Recruiting: Fischen mit digitalen Netzen

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Autor: Michael Krassnitzer

Österreichs Gesundheitseinrichtungen müssen beim Recruiting neue Wege gehen. Die sozialen Medien werden dabei zu zentralen Kanälen. Achtung: Ohne speziellen Content versanden die aufwendigsten Kampagnen.

Die Einarbeitungsphase stellt in der mobilen Pflege und Betreuung eine besondere Herausforderung dar. Zwar werden neue mobile Pflege- und Betreuungskräfte in der Zeit der Einarbeitung von erfahrenen Kollegen begleitet, doch der Wissensaustausch gestaltet sich nicht so einfach wie etwa in einem Büro. Und wenn die mobile Pflege- und Betreuungskraft einmal auf sich allein gestellt ist, kann sie nicht einfach im Nachbarzimmer anklopfen und schnell eine Kollegin fragen, wenn plötzlich eine Frage auftaucht.

Um neue Mitarbeiter beim Onboarding zu unterstützen, stellt ihnen die Volkshilfe Wien bereits vor Dienstbeginn eine spezielle App zur Verfügung, die alle wichtigen Informationen über die verschiedenen Arbeitsabläufe bereitstellt. Die Inhalte sind in kurzen, spielerischen Einheiten mit Videos aufbereitet und begleiten die Mitarbeiter während der ersten Monate im neuen Job. „Damit sind wir Vorreiterin im österreichischen Pflege- und Betreuungssektor“, bekräftigt Bernhard Peter, Recruitingverantwortlicher für Pflege und Betreuung bei der Volkshilfe Wien. Für ihr digitales Onboarding wurde die Volkshilfe Wien mit dem HR Award 2024 ausgezeichnet.

Für alle Fälle. In der Einarbeitungsphase geht so mancher Kandidat verloren. Darum stellt die Volkshilfe Wien vor Dienstantritt eine spezielle App zur Verfügung, die Informationen über die verschiedenen Arbeitsabläufe bereitstellt.

Neue Wege

Angesichts der akuten Personalnot müssen die österreichischen Gesundheitsunternehmen beim Recruiting neue Wege gehen. Laut der aktuellen, von der Gesundheit Österreich (GÖG) aufgestellten Personalprognose für Gesundheits- und Krankenpflegeberufe sind bis 2050 rund 70.000 zusätzliche Pflegepersonen vonnöten, um den Versorgungsstand des Jahres 2019 aufrechtzuerhalten. Aber auch Ärzte und IT-Fachkräfte sind Mangelware. Um die vorhandenen Arbeitskräfte herrscht ein knallharter Konkurrenzkampf, der die Unternehmen zu innovativen Lösungen zwingt. Die Zeiten von „Post and Pray“ sind vorbei. Sprich: Eine Stellenanzeige schalten und beten, dass sich ausreichend Bewerber melden, reicht bei Weitem nicht aus, um neues Personal zu rekrutieren.

Die Volkshilfe Wien schaltet auch weiterhin Stellenanzeigen, setzt aber darüber hinaus auf eine Reihe weiterer Maßnahmen. In jüngster Zeit versucht die Wohlfahrtsorganisation, potenzielle Interessenten auf Social Media und via Google Ads zu erreichen. „Wir sprechen Personen an, die nicht unbedingt auf Jobsuche sind, aber die dadurch vielleicht auf die Idee kommen, dass wir ein für sie interessanter Arbeitgeber sind“, verrät Julia Hamminger, HR-Kommunikationsexpertin der Volkshilfe Wien. Der Fokus liegt dabei auf den Vorteilen, welche die Arbeit als mobile Pflege- und Betreuungskraft mit sich bringt: keine Nachtdienste, keine Glocke, Pausen zwischen den Einsätzen und viel Zeit an der frischen Luft. Auch auf einen authentischen Auftritt wird großer Wert gelegt: So sind in den professionell produzierten Werbevideos keine Models, sondern echte Mitarbeiter der Volkshilfe Wien zu sehen. Das Um und Auf dabei ist die Fokussierung auf die richtige Zielgruppe. Fasst man diesen Personenkreis zu weit, dann gehen viele Anzeigen ins Leere; fasst man ihn zu eng, erfahren viele potenzielle Interessenten nichts von den Angeboten der Volkshilfe Wien. Grundsätzlich sind „alle Kampagnen der Organisation für Mobiltelefone optimiert“, wie Hamminger erläutert.

