Krebsvorsorge: Das Frühwarnsystem Sybil

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Autor: Stephanie Dirnbacher-Krug

Ein Algorithmus kann auf Basis eines CT-Bildes das Auftreten von Lungenkrebs Jahre im Voraus erkennen. Die Chancen für eine neue Effizienz der Krebsvorsorge sind enorm.

Ein einziger Scan reicht, um mit 94-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, ob der Patient im nächsten Jahr Lungenkrebs bekommen wird. Sybil macht es möglich. Die künstliche Intelligenz wurde von Forschern des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und des Mass General Cancer Centers am Massachusetts General Hospital entwickelt. Sie erkennt auf einer niedrigdosierten Computer­tomografie (CT) bis zu sechs Jahre vor einer Diagnose, was dem menschlichen Auge der besten Radiologen verborgen bleibt: Muster im Zusammenhang mit Lungenkrebs, die sich abzeichnen, bevor ein Tumor überhaupt entsteht. „Bei einem CT-Scan handelt es sich um eine immense Menge an Daten. Wir kratzen lediglich an der Oberfläche, wenn wir das nur mit unseren Augen betrachten“, bringt es Lecia Sequist vom Sybil-Forscherteam und Onkologin am Massachusetts General Hospital in einem Interview mit NBC News auf den Punkt.

Sybil wurde anhand von Daten aus rund 27.000 niedrigdosierten Computertomografien – sowohl von Rauchern als auch von Nichtrauchern – validiert. Das Modell kann in Echtzeit im Hintergrund einer radiologischen Arbeitsstation laufen. Für die personalisierte Risikobewertung benötigt es nur einen einzigen Scan und muss nicht mit zusätzlichen klinischen Daten oder Anmerkungen von Radiologen gefüttert werden.

Mehr Zukunft mit KI. Noch gibt es in Österreich keine Screening-Vorsorge für Lungenkrebs. Sybil erkennt Muster, die sich abzeichnen, bevor ein Tumor überhaupt entsteht – und das bis zu sechs Jahre im Voraus.

Höhere Überlebensrate

Mit der Frühwarnfunktion könnte Sybil die Lungenkrebsvorsorge revolutionieren und vielen Menschen das Leben retten. Denn das Tödliche an Lungenkrebs ist, dass er in der Regel zu spät erkannt wird – meistens, wenn die Patienten schon von Symptomen wie langanhaltendem Husten oder Atembeschwerden geplagt sind. Bei den krebsbedingten Todesursachen liegt Lungenkrebs auf Platz eins. In Österreich sterben jährlich etwa 4.000 Menschen daran – längst nicht mehr nur starke Raucher. Auch immer mehr Nichtraucher erkranken an Lungenkrebs. „Lungenkrebs wird häufig erst in einem sehr späten Stadium entdeckt, nämlich dann, wenn der Krebs bereits gestreut hat und dadurch schwierig zu therapieren ist. Nur ein Fünftel aller Lungenkrebserkrankungen wird hingegen in einem frühen Stadium entdeckt“, erklärt Helmut Prosch, stellvertretender Leiter der klinischen Abteilung für allgemeine Radiologie im AKH Wien. Doch genau das wäre nötig, um die Überlebenschancen zu verbessern. Momentan liegt die Quote derjenigen, die fünf Jahre nach einer Lungenkrebsdiagnose noch leben, bei nur 20 Prozent.

Forschungen haben gezeigt, dass das niedrigdosierte CT-Screen­ing das Sterberisiko bei Lungenkrebs fast um ein Viertel reduzieren kann – schlicht und einfach, weil früher eingeschritten werden kann. Wie eine großangelegte Langzeitstudie eindrucksvoll demonstriert, steigt die 20-Jahres-Überlebensrate von Lungenkrebspatienten auf 81 Prozent, wenn sich diese jährlich einer niedrigdosierten Computertomographie unterziehen.

Screeningprogramme: eine logistische Herausforderung

Screeningprogramme für Lungenkrebs gibt es in Österreich allerdings noch nicht. Prosch spricht von einer „logistischen Herausforderung“, diese umzusetzen. Sybil hält er für „vielversprechend“, auch wenn man die KI noch in größerem Maßstab testen müsste.

Sybil reiht sich in eine lange Liste von KI-Tools in der Radiologie ein. Allerdings dienen die meisten dazu, Ärzte bei der Dia­gnose und Behandlung von Krebs und weniger bei der Früherkennung zu unterstützen, wie Sybil es tut.

In dem im Juni 2023 eröffneten Christian Doppler Labor für Maschinelles Lernen zur Präzisionsbildgebung zum Beispiel werden Modelle entwickelt, um die personalisierte Therapie von Lungenkrebspatienten zu verbessern. „Unser Fokus liegt auf KI, die das Therapieansprechen vorhersagt“, so Prosch, der dem Labor vorsteht. 

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