Spitalsarzt nach Suizid von Patientin freigesprochen

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Autor: Scho

Ein Wiener Spitalsarzt ist im Zusammenhang mit dem Suizid einer stationär aufgenommenen Patientin am Bezirksgericht Innere Stadt vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung rechtskräftig freigesprochen worden. Die Anklage ließ sich nach der Einvernahme von zwei Zeugen sowie den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Peter Hofmann nicht mehr aufrechterhalten, wie die Staatsanwältin am Ende der Verhandlung einräumte. Sie war mit dem Freispruch einverstanden.

Der angeklagte Psychiater hatte als diensthabender Oberarzt an der psychiatrischen Abteilung eines Wiener Krankenhauses die Frau in einem Zimmer ohne Videoüberwachung untergebracht. Im Strafantrag wurde ihm das insofern angekreidet, als er damit fahrlässigerweise von der gebotenen engmaschigen Überwachung Abstand genommen habe. Ursprünglich vorgeworfen wurde ihm weiters, die von ihm verordnete Medikation nicht erhöht und der Frau ihre Handtasche nicht abgenommen zu haben.

Der Angeklagte bekannte sich „aus gutem Grund nicht schuldig“, wie Verteidiger Manfred Ainedter schon eingangs der Verhandlung erklärte. Das bekräftigte der Arzt, der in der Zwischenzeit den Arbeitsplatz gewechselt hat, dann in seiner Beschuldigteneinvernahme: „Ich wüsste nichts, was ich anders machen würde. Ich würde nichts anders machen.“ Die Frau sei „nicht suizidal eingeengt“ gewesen: „Sie war nicht so psychotisch, dass man mit ihr kein Gespräch hätte führen können.“ Er sei daher nicht „von einer Umsetzungsabsicht“ ausgegangen. Nach dem Unterbringungsgesetz habe er die Frau nur deshalb aufgenommen, weil diese sich verfolgt fühlte und sich „wie in einem Film“ vorgekommen sei. Ein videoüberwachtes Zimmer wäre daher „kontraindiziert“ gewesen: „Das hätte ihre Paranoia weiter angeheizt.“

Von der Polizei ins Spital gebracht

Die Frau hatte sich am 27. Oktober 2021 von sich aus auf eine Polizeiinspektion begeben und Selbstmordgedanken geäußert. Die Beamten gingen von einer Psychose aus und brachten die Frau in ein Krankenhaus mit einer psychiatrischen Abteilung. Für die Polizeibeamten war akute Selbstgefährdung gegeben.

Im Spital nahmen zunächst ein junger Assistenzarzt, der sich zu Beginn seiner Facharztausbildung befand, und ein Pfleger die so genannte Ersteinschätzung vor. Dann zogen sie den erfahrenen Oberarzt bei, der der Frau Medikamente gegen psychotische Zustände sowie gegen Angst- und Spannungszustände verschrieb, die diese auch gleich bekam. Die Frau kam in weiterer Folge um 17.00 Uhr auf ein Zimmer. Bei einer Kontrolle um 18.00 Uhr sah der Pfleger die infolge der ihr verabreichten Medikamente sediert wirkende Frau im Bett sitzen. Eine dreiviertel Stunde später wurde sie dann leblos aufgefunden.

Die Rechtsvertreter der Hinterbliebenen, die sich als Privatbeteiligte dem Strafverfahren angeschlossen hatten, thematisierten in der Verhandlung besonders den Umstand, dass der Frau nicht die Handtasche abgenommen worden war. „Ich habe die nicht als gefährlich wahrgenommen“, sagte dazu der Angeklagte. Anders als ein Gürtel oder Schuhbänder sei eine Handtasche auch bei Patienten mit Suizidgedanken „per se kein gefährlicher Gegenstand“. Der Frau die Handtasche wegzunehmen, wäre für ihn vor allem im Hinblick auf die geänderte Rechtslage – nach dem novellierten Unterbringungsgesetz ist die Abnahme persönlicher Gegenstände streng geregelt und nur mehr unter ganz konkret festgelegten Voraussetzungen zulässig – „nicht verhältnismäßig“ gewesen, meinte der Angeklagte: „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass man eine Handtasche dafür hernehmen könnte. Ich hätte ihr nicht zugetraut, so etwas zu machen.“ Die Frau hatte sich mit dem Gurt der Tasche erhängt.

Für drei Stationen und 60 Betten zuständig

Der junge Assistenzarzt, der sich zum Zeitpunkt des Suizids im zweiten Monat seiner Ausbildung befand, schilderte als Zeuge, die Frau habe bei dem Erstgespräch zwar Suizidgedanken geäußert, diese aber zugleich insofern relativiert, als sie ihrer „Furcht vor dem Danach“ Ausdruck verliehen hätte. Er habe später „zu viel Arbeit gehabt, dass ich nicht dazu gekommen bin, nach ihr zu sehen“, bedauerte der Jungmediziner. Er sei damals nämlich für drei Stationen mit insgesamt 60 Betten zuständig gewesen und „massiv mit sehr vielen anderen dringenden Arbeiten“ beschäftigt gewesen: „Die Nachtdienste (diese beginnen der Darstellung des Zeugen zufolge im betreffenden Spital um 13.00 Uhr, Anm.) sind teilweise sehr, sehr wild im Sinne von intensiv.“

Der Pfleger, der als Letzter die Frau lebend gesehen hatte, berichtete, diese hätte in ihrem Zimmer deutlich ruhiger als beim Aufnahmegespräch gewirkt. Er habe daher keinen Grund gesehen, eine weitere Medikamentengabe in Betracht zu ziehen oder die Patientin weiter einzuschränken: „Wir sind kein Gefängnis.“

Für den gerichtlichen Sachverständigen und erfahrenen Gerichtspsychiater Peter Hofmann wäre es „fachlich unseriös gewesen, mit einer weiteren Dosis Medikamenten hineinzufahren“, wie er bei seiner Gutachtenerstattung darlegte. Er bezeichnete die Verantwortung des Angeklagten als „klinisch plausibel“. Dieser habe auf die zwei Notfallsituationen – das erstmalige Auftreten einer akuten Psychose bei der Patientin sowie das Äußern von Suizidgedanken – angemessen reagiert. Bei der Frau sei „keine akute Suizidalität, dass man laufend damit rechnen muss, dass etwas passiert“ gegeben gewesen, weshalb laut Hofmann „keine ausreichenden Anhaltspunkte“ für eine Videoüberwachung und die Abnahme der Handtasche vorlagen.

(APA/red.)

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