Marktplatz Instagram. Bernhard Peter und Julia Hamminger haben für die Volkshilfe Wien ein digitales Recruiting-Konzept umgesetzt. Das Smartphone ist das Forum, auf dem potenzielle Bewerber angesprochen werden.

Cherry picking

Ziel ist es, dass sich die Interessenten telefonisch bei der Volkshilfe Wien melden. „Dann können wir unsere große Stärke ausspielen: den persönlichen Kontakt“, wie Peter unterstreicht. Wichtig sei, dass die Kontaktaufnahme niederschwellig und unbürokratisch möglich sei, erläutert der Recruitingverantwortliche. Die Interessenten müssen zum Beispiel keine Lebensläufe, Diplome oder Arbeitszeugnisse vorab einreichen. „Ob jemand die Grundvoraussetzungen erfüllt, stellt sich am Telefon schnell heraus“, sagt Peter. Wenn es in der Folge zu einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht kommt, können die diversen Unterlagen noch immer nachgereicht werden. Der Aufwand für diesen niederschwelligen Zugang sei für das Unternehmen zwar höher, räumt Peter ein, doch er zahle sich auf jeden Fall aus. Die Vielzahl an Bewerbern, die man auf diese Weise erreicht habe, spreche eindeutig für diese Vorgehensweise.

Personalsuche funktioniert 2024 nach neuen Vorzeichen. „Mittlerweile bewerben wir uns bei den Jobinteressenten und nicht mehr umgekehrt“, bekennt Sonja Kimeswenger, Personaldirektion, Personalwirtschaft und Personalmarketing der Oberösterreichischen Gesundheitsholding (OÖG). Aufgrund des bestehenden Mangels an Fachkräften in allen Bereichen suchen sich Interessenten gut aus, bei welchem Arbeitgeber sie sich bewerben. Die OÖG fährt daher regelmäßig groß angelegte Personalmarketingkampagnen, mit denen sie Arbeitnehmer für sich gewinnen möchte. In der jüngsten medialen Kampagne etwa wurde herausgestrichen, dass in Krankenhäusern nicht nur Ärzte und Pflegekräfte arbeiten. Gezielt wurden die Arbeitsmöglichkeiten in Technik, Verwaltung und Betrieb ins Scheinwerferlicht gerückt.

Auch die OÖG schaltet nach wie vor Stellenanzeigen – schon allein deshalb, weil sie als Tochterunternehmen des Landes Oberösterreich verpflichtet ist, Leitungsfunktionen öffentlich auszuschreiben. Auch bei bestimmten Berufsgruppen wie etwa Küche, Technik oder Reinigung setzt die Holding nach wie vor auf Stellenanzeigen in Zeitungen. „Einen Facharzt per Stelleninserat zu suchen, ist allerdings wenig sinnvoll“, betont Martin Rupprecht, Personaldirektor der OÖG. Doch selbst klassische Stellenanzeigen tragen den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung: Lieblos und langweilig gestaltete Inserate gehören der Vergangenheit an. Heute wird Wert auf eine ansprechende Grafik gelegt, um potenzielle Bewerber anzusprechen.

