SAP: Den Stecker gezogen

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Autor: Martin Hehemann

Der Software-Konzern SAP stellt den Support einer wichtigen Verwaltungssoftware für Kranken­häuser ein. Spätestens Ende 2030 ist Schluss. In Österreich sind mehr als 100 Spitäler betroffen.

AKH-Direktor Herwig Wetzlinger übt sich in stoischer Gelassenheit: „Es widerstrebt mir, am Softwaremarkt mit Emotionen zu arbeiten. Das bringt nichts.“ Einem heimischen Krankenhaus-Manager, der es vorzieht, nicht genannt zu werden, ist dagegen anzumerken, dass die Nachricht beschleunigend auf seinen Ruhepuls wirkt: „Die haben einfach den Stecker gezogen. Das hätte ich nicht erwartet.“

Bei „die“ handelt es sich streng genommen um „den“ – und zwar um den deutschen Software-Konzern SAP. Dieser hat im Oktober 2022 angekündigt, den Support für seine Krankenhaus-Management-Software IS-H (Industry Solutions Healthcare) bis spätestens Ende 2030 einzustellen. Bei IS-H handelt es sich um ein leistungsstarkes Programm, mit dem die Krankenhäuser die gesamte Administration ihrer Patientendaten abwickeln. Die Bedeutung der Software für die betroffenen Kliniken ist kaum zu überschätzen. Ohne IS-H geht nichts – keine Aufnahme von Patienten, keine Leistungsbeschreibung, keine Entlassung, kein Schreiben von Rechnungen.

Zum Aus-der-Haut-Fahren. Spitäler, die bislang mit SAP-Software gearbeitet haben, kommen mächtig unter Druck. Externe Partner von SAP sollen über Schnittstellen den Support übernehmen – eine heikle Aufgabe.

In fast allen Häusern

Experten schätzen, dass rund 800 Krankenhäuser in der DACH-Region derzeit IS-H im Einsatz haben, mehr als 100 davon in Österreich. Walter Schinnerer, der als Fachvorstand der SAP-User-Organisation DSAG für Österreich verantwortlich ist, vermutet, dass hierzulande „fast alle öffentlich-rechtlichen Krankenhäuser IS-H verwenden“. Schinnerer zeigt sich mäßig erfreut über die Vorgangsweise des deutschen Software-Riesen. „SAP hat uns jahrelang gesagt: Ja, wir werden den Krankenhausmarkt nicht vergessen und eine Lösung anbieten. Nun ist die Katze aus dem Sack“, so Schinnerer.

Ganz ohne Alternative lässt SAP seine Kunden nicht zurück. Aber es ist eine, die ihnen nicht besonders behagt. Der Konzern wird in Zukunft keine eigene Spezialsoftware mehr für das Krankenhaus-Management entwickeln, will es aber externen Partnern ermöglichen, derartige Programme über Schnittstellen zur Verfügung zu stellen.

Zum Hintergrund: IS-H ist eng mit dem Herzstück der SAP-Produktpalette, dem Programm ECC, verknüpft. Mit ihm steuern Unternehmen, darunter auch viele heimische Krankenhäuser, ihre Finanzbuchhaltung, Kostenrechnung oder Materialwirtschaft. Derartige Systeme werden auch ERP genannt. SAP ist hier weltweit Marktführer. ECC wird im Zuge der Umstellung auf das 2015 eingeführte neue SAP Betriebssystem S/4HANA nun eingestellt. Kostenlosen Service und Updates für ECC gibt es nur mehr bis Ende 2027 und gegen Aufpreis bis Ende 2030. Die IT-Manager der Krankenhäuser hatten bis vergangenen Oktober noch gehofft, dass SAP für IS-H eine andere Lösung anbietet – so kam es aber nicht. Was für ECC gilt, gilt auch für IS-H: Spätestens Ende 2030 ist Schluss.

SAP-Manager Werner Eberhardt, Head of Global Health Industry, hat vor Kurzem sechs Unternehmen genannt, die einen Nachfolger für IS-H entwickeln wollen – darunter das Innsbrucker Unternehmen AT Solution Partner und T-Systems Austria, die gemeinsam an einer Lösung arbeiten, sowie CompuGroup Medical (CGM) und Dedalus, zwei große internationale Anbieter von Software für die Gesundheitsbranche. „Das verschafft den Kunden Sicherheit. Wir geben das klare Signal: Ihr fallt nicht ins Leere“, so Michael Dahlweid, globaler Produktvorstand von Dedalus, gegenüber der ÖKZ.

