Kroatiens Weg nach Europa

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Autor: Heinz Brock

Die Kroaten geben für ihre Gesundheitsversorgung im Vergleich zu anderen EU-Ländern wenig Geld aus. Dies ist aber nur einer der Gründe, warum das Land im Bereich der medizinischen Versorgung um den Anschluss an EU-Niveau kämpfen muss.

Nicht zu Hause, aber auch nicht weg: Österreich und Kroatien verfügen über zahllose historische Berührungspunkte. Jahrhundertalte Migrationsströme knüpfen mannigfaltige Verbindungen zwischen den beiden Ländern. Der junge Staat an der Adriaküste arbeitet intensiv daran, sich wirtschaftlich und infrastrukturell auf EU-Niveau zu bringen. Dabei ist der Weg steinig: Die Folgeerscheinungen des Balkankrieges – eine durch Geburtenrückgang und Migration schrumpfende und alternde Bevölkerung – erschweren den Aufbau jedoch ebenso wie die Anfälligkeit der tourismusorientierten Volkswirtschaft gegenüber den Krisen der jüngeren Vergangenheit. Darunter leiden auch die ambitionierten Zielsetzungen der kroatischen Gesundheitspolitik.

Not mit Lücken. Kroatien hat – wie andere Staaten auch – massive Probleme, die Primärversorgung außerhalb der Ballungszentren sicherzustellen.

Zentrale Strukturen

Das kroatische Gesundheitssystem ist zentralistisch aufgebaut. Das Gesundheitsministerium gibt die gesundheitspolitischen Richtlinien vor, plant und evaluiert Gesundheitsprogramme und entscheidet über Investitionen in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen. Außerdem legt es die Qualitätsstandards für öffentliche und private Leistungsanbieter fest. Die Zuständigkeit für tertiäre Versorgung (z.B. Universitätsspitäler) liegt beim Gesundheitsministerium und bei der Regierung. Die Universitätskliniken sind in staatlichem Besitz. Primäre und sekundäre Versorgungseinrichtungen inklusive den Gesundheitszentren, den Public Health Einrichtungen und den öffentlichen Apotheken sind jedoch dezentral organisiert. Sie werden durch die 21 Verwaltungseinheiten („Zupanije“, „Gespanschaften“) betrieben. Diese besitzen und verwalten die Allgemeinkrankenhäuser und die Mehrzahl der Spezialkliniken. Die meisten Gesundheitsversorger des sekundären und tertiären Sektors sind in öffentlicher Hand. Die meisten Allgemeinmedizin-Praxen und Zahnambulatorien wurden im Laufe der letzten Jahre jedoch privatisiert. Allgemeinmediziner und Zahnärzte können sich die Bürgerinnen und Bürger frei auswählen. Um den niederschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle zu ermöglichen, muss allerdings mindestens ein öffentliches Primärversorgungszentrum pro Verwaltungseinheit (drei in Zagreb) aufrechterhalten werden. Der kroatische Gesundheitsfond (CHIF) finanziert sämtliche Gesundheitsleistungen, die von der Sozialversicherung ange­boten werden.

Die kroatische Sozialversicherung ist eine Pflichtversicherung ohne Möglichkeit des Ausoptierens. Das Leistungsangebot der Sozialversicherung ist umfassend und deckt nahezu die gesamte Bevölkerung ab. Alle Einwohner Kroatiens, auch Ausländer, die länger als drei Monate in Kroatien ansässig sind, haben den vollen Versicherungsschutz. Nicht beschäftigte Familienangehörige sind bei Beitragszahlern mitversichert. Selbstbehalte sind üblich. Allerdings sind Basis-Leistungen, wie die Versorgung von Kindern und Schwangeren, Behinderten und über 65-Jährigen sowie Impfungen und Palliativversorgung, von Selbstbehalten befreit. Die Sozialversicherung bietet aber auch Zusatzpolizzen an, die Leistungen außerhalb der Pflichtversicherung abdecken. Diese Zusatzversicherungen decken entweder nur die Selbstbehalte ab oder finanzieren mit höheren Prämien auch einen höheren Versorgungsstandard.

SV-Beitrag bei 16,5 Prozent

Die Einnahmen des kroatischen Gesundheitsfonds bestehen zum größten Teil aus den Beitragszahlungen der Bürgerinnen und Bürger. 16,5 % des Bruttogehaltes sind als Beitrag abzuführen (7,5 % bei Bauern und Klerus, 3 % für Pensionseinkünfte, welche die Durchschnittspensionen übersteigen). Vulnerable Bevölkerungsgruppen, wie z.B. Menschen mit Beeinträchtigungen, sind von Beitragszahlungen ausgenommen. Im Zuge der COVID-19-Pandemie und dem damit einhergehenden Rückgang der Wirtschaftsleistung sanken die Beitragszahlungen von 81,9 % im Jahre 2019 auf 74,2 % im Jahre 2020, was durch höhere staatliche Zuschüsse teilweise kompensiert werden musste.

