Frischer Trend zur Robo-Reha

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Autor: Michael Krassnitzer

Bis vor Kurzem noch Science Fiction, mittlerweile in der Medizin angekommen: Exoskelette werden mit Erfolg in der Therapie und der Rehabilitation von Patienten mit neurologischen Erkrankungen eingesetzt.

Ein Mensch steigt in eine Metallhülle, übernimmt in deren Inneren die Steuerung und wird auf diese Weise zur unbesiegbaren Kampfmaschine: In der Science Fiction – etwa in den Filmen „Iron Man“ oder „Avatar“ – zählen Exoskelette zum ständigen Repertoire. Was bis vor Kurzem Hirngespinst war, ist heute Wirklichkeit. Derartige am Körper getragene High-Tech-Systeme werden in der neurologischen Rehabilitation, aber auch in der industriellen Fertigung eingesetzt. Sie unterstützen, verstärken oder ermöglichen die Mobilität ihres Anwenders.

Aktiv und passiv

Grundsätzlich wird zwischen aktiven und passiven Exoskeletten unterschieden. Aktive Exoskelette beinhalten Motoren, die dem Träger zusätzliche Kraft für seine Bewegungen verleihen oder ihm Bewegungen erst ermöglichen. Passive Exoskelette hingegen sind mechanische Strukturen, die den Körper bzw. einzelne Körperteile stützen oder Belastungen eines bestimmten Körperteils auf andere Körperregionen umleiten.

Wenn man den Begriff etwas weiter fasst, werden passive Exoskelette in der Medizin schon seit Langem eingesetzt. Im Grunde ist der gute alte Gipsverband nach einem Bein- oder Armbruch nichts anderes als ein Exoskelett. Moderne Orthesen, also Vorrichtungen, die gezielt die strukturellen und funktionellen Eigenschaften des neuromuskulären und skelettalen Apparates beeinflussen, entsprechen noch viel mehr der Vorstellung, die man mit dem Begriff des Exoskelettes verbindet.

Hilfe nach Schlaganfall und Rückenmarksverletzung

In der Medizin kommen aktive Exoskelette vielfach zum Einsatz. Vor allem in der Therapie und Rehabilitation von Patienten mit neurologischen Erkrankungen, allen voran Schlaganfallpatienten, finden sich bereits zahlreiche Anwendungsgebiete. Ursprünglich wurden solche aktiven Exoskelette für Patienten mit Rückenmarksverletzungen entwickelt, um Querschnittgelähmten wieder das Gehen zu ermöglichen. Mittlerweile werden diese Exoskelette – von den Anbietern auch gerne als „bionische Anzüge“ bezeichnet – zur Behandlung von Patienten mit Parese oder Plegie der unteren Extremitäten aufgrund von Schlaganfall, Querschnittlähmung, erworbener Hirnverletzung, Multipler Sklerose oder Schädel-Hirn-Trauma eingesetzt. Diese Patienten leiden oft unter Einschränkungen der unteren Gliedmaßen und einem damit verbundenen Beweglichkeitsverlust. Mithilfe des Exoskeletts können sie allmählich lernen, aus dem Rollstuhl aufzustehen, mit Unterstützung das Gleichgewicht zu halten und wieder zu gehen.

Weltmarktführer in der Exoskelett-Technologie ist das Unternehmen Ekso Bionics. Eines der jüngsten Projekte des kalifornischen Unternehmens (mit Europasitz Hamburg) ist ein individuell an den Körper anpassbares Exoskelett, das für Schlaganfallpatienten und Patienten mit erworbenen Hirnverletzungen sowohl in der frühen, stationären wie auch in der späteren Phase der Rehabilitation konzipiert ist. Beim EksonNR handelt es sich um ein über der Kleidung tragbares, batteriebetriebenes, robotisches Exoskelett, das es Patienten mit Schwächungen oder Lähmungen der unteren Extremitäten ermöglicht, aufzustehen und zu gehen. Das Exoskelett erlaubt – für viele Patienten erstmals nach langer Unterbrechung – sicheres Stehen und Gehen mittels elektrischer Motoren, die die Beine des Nutzers bewegen und so die defizitäre neuromuskuläre Funktion ergänzen oder ganz ersetzen.

In der klinischen Therapie wird die US-Entwicklung dazu eingesetzt, Wirbelsäule, Rumpf und Beine – einschließlich der Hüft-, Knie- und Knöchelgelenke – zu stützen, um korrekte Bewegungsabläufe in allen Phasen der physischen Rehabilitation zu fördern. Die robotergestützte Bewegung kann Patienten mit Lähmungen der unteren Extremitäten je nach ihren Bedürfnissen eine vollständige Unterstützung oder Hilfestellung beim Gehen bieten. Alternativ können patienteninitiierte Bewegungen durchgeführt werden, um die Muskelaktivität des Unterkörpers zu fördern. Im Rahmen des adaptiven Gangtrainings werden Beingelenke und -bewegungen kontrolliert, um zu verhindern, dass der Patient eine Schonhaltung einnimmt, sodass er wieder zu einem natürlicheren Gangbild gelangt.

