Es ist bisweilen nützlich sich zu erinnern, wie scholastisch die meisten Wörter gebildet worden sind, die aus dem technischen Gebrauche der Philosophen in die gebildete Gemeinsprache übergingen. Zwar ist unser Wort qualitas bedeutend älter als die mittelalterlichen Formationen quidditas und haecceïtas, über welche jeder Lehrling der Philosophiegeschichte sich gern lustig macht; aber diese beiden Begriffe hatten trotz ihrer sprachlichen Abscheulichkeit einen guten Sinn, einen bessern vielleicht als das vom klassischen Cicero geprägte Wort qualitas.
quidditas sollte das Was (quid) der Dinge bezeichnen, mit einer just für die Scholastiker überraschenden Unklarheit zugleich die Materie und die Form; haecceïtas sollte deiktisch auf dieselben Dinge als Individuen hinweisen; doch so, dass beide Begriffe wortrealistisch die Kräfte benennen sollten, die hier das quid, dort das haec der Dinge hervorriefen.
Dem Begriffe qualitas fehlt von Hause aus eine solche Beziehung zur Ontologie; er drückt ursprünglich eine Schülerfrage der Grammatik aus und ist, als Aristoteles die Hauptredeteile der Grammatik für logische Kategorien ausgab, einfach in die Logik hinübergenommen worden. Ich setze dabei als bekannt voraus, dass – wie gesagt – Cicero die lateinische Lehnübersetzung von griech. ποιοτης (schon bei Platon, von ποιος, qualis) der dankbaren Welt geschenkt hat; er sagt (Acad. I. 7, 25): qualitates igitur appellavi, quas ποιοτητας Graeci vocant, quod ipsum apud Graecos non est vulgi verbum, sed philosophorum.

Wir können das lateinische Wort am häufigsten durch Eigenschaft oder Beschaffenheit übersetzen, gelegentlich auch durch Art oder durch das gelehrtere Modus. Die Entstehung des griechischen Modellworts erklären wir uns am besten, wenn wir an die Methode denken, die unsern Kindern die Kenntnis der Redeteile beibringt; man fragt nach den Kasus des Substantivs mit den hergebrachten Fragen wer oder was, wessen usw., so fragt man auch nach dem Eigenschaftswort durch das hergebrachte wie beschaffen (qualis); und da die Antwort ganz allgemein talis heißen muss, so hätte die Kategorie (da doch die Logik Antworten ordnen will und nicht Fragen) auf Lateinisch pedantischer Weise talitas heißen müssen. Wir wollen uns aber gern mit der überlieferten Wortform qualitas begnügen.
Auch Kant hat den Begriff der Qualität in seine neue Kategorientafel aufgenommen, hat allerdings viel scharfsinniger als Aristoteles unter den Kategorien nicht Redeteile, sondern Urteilsformen verstanden, hat die Kategorie der Qualität nach ihren drei Arten getrennt (Realität, Negation und Limitation), hat es aber dennoch durch die Aufnahme des Begriffs gebilligt, dass da aus der Frage nach der Eigenschaft ein substantivisches Abstraktum gebildet worden war. Dazu aber war meines Erachtens nur die naive Kategorienlehre der Griechen berechtigt; nicht mehr die Erkenntnistheorie, welche seit der Wirksamkeit der Nominalisten unser Denken beherrschen will. Es will mir auch scheinen, als widersetze sich die Menschensprache allen Versuchen, Eigenschaften (wenigstens die natürlichen, die sinnlichen Eigenschaften) als Substantive, als Objekte aufzufassen. Wir haben gelernt, dass unsere Welt der Wirklichkeit eine adjektivische Welt ist, dass der Sensualismus nur adjektivische Sinneseindrücke kennt; wir glauben die Wirklichkeit oder Realität dessen, was diese adjektivischen Sinneseindrücke hervorruft, am besten dadurch auszudrücken, dass wir diese Erzeuger von Qualitäten als Kräfte, als Objekte, als Dinge, als Substantive in die Welt hinaus vorstellen. So substantivieren wir zum ersten Male die Qualitäten; der naive Realismus der Gemeinsprache kennt gar keine andere Wirklichkeit. Die Scholastiker mühten sich ab, in diesen substantivierten Qualitäten das Singuläre als Haecceïtät, das Wesentliche als Quiddität zu unterscheiden. Die klügern Scholastiker hätten sich sagen müssen, dass die Quiddität, weil sie Materie und Form der Objekte zugleich bezeichnete, für die Qualität keine Wirkungsmöglichkeit übrigließ; denn als wirkende Kräfte, welche entweder durch die Materie oder durch die Form unsere Sinne zu einer Reaktion veranlassen, wurden doch die Qualitäten aufgefasst. Und so hätte der Begriff Qualität aus der philosophischen Sprache verschwinden müssen, hätte in die Gemeinsprache gar nicht eindringen können, wenn nicht – ja, wenn nicht des Aristoteles Verwechslung von Kategorie und Redeteil nachgewirkt hätte.
Auszug aus:
Fritz Mauthner, Das Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache, (1910/11).