Die Kroaten geben im Vergleich zu anderen EU-Ländern sehr wenig Geld für die Gesundheitsversorgung aus. Sowohl pro Kopf (2019: US$ 2.168) als auch als Anteil des BIP (2019: 6,9 %) liegt Kroatien deutlich unter dem EU-Schnitt. Auf diesem niedrigen Ausgabenniveau spricht der öffentlich finanzierte Anteil von 81,9 % (2019) an den gesamten Gesundheitsausgaben für die Tradition der Solidarität in der Finanzierung der Gesundheitsversorgung. Dementsprechend niedrig ist der Zwang zu Out-of-Pocket-Zahlungen (2019: 11,5 % der gesamten Gesundheitsausgaben). Mehr als 20 % der kroatischen Gesundheitsausgaben fallen auf Medikamente und medizinische Heilbehelfe. Das liegt deutlich über dem EU-Schnitt von 13,9 %.

Die Personalausstattung des kroatischen Gesundheitssystems liegt sowohl bei Ärzten als auch bei Pflegepersonen deutlich unter dem EU-Schnitt. Ein großes Problem für die Versorgungssituation und für die Zufriedenheit der Bevölkerung stellt auch die ungleiche Verteilung der Personalressourcen dar, wobei die Zentralregion um Zagreb besser ausgestattet ist als die entlegenen ländlichen Gebiete oder die zahlreichen Adria-Inseln. Dieselbe Ungleichverteilung findet sich auch bei den intramuralen Ressourcen. Krankenhausbetten, insbesondere Akutbehandlungsbetten, sind in wesentlich geringerem Ausmaß vorhanden als im Schnitt der EU-Staaten. Gleiches gilt auch für diagnostische Großgeräte. Langzeitpflege und Palliativversorgung sind in Kroatien nur rudimentär vorhanden.

Der primärversorgende Allgemeinmediziner kann frei gewählt und jederzeit gewechselt werden. In Form von Überweisungen an sekundäre und tertiäre Versorgungseinrichtungen fungiert der Allgemeinmediziner auch als Gatekeeper. Eines der größten Probleme des kroatischen Gesundheitssystems ist die geringe Verfügbarkeit von Allgemeinmedizinern und die daraus resultierende hohe Überweisungsrate zu Spezialisten oder Krankenhäusern. Die Wartelisten auf Operationen und diagnostische Prozeduren sind sehr lang. Die Krankenhausverweildauer ist zwar in den letzten Jahren gesunken, aber mit 8,2 Tagen noch deutlich über EU-Schnitt.

Allgemeinmediziner und Zahn­ärzte werden nach einer Kombination aus Kopfpauschalen, tariflichem Leistungsentgelt und Bonuszahlungen für Qualitätsnachweise entlohnt. Niedergelassene Fachärzte verrechnen Leistungen nach Tarifkatalog, ambulante Spitalsleistungen werden nach Leistungen verrechnet. Der stationäre Leistungsbereich von öffentlichen Spitälern wird zu 90 % über Globalbudgets und nur zu 10 % über ein DRG-System abgerechnet.

Stets bemüht. Das kroatische Gesundheitssystem muss mit vergleichsweise geringen Mitteln auskommen. Kroatiens Regierung hat im letzten Programm Läuterung versprochen. Im Bild zieht Premierminister Andrej Plenkovic an EU-Ratspräsident Charles Michel an­läss­lich des jüngsten Gipfels in Prag vorbei.

Vermeidbare Todesfälle

Bei den offensichtlichen infrastrukturellen und personellen Defiziten, unter denen die Gesundheitsversorgung Kroatiens noch immer leidet, darf es nicht verwundern, dass die Performance des Systems den europäischen Standard noch nicht erreicht hat. Outcome-Indikatoren, wie vermeidbare Todesfälle oder die Spitalsmortalität nach Herzinfarkt, weisen gravierende Versorgungsmängel aus und die Überlebensraten nach malignen Erkrankungen zählen zu den schlechtesten in Europa. Bedauerlicherweise ist auch die Mortalität bei präventablen Krankheiten sehr hoch, was darauf hinweist, dass gesundheitspolitische Maßnahmen gegen das Rauchen oder Alkoholmissbrauch noch nicht wirksam greifen.

Die Regierung Kroatiens hat sich die qualitative Verbesserung der Gesundheitsversorgung als explizite politische Agenda gegeben. In der nationalen Entwicklungsstrategie für 2021 bis 2027 sind ambitionierte Ziele gesetzt: Die Verbesserung der Gesundheit aller Bürger über die gesamte Lebensspanne, die Verbesserung von Qualität und Verfügbarkeit der Versorgungsleistungen und der Aufbau eines effizienten Gesundheitssystems. Die Tatsache, dass wichtige Schlüsselindikatoren der Versorgungsqualität, wie zum Beispiel die Rate der vermeidbaren Krankenhauseinweisungen bei chronischen Erkrankungen, in Kroatien nicht verfügbar sind, zeigt auf, wie weit der Weg des Landes zu einer Gesundheitsversorgung auf EU-Niveau noch sein wird.  

Quellen:

European Observatory on Health Systems and Policies (2022). Croatia: Health System Summary. WHO Regional Office for Europe on behalf of the European Observatory on Health Systems and Policies. Copenhagen.

Džakula A, Vocanec D, Banadinovic M, Vajagic M, Loncarek K, Lukacevic Lovrencic I, Radin D, Rechel B. Croatia: Health system review. Health Systems in Transition, 2021; 23(2): pp.i–146.

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