Das mit der Sicherheit ist allerdings so eine Sache. Sicher ist vor allem, dass viel Arbeit auf die betroffenen Krankenhäuser wartet. Denn die stehen nun vor der veritablen Herausforderung, bis spätestens Ende 2030 ein neues Krankenhaus-Management-System installieren zu müssen. Was für Laien nach einer Ewigkeit klingt, treibt IT-Managern die Schweißperlen auf die Stirn. DSAG-Vertreter Schinnerer: „Inklusive des notwendigen Ausschreibungsverfahrens sind sieben Jahre für die Implementierung eines solchen Systems der Best Case. Das werden viele Häuser in Österreich nicht schaffen.“ Bernhard Calmer, Area Vice President Hospital Information Systems bei CGM, sieht das ähnlich: „Die Zeit ist kurz – zumal die Entscheidungsprozesse in den Krankenhäusern nicht immer die schnellsten sind.“

Dedalus-Vorstand Dahlweid weist auf ein weiteres Problem hin: „Pro Jahr werden vielleicht zwischen 20 und 30 Implementierungsprojekte vergleichbarer Größenordnung in Kliniken in der DACH-Region umgesetzt. Darauf sind die Kapazitäten am Markt ausgerichtet. Hier sprechen wir nun plötzlich von hunderten Umstellungen bis zu einer eng getakteten Deadline. Das wird nicht gehen.“ Aus Sicht des Dedalus-Managers gibt es nur einen realistischen Ausweg aus dem Dilemma: die Cloud.

Potenzielle Lösungsbringer. Dedalus-Produktvorstand Michael Dahlweid warnt vor den starren Strukturen von cloudbasierter Software. Sein Unternehmen plant, gemeinsam mit Partnern eine SAP-kompatible Nachfolgelösung anzubieten.

Umwölkte Reaktionen

Dieses kurze Wort ist unter den IT-Managern der Gesundheitsbranche allerdings so populär wie ein Virus am Zentralrechner. Bislang war es üblich, komplexe Programme wie IS-H vor Ort beim Kunden zu implementieren. Im Fachjargon nennt sich das „On Premise“. Das ermöglicht individuelle, maßgeschneiderte Lösungen, erfordert aber auch deutlich mehr Aufwand. Die Cloud-Variante setzt dagegen auf ein weitgehend standardisiertes Programm, das zentral – eben in der Cloud – installiert ist, und auf das die verschiedenen Kunden zugreifen können.

„Die Cloud bedeutet Standardisierung. Individualisierungen und Sonderwünsche werden bei solchen Implementierungen dann eher geringere Priorität haben“, meint Dedalus-Vorstand Dahlweid. Sein Kollege Calmer vom Mitbewerber CGM glaubt allerdings, dass eine gewisse Standardisierung vielen Kunden sogar durchaus recht sein könnte. „Die Fluktuation beim Personal steigt in der Gesundheitsbranche stetig und damit auch der Schulungsaufwand. Es hilft, wenn der neue Mitarbeiter das Programm schon vom vorherigen Arbeitgeber kennt.“

Besagte Kunden stehen der Cloud-Lösung dennoch mit Skepsis gegenüber – vor allem aus datenschutzrechtlichen Gründen. AKH-Direktor Wetzlinger: „Cloud-Lösungen werden in unserer Branche kritisch gesehen, weil wir mit sehr sensiblen Patientendaten umgehen.“ Aus Sicht von CGM-Manager Calmer wäre das kein Ausschließungsgrund. „Wir würden die Cloud so gestalten, dass sie alle Auflagen des Datenschutzes erfüllt. Das ist möglich.“ Calmer zeigt sich aber flexibel: „Wir sind da letztlich agnostisch. Wenn der Kunde On Premise will, dann bekommt er das.“

DSAG-Vertreter Schinnerer favorisiert eine besondere Version der On Premise-Variante. Einer der sechs von SAP genannten Kooperationspartner, das deutsche Unternehmen CITG, plant das bestehende, in die Jahre gekommene IS-H so zu adaptieren, dass es auf S/4HANA auf neuer SAP-Architektur laufen kann. „Das wäre die perfekte Lösung“, so Schinnerer. „Eine völlige Neuentwicklung wird vermieden. Und man spart Zeit und Kosten.“ Dem Vernehmen nach denkt T-Systems Austria, ein weiterer Name auf der Kooperationsliste von SAP, in die gleiche Richtung. Von IT-Experten wird aber bezweifelt, ob das technisch überhaupt möglich ist. AKH-Direktor Wetzlinger sieht es philosophisch: „Was auch immer herauskommt, wir werden bis Ende 2030 eine Lösung brauchen und haben.“ 

Lesen Sie hier Teil 2: SAP: Und tschüss!

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