewusstsein der jungen Medizinerinnen und Mediziner schwinde allerdings im Lauf des Studiums: „Es reicht nicht, wenn wir im fünften oder sechsten Semester ein paar Duftmarken mit Lehrveranstaltungen setzen.“ Um Automatismen hervorzurufen, müsse Handhygiene ein ständiger Begleiter der Ausbildung werden. Dann habe Selbstüberschätzung keinen Platz mehr.    //

Links:

Studie: „Studie Implementation interventions in preventing surgical site infections in abdominal surgery: a systematic review“, Deutsch: „Wundinfektionen und Antibiotikaverbrauch in der Chirurgie“ (WACH)
Autoren:Ivonne Tomsic, Nicole R. Heinze, Iris F. Chaberny, Christian Krauth, Bettina Schock & Thomas von Lengerke

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