Ablöse von Krankenhausinformations­systemen (KIS) – Erfahrungswerte aus zwei Jahrzehnten

Lesedauer beträgt 3 Minuten
Autor: Knoll, Gartner-Wölfl, Mildschuh, Sattelberger

In diesem Fachbeitrag, erstmals erschienen im ÖGWK-Begleitbuch „Von Einsichten und Aussichten im Gesundheitswesen“, erfahren Sie alles über die Dos & Don‘ts aus 15 Jahren KIS bzw. der KIS-Moduleinführung, das KH-Informations­system, die Systemauswahl, das Workflow-Management, die Dokumentations­anforderungen, die Fieberkurve, die Pflegedokumentation, die IT-System­architektur, die Subsysteme, die User-Partizipation, die Interoperabilität und das PDMS.

Die Neueinführung oder Ablöse von Krankenhausinformationssystemen stellt eine große Herausforderung für viele Bereiche eines Krankenhauses oder einer sonstigen Gesundheitseinrichtung dar. Neben den technischen Herausforderungen sind es vor allem organisatorische, prozessuale und mitarbeiterbezogene Themen, die für eine erfolgreiche Umsetzung zu berücksichtigen sind. Die Basis für eine erfolgreiche Systemablöse wird dabei bereits im Vorfeld der Systemauswahl gelegt – was dabei aus unserer Erfahrung zum Erfolg beiträgt, wollen wir im folgenden Text kurz darstellen:

1 Zielbild für das neue System entwickeln und klar kommunizieren

Das KIS prägt bewusst und unbewusst die Abläufe eines Krankenhauses und der damit arbeitenden Mitarbeiter:innen. Über die Jahre eingespielte Abläufe ändern sich mit der Umstellung zwangsläufig, ganz egal was im Vorfeld durch die diversen Anbieter versprochen wird. Daher muss das „Warum“ der Systemablöse und die damit verbundene Erwartung frühzeitig und ehrlich kommuniziert werden bzw. falschen Hoffnungen ebenso ehrlich begegnet werden.

2 Aufwand und Vorlaufzeiten richtig einschätzen

Aufgrund der Vielzahl an Stakeholdern und der unterschiedlichen Interessenslagen müssen die Vorlaufzeit und der Aufwand, um die für das Haus oder den Träger am besten geeignete Lösung zu finden und umzusetzen, seriös bewertet werden. Damit das Vorhaben gelingen kann, müssen aus unserer Erfahrung alle Prozesse und Dokumentationsanforderungen aller beteiligten Berufsgruppen eingehend analysiert und optimiert werden – und dies im Vorfeld geplanter Vergabeaktivitäten. Läuft die Vergabe erst einmal, ist es zu spät und man (zumeist) nur noch Passagier bei der Umsetzung. Damit dieser Analyseprozess aber in relativ kurzer Zeit (max. 1 Jahr) gelingen kann, hat sich das Freistellen oder zumindest teilweise Freistellen von engagierten Mitarbeiter:innen sehr bewährt. Dauert der Prozess zu lange, sind die Erkenntnisse im Zuge der tatsächlichen Umsetzung bereits überholt oder aufgrund von Personalfluktuation nicht mehr nachvollziehbar.

3 Prozesse und Dokumentationsanforderungen verstehen und harmonisieren

Im Zuge der Analyse stellt sich meist sehr schnell heraus, dass vermeintlich gleich ablaufende Prozesse innerhalb des Hauses oder zwischen den Häusern eines Trägers doch nicht so gleich sind. Ebenso gibt es oft Dokumentationen, von denen man eigentlich nicht mehr genau weiß, warum sie erhoben werden oder für wen. Mit dem entsprechenden Commitment der Führungskräfte auf allen Ebenen ist die Festlegung der neuen Anforderungen und das Ausmisten von nicht mehr zeitgemäßen Themen essenziell. Dabei empfiehlt es sich, die Lösungen anderer Häuser vor Ort anzusehen. Jede Stunde, die in diese Vorphase einer Systemablöse investiert wird und zu echten Soll-Prozessen und umsetzbaren Harmonisierungen führt und nicht nur zu abstrakten und damit sinnlosen Prozesslandkarten und Dokumentensammlungen, wird sich im Zuge der Umsetzung typischerweise mehrfach rentieren.

