Gesundheitsberufe: Kompetenz für's Klima

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Martin Hehemann

Experten fordern in den Gesundheitsberufen mehr Wissen zur Klimawende. Das Gesundheitsministerium reagiert: Bis Ende 2023 soll ein Kompetenzprofil entwickelt werden, das als Basis für umfangreiche Bildungsmaßnahmen dienen soll.

Ilonka Horváth saß an einem heißen Sommertag im Wartezimmer ihrer Ärztin, als sich eine ältere Dame durch die Hitze offensichtlich unwohl fühlte: „Noch bevor ich reagieren konnte, war schon die Sprechstundengehilfin bei uns, hat die Dame angesprochen und ihr ein Glas Wasser zum Trinken gereicht. Das ist gelebte Klimakompetenz.“

Die Senior Health Expertin der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) arbeitet derzeit gemeinsam mit der Klimatologin Katharina Brugger intensiv an der Frage, wie Klimaschutz im Bewusstsein der Bevölkerung verankert werden kann. Die beiden Expertinnen sind im Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit der GÖG beschäftigt. Die GÖG ist eine Tochtergesellschaft der Republik Österreich und vom Gesundheitsministerium beauftragt, „ein Profil für die gesundheitsbezogene Klimakompetenz zu entwickeln“, wie Brugger erläutert. Das Kompetenzprofil soll österreichweit als Grundlage für Ausbildungsinstitute dienen, damit diese in strukturierter Form Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesundheitsberufe entwickeln können. Das Ziel: Ärzte, Krankenpfleger, Physiotherapeuten und Co. sollen das notwendige Know-how erhalten, die Herausforderungen des Klimawandels bewältigen zu können.

Verpflichtend im Lehrplan. Klimaschutz soll in der Ausbildung von Gesundheitspersonal verankert werden. Medizinische und pflegerische Mitarbeiter gelten als Multiplikatoren von hoher Glaubwürdigkeit. Die Inhalte dazu werden derzeit im GÖG formuliert.

15.000 Hitzetote

Laut Schätzungen der WHO sind in Europa im Jahr 2022 rund 15.000 Hitzetote zu verzeichnen gewesen. „Überdurchschnittlich heiße Perioden sind nichts Neues. Die hat es auch früher schon gegeben“, so GÖG-Expertin Horváth. „Aber sie waren kürzer und traten seltener auf.“ Ihre Kollegin Brugger ergänzt: „Auch die Länge einer Hitzeperiode hat Auswirkungen auf den Körper und damit auch auf die Pflege von älteren oder kranken Menschen. Das betrifft zum Beispiel die Medikamente und deren Aufnahme im Körper.“ Dazu kommen die psychischen Belastungen. „Studien zeigen, dass die psychischen Auswirkungen bei Betroffenen von Naturkatastrophen viel stärker sind als die körperlichen. Das Verhältnis liegt in etwa bei vierzig zu eins“, meint Andrea Stitzel. Sie ist Vorstandsmitglied von Health for Future, einem Verein, der sich dafür einsetzt, das Gesundheitssystem auf die Herausforderungen des Klimawandels vorzubereiten. „Die Jungen haben zunehmend Angst vor der Zukunft und die älteren Menschen davor, dass das Leben, das sie gewohnt sind, gefährdet ist.“

Von den Vertretern des österreichischen Gesundheitswesens wird daher lautstark eine Bildungsoffensive gefordert, um die Gesundheitsprofessionen in Hinsicht auf die Klimakrise zu schulen. Vor wenigen Wochen, im April, übergab ein breites Bündnis von 30 Organisationen aus den Bereichen Bildung, Gesundheit und Klimaschutz einen offenen Brief an vier Bundesministerien (Gesundheit, Klimaschutz, Bildung, Finanzen), in dem sie diese Forderungen unterstrichen. Zu den Unterzeichnern gehörten die Universität für Bodenkultur in Wien, die Österreichische Ärztekammer, der Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGK) oder der Dachverband der gehobenen medizinischen Dienste (MTD). Der letzte Satz des Briefs: „Wir haben keine Zeit mehr, dies länger hinauszuschieben!“

