Führung als Profession: Sinn

Lesedauer beträgt 3 Minuten
Autor: Heinz K. Stahl

Welche drei Wegen zum Sinn gibt es nach Viktor E. Frankl? Das erfahren Sie im sechsten Teil der Essayreihe von Heinz K. Stahl zum Thema „Führung als Profession“.

In den frühen industriellen Organisationen war „Sinn“ kein Thema. Auf der Seite der Arbeitgeber stand die Disziplinierung durch eine starke Asymmetrie zwischen Führenden und Geführten im Vordergrund. Und für die arbeitenden Menschen in den Betrieben galt es, diese Bedingungen irgendwie durchzustehen. Der Fordismus, der die Fließbandarbeiter an ihren Arbeitsplatz fesselte und sie einem schonungslosen Tempo unterwarf, trieb die Monotonie und Sinnentleerung der Arbeit auf die Spitze.

Kurz nach dem ersten Weltkrieg wurden Umrisse einer „Freizeitgesellschaft“ erkennbar. Eine privilegierte Schicht konnte sich der Muße hingeben und über den Sinn des Lebens nachdenken. Der Masse blieb der Blick auf das „größere Ganze“ verwehrt. Für sie war das Leben Mühsal und die Arbeit notwendige Plage. Mit dem Entstehen der „Überschussgesellschaft“ (John Kenneth Galbraith) nach dem zweiten Weltkrieg wird das Arbeitsleid durch eine neue Qual ersetzt: Ein Überfluss an Erlebensmöglichkeiten führt zu einer bislang nie gekannten Qual der Wahl. Ganze Wirtschaftszweige leben davon, diese Unsicherheit der Selektion erträglicher zu machen. In der Arbeitswelt tut sich ein weiteres Problem auf. Angespornt durch bislang unterdrückte Werte wie Partizipation oder Autonomie wollen gerade jüngere Menschen in ihrer Arbeit einen Bedeutungszusammenhang erkennen. Welchen Sinn hat das, was ich tue? Der Blick auf das „größere Ganze“ darf nicht mehr das Privileg weniger sein.

Für Viktor E. Frankl, den unermüdlichen Missionar in Sachen Sinn, gibt es drei Wege zum Sinn: Der Mensch kann durch Kreativität einen bleibenden Wert schaffen; er kann sich den Erlebnissen der Natur, der Kunst oder der Solidarität hingeben; und er kann sich in einer positiven Weise auf sein unabänderliches Schicksal einstellen (Frankl überlebte die Konzentrationslager des NS-Terrors, verlor jedoch seine Eltern, seine Frau und seinen Bruder). Diese drei überaus ehrenwerten Wege der Sinnfindung müssen allerdings an die heutigen Arbeitswelten angepasst werden. Dazu drei Vorschläge.

Sinn durch Werte des Schaffens. Der Idealtypus ist hier der Mensch als Homo faber, der das, was er schafft, schon für sich allein als wertvoll und damit sinngebend erlebt. Er findet Sinn in der Arbeit und durch die Arbeit. Voraussetzungen dafür sind zum einen Arbeitsbedingungen, die es ermöglichen, dass das Geschaffene auch sichtbar wird, was bei Dienstleistungen nicht so einfach ist wie bei erzeugten Gütern. Zum anderen setzt dieser Weg die Existenz von Freiräumen voraus, in denen das eigene Wissen und die persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten entfaltet werden können. Die neuen bürokratiefernen Strukturen – von den teilautonomen Gruppen über die Adhokratie bis zum selbstorganisierenden Scrum – ebnen den Weg für diese Art der Sinnfindung.

Sinn durch Werte der Gemeinschaft. Solche Erlebniswerte entstehen durch menschliches Für- und Miteinander bei der Arbeit. Der Idealtypus ist hier der Homo socialis, der Mensch, der nicht ständig auf die Maximierung des Eigennutzens fixiert, sondern auf die Gemeinschaft hin ausgerichtet ist. Er importiert quasi die alte Idee der Nachbarschaftshilfe in sein Unternehmen. Voraussetzungen dafür sind Arbeitsbedingungen, die eine Vielfalt an sozialen Kontakten innerhalb des Unternehmens und nach außen hin willkommen heißen. Die für Konzerne typische Rollenkultur stranguliert den Homo socialis. Deshalb funktioniert dieser Weg der Sinnfindung am besten in Kulturen, in denen es genügend Freiräume für Informalität gibt.