Neue Welt. Sonja Kimeswenger,
HR-Managerin der Oberösterreichischen Gesundheitsholding, ortet neue Interessenslagen: „Mittlerweile bewerben wir uns bei den Jobinteressenten und nicht mehr umgekehrt.“

Direkt an der Quelle

Auch Social Media werden genutzt, um Personal zu rekrutieren. Die OÖG baut dabei verstärkt auf Video-Content, der den Arbeitsalltag zeigt. „Die Leute sollen erfahren, was sie in einem bestimmten Klinikum oder einer Abteilung oder einem Team erwartet“, erklärt Ricarda Vierlinger vom Personalmarketing. Karrieremessen sind eine weitere Plattform, auf der sich die OÖG regelmäßig präsentiert. Zum Beispiel auf der AustroDoc, einer Ausbildungs- und Jobinformationsmesse für Medizinstudenten und Ärzte in Ausbildung, die von den österreichischen Landeskrankenhausträgern in Wien, Graz und Innsbruck veranstaltet wird, oder auf der Messe Jugend & Beruf, Österreichs größter Messe für Beruf und Ausbildung in Wels. Wenn es um internationales Recruiting geht, also etwa um die Suche nach medizinischen Koryphäen, wendet sich die Gesundheitsholding mitunter auch an einschlägige Personalvermittlungsunternehmen.

Der OÖG steht noch eine weitere Möglichkeit des Recruitings zur Verfügung, über die viele andere Gesundheitseinrichtungen nicht verfügen. Als Miteigentümerin der Fachhochschule Gesundheitsberufe in Oberösterreich sitzt die Landesholding direkt an der Quelle. Durch gezieltes Auftreten können zum Beispiel künftige Pflegekräfte oder andere Fachkräfte bereits während der Ausbildung mit den Unternehmen der Landesholding vertraut gemacht werden. Auch in anderen Bereichen setzt die OÖG darauf, ihr künftiges Personal selbst auszubilden: „Wir haben in den letzten Jahren zum Beispiel die Zahl unserer Lehrlinge im IT-Bereich aufgestockt, weil der Markt leergefischt ist“, erklärt Rupprecht. 

Wie künstliche Intelligenz HR-Verantwortliche
schon heute unterstützen kann

Recruiting läuft in vielen Unternehmen längst mithilfe einer KI ab: Die Software kategorisiert die Bewerbungen und führt in manchen Fällen sogar die erste Runde der Vorstellungsgespräche. Pepsi und Ikea nutzen zum Beispiel ihr KI-Tool „Vera“ für Recruitingprozesse, das passende Bewerbungen herauspickt und vorab erste Dialoge führt, bevor die Bewerberin mit einer echten Person aus dem Unternehmen spricht.

Für heimische Unternehmen ist dies noch Zukunft: Im Recruiting spielt KI hierzulande laut einer Stepstone-Recruiting-Studie für 87 Prozent der Unternehmen noch keine Rolle. Die am häufigsten genannten Bereiche, in denen KI die HR-Abteilung unterstützt, sind die Identifizierung von potenziellen Kandidaten (64 Prozent), die Bewertung und Einstufung von Bewerbern (54 Prozent) sowie die Terminkoordination (57 Prozent). Schnell wachsend ist die Rolle von KI-Werkzeugen bei der Formulierung von Stellenanzeigen und Social Media-Texten. Mit Anwendungen wie ChatGPT, Google Bard oder Neuroflash werden Stellenanzeigen für Zielgruppen optimiert. Basierend auf Large Language Models (LLM) werden hierbei unzählige Texte auf entsprechende Keywords und passende Wortkombinationen durchsucht. Der generierte Inhalt ist umso besser, je genauer die Anweisung (Prompt) formuliert ist. Der Prozess geht aber weiter. Mit Tools wie dem „Talent Recommender“ von Stepstone sparen sich Recruiter das aktive Suchen nach passenden Kandidaten: Dies übernimmt die KI. Nachdem Unternehmen eine Stellenanzeige veröffentlicht haben, schlägt die Software passende Lebensläufe aus der Stepstone-Datenbank vor. Für die Teilnahme an der Auswahl müssen die Bewerber allerdings ihre Zustimmung geben.

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