4 Anforderungen an das neue System erfassen und im Vergabeverfahren durchsetzen

Da der KIS-Markt mittlerweile recht konsolidiert und internationalisiert ist (mit wenigen Ausnahmen im Bereich von Subsystemen), kommt der deutlichen Beschreibung aller Anforderungen eine sehr hohe Bedeutung zu. Die Größe und damit leider auch oft Schwerfälligkeit bei der Anpassung von Themen, die erst in der Umsetzung erkannt werden, kippt schnell einen Zeitplan. Außerdem sind die österreichischen Anforderungen an z. B. die Fallführung, Abrechnung oder gesetzlichen Vorgaben für die diversen Berufsgruppen nicht zu unterschätzen und stellen die meist internationalen Anbieter nicht selten vor Herausforderungen. Daher ist vor allem in der Vergabephase bei Aussagen wie „das ist in so-und-so vielen deutschen, englischen etc. Kliniken erfolgreich umgesetzt“ oder „das besprechen wir dann im Detail in der Umsetzung“ entsprechende Vorsicht notwendig. In der eigenen Sphäre gilt es aber auch, diese Anforderungen dann konsequent umzusetzen und nicht jeden Zuruf während der Umsetzung zu berücksichtigen, denn damit wurde in der Vergangenheit nicht nur einmal eine Systemablöse gekippt – das System, das jeden und alle zufriedenstellt und überall besser ist als das Vorgängersystem, gibt es nun einmal nicht.

5 System umsetzen und schulen

Während der Umsetzung gilt es, rasche und handlungsfähige Entscheidungsgremien aufzusetzen, denn die Frage nach Änderungen während der Umsetzung ist nicht jene, ob es welche gibt, sondern eher, wie schnell und effizient ihnen begegnet werden kann, ohne gleich das ursprüngliche Konzept zu verwerfen, das System zu Dingen zu zwingen, für die es nicht ausgelegt ist oder die Kosten explodieren zu lassen. Dabei spielt ein professionelles Änderungsmanagement, das den Überblick behält und auch die Zusammenhänge versteht, eine essenzielle Rolle.

Damit ein komplexes System wie ein KIS auch entsprechend genutzt werden kann, bedarf es eines hohen Know-hows bei den Anwendern. Hier wird in unserer Erfahrung zumeist – am falschen Platz – gespart. Mit typischerweise 0,5 – max. 2 Schulungstagen in Großgruppen ist eine effiziente und sichere Arbeit im System nicht möglich. Jede sinnvolle Excel-Schulung dauert länger. Auch hier muss eine ehrliche Kalkulation erfolgen; aus unserer Erfahrung ist es auch notwendig, dass in allen Organisationseinheiten und Berufsgruppen entsprechend umfangreich geschulte und didaktisch gute Mitarbeiter:innen zur Verfügung stehen, um auch nach Ende der Schulungen unterstützen zu können. Nur dadurch kann sichergestellt werden, dass das System richtig verwendet wird. Dies gilt ebenso für Mitarbeiter:innen, die erst später im Haus zu arbeiten beginnen und zumeist nur von Kolleg:innen eingewiesen werden.

Fazit: Im Gegensatz zu den meisten KIS-Umstellungsprojekten ist es aus unserer Sicht nicht nur notwendig, entsprechende Ressourcen während der Ausschreibung zu investieren, sondern zu allen Zeitpunkten der Projektabwicklung inklusive der Nachbetreuung der Anwender:innen.

Das Vorwort der Herausgeberinnen Julia Bernhardt, Kathrin Bruckmayer und Lena Sattelberger zum Buchband „Von Einsichten und Aussichten im Gesundheitswesen“ aus der ÖGWK-Schriftenreihe

Laut sind sie, die Rufe nach nachhaltigen Lösungen. Lösungen, die meist die anderen bringen sollen. Lösungen für mehr Gesundheit, für den niederschwelligen Zugang zu Prävention und Versorgung, für ein effizientes und effektives Gesundheitswesen. Das alles in einer Zeit, in der Tempo und Druck stetig steigen, der Wohlstand sinkt und die Resilienz insbesondere in den letzten Jahren gelitten hat. Eines wird immer deutlicher: der bisherige „Fahren auf Sicht“ Ansatz kann nicht der richtige sein, wenn es um mehr gesunde Lebensjahre für uns alle geht.

„Unterwegs in ungewissen Zeiten – Klartext. Wissen. Standpunkte.“

So titelt der 13. Österreichische Gesundheitswirtschaftskongress und lädt 450 Expert:innen, Führungskräfte und Entscheidungsträger:innen aus Gesundheitseinrichtungen, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und öffentlicher Verwaltung als Teilnehmer:innen des Kongress ein, den notwendigen Veränderungen mutig zu begegnen.

Mut, den es brauchen wird, den auch wir als Begleiter:innen zahlreicher Veränderungen schon erleben durften. Veränderungen im Gesundheitswesen – disruptive wie sanfte, in einzelnen Organisationseinheiten, mehrere Gesundheitsdiensteanbieter:innen betreffend bis hin zu Sektoren übergreifenden Projekten, die an den Grundfesten unseres Gesundheitssystems rüttelten. Wir haben sie in allen Berufsgruppen und Hierarchieebenen gesehen: die Menschen mit Mut, Empathie, Durchhaltevermögen, Kompetenz und Weitblick.