Sinn durch Werte des Lernens. Der Weg zur Sinnfindung wird hier durch das Hinterfragen und Verändern einschränkender Denkmuster und Haltungen beschritten. Der Idealtypus ist der Homo discens, der lernende Mensch. Durch seine Offenheit für Neues sammelt er vielfältige Erfahrungen und vermag damit im Wechselspiel zwischen innerer und äußerer Welt sein Denken und Handeln weiterzuentwickeln. Lernen wirkt für ihn befreiend und bereichernd. Es leuchtet ein, dass in allen Organisationen, deren Wesenskern in Kreativität und Innovation besteht, dieser Weg der Sinnfindung nahezu vorgezeichnet ist.

All dies macht nachdenklich. Sinn gedeiht offenbar am besten in Nischen. Aber wie viele Menschen haben Zugang dazu? Ist der Blick auf das „größere Ganze“ am Ende ein Privileg?

Prolog zum Thema „Führung als Profession“ von Heinz K. Stahl

„Wer führen will, muss in erster Linie fachlich kompetent sein.“ Dieses Credo unseres Kulturkreises hat seinen Ursprung in den Handwerkszünften des Mittelalters. Wer es vom Lehrling über den Gesellen zum Meister gebracht hatte, genoss gesellschaftliches Ansehen. Hohes fachliches Können war eine wichtige Voraussetzung, um in den späteren Manufakturen die Führung im Sinne des „Vorangehens“ und „Bestimmens“ zu übernehmen. Diesem Vorrang konnte auch die Erfindung der Bürokratie und des Managements zu Beginn des 20. Jahrhunderts wenig anhaben.

Heute stehen wir vor der Situation, dass „Führung“ immer noch ein eine Art Nachgedanke ist. Der beste Verkäufer wird Verkaufsleiter, der geübteste Techniker Betriebsleiter, der kenntnisreichste Zahlenjongleur Leiter des Controllings. Parallelen im Gesundheitswesen müssen nicht eigens erwähnt werden. Was sie für Führung brauchen, werden sich die Auserwählten schon irgendwie zulegen. Konfrontiert mit den Umbrüchen in der heutigen Arbeitswelt, etwa die ungebremste Pluralisierung der Wertvorstellungen und Motive, sollen sich Führungskräfte plötzlich mit dem Menschen als Subjekt und nicht als Objekt auseinandersetzen. Psychologie, Soziologie und Philosophie drängen sich auf. Überforderung macht sich breit.

Gibt es eine Leitidee, um Führung unter diesen Umständen eine Kontur zu verleihen? Ja, sie lautet „Führung als Profession“. Profession ist der Gegenpol zum Nebenbei, ist mehr als der „Job“, ist ein Bekenntnis zu Könnerschaft und Verantwortung. Dieses Buches möchte die geschätzte Leserschaft dazu anregen, diese Idee in ihrem eigenen beruflichen Kontext zu unterstützen.

Führung als Profession von H.K. Stahl, Schriftenreihe zum Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongress, Band 1, Springer Verlag-GmbH, Wien, 2022

Der Essay zum Thema Sinn erschien in Kapitel 1 „Grundlegendes“.

Heinz K. Stahl, ao. Univ.-Prof., Dr. rer. soc. oec.,
Chemieingenieur; 24 Jahre Managementpositionen im Unilever-Konzern in Österreich, Großbritannien, Australien, den Niederlanden und Deutschland. 26 Jahre als Verhaltenswissenschaftler in Lehre und Forschung; Research Associate, Interdisziplinäres Institut für Verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management, Wirtschaftsuniversität Wien; Wissenschaftlicher Leiter Executive-Education-Programme, Management Center Innsbruck; Wissenschaftlicher Partner, Lehrstuhl Wirtschafts- und Betriebswissenschaften, Montanuniversität Leoben; Forschungspartner Department Gesundheit, Fachhochschule Burgenland; zahlreiche Publikationen, Autor und Herausgeber, u. a. der Reihe „Fokus Management und Führung“, ESV Verlag Berlin. Forschungspartner des Zentrums für systemische Forschung und Beratung, Heidelberg.
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