Das EksonNR verwendet Sensoren und eine Software, die die Bewegungen und Position des Gerätes kontrolliert, um die Effektivität und Sicherheit der Therapie zu garantieren. Wenn ein Patient seine Funktionen verbessert und Gleichgewicht, Koordination und Kraft zum Teil wiedererlangt, wird die Unterstützung dementsprechend reduziert. Der Patient wird auf diese Weise gefordert, weitere Fortschritte zu machen. Das Gerät verfügt über einen Touchscreen-Controller, der es dem Therapeuten ermöglicht, Therapieziele und Unterstützungsgrad individuell auf die Bedürfnisse des Patienten abzustimmen. Physiotherapeuten können außerdem problemlos auf die Datenbank des Geräts zugreifen, um komplexe Bewegungsmuster zu analysieren und den Fortschritt des Patienten zu dokumentieren. Ein weiterer Hersteller von aktiven Exoskeletten für die neurologische Rehabilitation ist das Unternehmen ReWalk, das einen leichten, nur das Bein umfassenden „Exo-Suit“ zur Rehabilitation von Schlaganfallpatienten mit eingeschränkter Gehfunktion auf den Markt gebracht hat. Diese Vorrichtung zur Gangschulung kann mittels akkubetriebener Motoren Plantarflexion und Dorsalextension aktiv unterstützen, ist aber auch als passive Unterstützung der eigenen Bewegungen des Patienten einsetzbar.

Mit Elektrostimulation kombiniert

„Es gibt wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass mittels robotischer Neurotherapie die Grundprinzipien dieser Therapie besser erfüllt werden können als mittels klassischer Physiotherapie“, erklärt Dennis Veit, therapeutischer Leiter von Tech2people, der einzigen Einrichtung, die ambulante exoskelettale Neurotherapie in Österreich anbietet. Mithilfe von Exoskeletten bzw. bionischen Anzügen ließe sich beim Gehtraining eine deutlich höhere Wiederholungszahl erreichen, unterstreicht Veit: Während ein Patient beim herkömmlichen Gehtraining in einer Übungseinheit vielleicht 40 oder 50 Schritte zurücklege, schaffe er bei der exoskelettalen Therapie bis zu 2000 Schritte im selben Zeitraum – wobei es sich bei dem erlernten Gangmuster von Anfang der Therapie an um ein natürliches handle. Als weiteren Vorteil der exoskelettalen Therapie hebt Veit hervor, dass der Patient gut gegen Stürze abgesichert ist. Auch könne das Gehtraining mit Funktioneller Elektrostimulation (FES) kombiniert werden. Zu guter Letzt brauche man für eine exoskelettale Neurotherapie nicht mehrere, sondern nur einen einzigen Therapeuten, wobei Veit klarstellt: „So ein Gerät ersetzt nicht den Therapeuten – im Gegenteil: Dazu braucht man sehr gut ausgebildete Therapeuten.“ Dazu kommt für die Patienten eine beeindruckende Kostenfrage: Das Start-up-Magazin Brutkasten beziffert eine Therapiestunde mit einem Exoskelett von Ekso Bionics mit 200 Euro pro Stunde. Der Anschaffungspreis eines EksonNR lag 2018 bei 120.000 Euro.    //

Exoskelette in der Arbeitswelt

In Industrie und Logistik werden passive Exoskelette bereits vielfach als Assistenzsysteme eingesetzt, um die menschliche Leistungsfähigkeit zu unterstützen und Muskel-Skelett-Erkrankungen vorzubeugen. Getragen werden sie zum Beispiel von Arbeitern, die in einem Lager schwere Lasten heben müssen. Ein wichtiger Einsatzbereich für passive Exoskelette liegt bei den ergonomisch äußerst belastenden Über-Schulter-Arbeiten, etwa in der Automobilproduktion, aber auch bei Tätigkeiten wie der Montage von Lampen an der Decke oder dem Verputzen von Plafonds. Während diese Exoskelette wie Rucksäcke oder Jacken den gesamten Oberkörper umschließen und auf Rücken-, Schulter-, Wirbelsäulen- und Nackenbelastungen fokussieren, gibt es auch Exoskelette, die sich auf begrenztere Körperteile konzentrieren, etwa auf das Handgelenk oder den Daumen. Die Firma Ottobock, einer der führenden Anbieter für Exoskelette, schätzt, dass sich der Markt für industrielle Exoskelette bis 2025 auf mehrere Hundert Millionen Euro vervielfachen wird. Die Tochterfirma suitX entwickelt bereits eine neue Reihe von Exoskeletten, die Nutzer bei diversen Freizeitaktivitäten unterstützen soll.
Für aktive Exoskelette existieren in Industrie und Logistik noch keine konkreten Anwendungen. Man sei auf diesem Gebiet „noch nicht über Pilotstudien hinausgekommen“, erklärt Dr. Philipp Hold, für Exoskelette in Produktion und Logistik zuständiger Projektleiter bei Fraunhofer Österreich. Hold beschäftigt sich mit der Implementierung von Exoskeletten in den Produktionsprozessen. Derzeit versuche man noch zu eruieren, in welchen Bereichen der Einsatz von aktiven Exoskeletten überhaupt Sinn macht. „Aktive Exoskelette sind ein heikles Thema, weil der Mensch dabei zu einem Teil einer Maschine wird“, erklärt der Projektleiter der außeruniversitären Forschungseinrichtung.

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