Neben diesem Mut benötigt es noch etwas: die nachhaltigen Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit können nicht von Einzelnen, sondern nur gemeinsam geschaffen werden. Kollaboration, interdisziplinäre, sektoren- und hierarchieübergreifende Zusammenarbeit wird zum Schlüssel. Sie, geschätzte:r Leser:in dieser Schriftenreihe sind ein Teil dieser Menschen, die ihre Gestaltungsspielräume nutzen und unser aller Gesundheitszukunft positiv wie nachhaltig mitgestalten. Unsere Einsichten und Ausblicke sollen Sie dabei ein Stück weit unterstützen.

Infos zur ÖGWK-Buchreihe

Von Einsichten und Aussichten im Gesundheitswesen: Konzepte, Praktiken und Erfahrungen für Gesundheitsorganisationen, Schriftenreihe zum Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongress, Band 2, Springer Verlag-GmbH in Kooperation mit
KPMG & SOLVE Consulting, Wien, 2023

SOLVE Consulting ist die größte Boutiqueberatung des Landes mit 100% Fokus auf das Gesundheitswesen. Ihr hochkompetentes und äußerst erfahrenes Team begleitet Gesundheitsorganisationen aller Sektoren und bietet praxisnahe Lösungskonzepte sowie einen ganzheitlichen Beratungsansatz, der durch moderne Methoden und begleitende Organisationsentwicklung unterstützt wird. SOLVE Consulting implementiert SOLUTIONS FOR HEALTHCARE mit dem höchsten Qualitätsanspruch. Für mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Für #mehrgesundheit – auch für die nächsten Generationen.
Weitere Infos: solve.at

Als Verbund rechtlich selbstständiger, nationaler Mitgliedsfirmen ist KPMG International mit rund 273.400 Mitarbeiter:innen in 143 Ländern eines der größten Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen weltweit. Die Initialen von KPMG stehen für die Gründerväter der Gesellschaft: Klynveld, Peat, Marwick und Goerdeler.
In Österreich ist KPMG eine der führenden Gruppen in diesem Geschäftsfeld und mit rund 2.000 Mitarbeiter:innen an neun Standorten aktiv. Die Leistungen sind in die Geschäftsbereiche Prüfung (Audit) und Beratung (Tax, Law und Advisory) unterteilt. Im Mittelpunkt von Audit steht die Prüfung von Jahres- und Konzernabschlüssen. Tax steht für die steuerberatende­ und Law für die rechtsberatende Tätigkeit von KPMG. Der Bereich Advisory bündelt das fachliche Know-how zu betriebswirtschaftlichen, regulatorischen und transaktionsorientierten Themen.
Mehr Infos unter: Healthcare – KPMG Austria

Die Autor:innen im Kurzporträt

Mag. Martin Knoll, zSPM
Projektmanagement und Betriebsorganisation

Martin Knoll studierte Handelswissenschaft an der WU Wien und ist seit 20 Jahren in Projekten im Gesundheitswesen tätig. Schwerpunkte sind dabei Krankenhausbetriebsorganisation, Implementierung von Krankenhausinformationssystemen und Strategieentwicklung. Aktuell ist er für den Bereich Strukturplanung und Finanzierung in der SOLVE Consulting zuständig.

Mag.a Gabriele Gartner-Wölfl
Standardisierung, Qualitätsmanagement, Statistik

Nach dem Studium der Statistik an der Universität Wien begann Gabriele Gartner-Wölfl im Bereich der klinischen Arzneimittelforschung zu arbeiten und durchlief auf internationaler Ebene die Bereiche Biometrie, Data Management und Qualitätsmanagement. Im Jahr 2021 wechselte sie zu SOLVE Consulting, wo sie in einem großen Standardisierungsprojekt ihre Expertise aus der Forschung einbringt.

Anna Mildschuh
Medizinische Dokumentation, LKF

Anna Mildschuh ist Senior Consultant bei der SOLVE Consulting und berät seit vielen Jahren Kunden auf dem Gebiet der Medizinischen Dokumentation. Ihr Beratungsschwerpunkt liegt dabei im Bereich der Leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung (LKF) und der Standardisierung von Stammdaten in Krankenhausinformationssystemen. Sie hat ein nebenberufliches Lektorat an der FH Burgenland inne.

Mag.a (FH) Magdalena Sattelberger zPM
Strategie, Steuerung, Veränderungsmanagement & Moderation für Gesundheitsorganisationen

Magdalena Sattelberger ist seit 2019 geschäftsführende Gesellschafterin und Principal Consultant bei SOLVE Consulting. Die studierte Wirtschaftswissenschafterin mit zahlreichen Zusatzausbildungen arbeitet seit knapp 20 Jahren für mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Ihre profunde Branchenkenntnis, umfassende Methodensicherheit und moderative Persönlichkeit machen sie zu einer favorisierten Partnerin von Gesundheitsorganisationen für die Begleitung von Veränderungsprojekten. Sie ist außerdem Co-Gründerin von SOLAR PLEXUS – Gestalter:innen der Gesundheitszukunft.

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