Klimakompetenz als Pflichtfach

Andrea Stitzel, die zu den Co-Autorinnen des offenen Briefs gehört, begrüßt die Arbeit der GÖG. „Das Kompetenzzentrum des GÖG ist zentral, um das Klima-Gesundheits-Thema in Österreich voranzubringen. Es braucht die Unterstützung von Bund und Ländern“, meint das Vorstandsmitglied von Health for Future Austria. Stitzel, im Hauptberuf Dozentin für Gesundheitsberufe, weiter: „Es gibt schon zahlreiche Bildungsangebote auf freiwilliger Basis. Jetzt geht es aber darum, das Thema Klimakompetenz verpflichtend in den Lehrplänen zu verankern.“

Die Basis dafür wird gerade von den GÖG-Expertinnen Brugger und Horváth erarbeitet. In einem ersten Schritt haben sie definiert, was unter „gesundheitsbezogener Klimakompetenz“ überhaupt zu verstehen ist. Brugger: „Es ist wichtig, dass es hier ein gemeinsames Verständnis gibt und man sich einig ist, worüber eigentlich gesprochen wird.“ (siehe Kasten unten)

Vertrauensbonus nutzen

Der letzte Aspekt – mit Maßnahmen zum Klimaschutz beizutragen – liegt sowohl Brugger und Horváth als auch Health for Future-Vorstand Stitzel besonders am Herzen: „Die Gesundheitsberufe haben einen enormen Vertrauensbonus bei den Menschen. Das kann man nutzen, um Verhaltensveränderungen zu bewirken“, meint Stitzel. „Wenn mir meine Ärztin oder Physiotherapeutin rät, die zwei Kilometer zur Praxis zu Fuß zu gehen statt mit dem Auto zu fahren, dann mache ich das vielleicht sogar. Das ist gut für die Gesundheit und die Umwelt.“

Brugger und Horváth haben aus den 34 gesetzlich geregelten Gesundheitsberufen 14 selektiert, die ihrer Ansicht nach höchste Priorität bei Schulungsmaßnahmen haben sollten. Auf ihrer Shortlist befinden sich Ärzte und Fachärzte, Physiotherapeuten und Psychotherapeuten, Apotheker sowie Hebammen und Gesundheits- und Krankenpfleger. Bis Ende des Jahres wollen die GÖG-Mitarbeiterinnen nun ein übergreifendes Kompetenzprofil für alle Gesundheitsberufe entwickeln, in dem detailliert festgehalten wird, welche Fähigkeiten das Gesundheitspersonal besitzen muss, um professionell mit dem Klimawandel umgehen zu können. Health for Future-Vorstand Stitzel erwartet sich von der Arbeit der GÖG einen dringend notwendigen Schub für die Bemühungen, das Gesundheitswesen klimafit zu machen: „Die Auswirkungen des Klimawandels auf das Gesundheitswesen werden gewaltig sein. Uns stehen Herausforderungen bevor, die sich viele von uns noch gar nicht vorstellen können – gerade, wenn es um das Thema Hitze geht.“  

Quellen und Links

Publikationen der GÖG

Offener Brief von 30 Organisationen zur Klimakompetenz

Facebook-Seite von Health for Future Wien

Klimakompetenz für Gesundheitsberufe laut GÖG

Gesundheitsbezogene Klimakompetenz beschreibt die Fähigkeit einer Person,

– die wesentlichen Prinzipien des Klimasystems der Erde zu verstehen und um den Einfluss des eigenen Verhaltens auf das Klima bzw. den Einfluss des Klimas auf einen selbst zu wissen,

– die direkten und indirekten Zusammenhänge zwischen Klima und Gesundheit zu erkennen,

– wissenschaftlich fundierte Informationen zu diesem Thema zu finden, zu verstehen, zu bewerten und zu kommunizieren,

– informierte und verantwortungsvolle Entscheidungen für sich und andere treffen zu können, die einerseits die Gesundheit fördern und erhalten sowie andererseits das Klima schützen und

– informierte und verantwortungsvolle Entscheidungen für sich und andere treffen zu können, um mit den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels umgehen zu können.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Weiterlesen

SALUS – Steirischer Qualitätspreis Gesundheit 2022

Mit dem „SALUS“ – Steirischer Qualitätspreis Gesundheit wurden Projekte und die Menschen dahinter ausgezeichnet, die Gesundheitskompetenz von Pflegenden stärken, die Notfall-Versorgung von Neugeborenen trainieren und das steirische Fehlbildungsregister gegründet haben.