Wie Hightech unsere Spitäler verändert

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Autor: Sissi Eigruber

Einchecken mit Barcode wie am Flughafen, Aufzüge, die wissen, wohin man will, und selbstfahrende Roboter, die Material und Essen liefern. So könnte das Krankenhaus der Zukunft aussehen. In manchen Krankenhäusern ist das schon heute so.

Am 14 Stockwerke hohen Queen Elizabeth University Hospital in Glasgow funktioniert das Einchecken wie am Flughafen per Strichcode: „Scannen Sie den Brief ein, den Sie von uns bekommen haben und bestätigen Sie Ihre Daten. … Unsere Aufzüge funktionieren mit smarter Technologie und haben innen keine Knöpfe. Der Lift bringt Sie in das richtige Stockwerk.“ So die Anleitung des schottischen Hightech-Krankenhauses (1.100 Betten), das umgerechnet fast 1 Milliarde Euro (842 Millionen Pfund) gekostet hat und bereits 2015 eröffnet wurde.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Ultra-modern aber auch ultra-verwirrend lautet das Urteil der ersten Nutzer in Glasgow. Und sie stehen damit nicht allein da. Immer wieder ernten Spitalsneubauten von ihren Nutzern Kritik. Raffinierte Techniken, die bei der Planung großen Mehrwert versprechen, werden von Krankenhausmitarbeitern und Patienten nur zögerlich angenommen. Dringenderen Bedarf gibt es offenbar bei der Verbesserung viel banalerer Dinge: zum Beispiel, dass das richtige Material zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und die Wege und Wartezeiten für Patienten und Personal durch entsprechende bauliche und organisatorische Maßnahmen kurz gehalten werden. „Es würde schon helfen, wenn bei einer OP das Material da ist, das du brauchst, ohne dass es die Schwester erst im Magazin suchen gehen muss“, bringt es ein kürzlich pensionierter Wiener Chirurg gegenüber der ÖKZ auf den Punkt. Von Berater-Seite wird das etwas abstrakter formuliert: Die Organisationsprozesse und Systeme sollen in flüssige Abläufe münden, lautet hier die Devise. Gemeint ist wohl dasselbe.

Gelungen umgesetzt wurde das Prinzip im Landeskrankenhaus Hall in Tirol. Dort hat im Dezember 2020 ein neues Chi­rurgiezentrum seine Pforten geöffnet, das modernste Standards bietet. „Es wurde alles rund um die Arbeitsabläufe geplant und auch wirklich umgesetzt“, bestätigt der Ärztliche Direktor des Krankenhauses, Michael Rieger. Für die Mitarbeiter gibt es ausreichend Besprechungszimmer und Aufenthaltsräume und die Stationsstützpunkte haben ein modernes Monitoring, sodass die Patienten gut überwacht werden können. Die Patientenzimmer sind groß – das erleichtert die Arbeit für die Pflege. Außerdem gibt es in vielen Zimmern Hebevorrichtungen für die Patienten. Und – alle Operationssäle sind voll digitalisiert inklusiver großer Monitore an den Wänden.

Eine Frage der Vernetzung

Umfangreiche Erfahrung in der Logistikplanung von Kliniken hat die Abteilung „Health Care Logistics“ des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik in Dortmund. Abteilungsleiter Sebastian Wibbeling kennt die Schwachstellen in den Krankenhäusern. Seine Erfahrung: „Oft fehlt es an der Vernetzung der Systeme.“ Und das sei ein äußerst komplexes Thema, weil man zwischen unterschiedlichen Systemen interagieren muss – sowohl zwischen unterschiedlichen Gebäuden als auch zwischen verschiedenen Systemlandschaften. „Die einzelnen IT-Systeme haben meist schon einen guten Stand erreicht, aber die Vernetzung der Systeme entlang der Prozesse sind oft noch eine große Herausforderung“, so Wibbeling mit Verweis auf Themen wie Materialwirtschaft, Transport und Reinigung. Ein wichtiger Punkt bei der Modernisierung von Krankenhäusern sei auch die Automatisierung von physischen Prozessen – etwa die „Unit Dose“-Versorgung, also der Einsatz von automatisierten intelligenten Systemen zur Lagerung, Dosierung und Verpackung von Medikamenten. So müssen die einzelnen Tabletten nicht mehr im Nachtdienst vom Krankenpfleger oder der Krankenschwester für jeden Patienten vorbereitet werden, sondern werden über einen automatisierten Prozess in der Krankenhausapotheke individuell aufbereitet.

Für die Logistik im Krankenhaus spielen zunehmend der automatische Warentransport und damit auch fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) eine Rolle. Klassische Fahrerlose Transportsysteme (FTS) transportieren Gitterboxen oder verschlossene Container zwischen Versorgungseinrichtungen. So können zum Beispiel Speisen, Wäsche, Sterilgut, Medikamente, Lagerware und Abfälle transportiert werden. Laut dem Schweizer Navigationsentwickler BlueBotics fallen bei einem Krankenhaus mit 800 Betten täglich bis zu 27 Tonnen Material an, das über eine Entfernung von etwa 800 km transportiert werden muss. Sensortechnologie sorgt dafür, dass diese Fahrzeuge den Menschen nicht in die Quere kommen. Oft werden für die FTF auch eigene Aufzüge freigehalten. Zudem gewinnt die Ortungstechnik an Bedeutung. Im Krankenhaus werden viele Geräte, Betten und sonstige Ausstattung ständig im Schichtbetrieb von einem Ort zum anderen bewegt. Entsprechende Systeme ermöglichen es, auf einen Blick zu sehen, wo sich welches Teil befindet. Das erspart die Suche und damit Arbeitszeit. Und es bewirkt damit eine optimierte Verwendung von Ressourcen.

Trotz aller moderner und digitaler Möglichkeiten wird in vielen – auch neuen – Spitälern ein mehr als 150 Jahre altes Transportmittel hochgehalten: die Rohrpost. „Die hat eine Renaissance erlebt“, bestätigt Wibbeling. „Sie sichert zuverlässigen Transport für kleinere Mengen, wie zum Beispiel Labor- und Blutproben.“ Doch auch hier hilft die Digitalisierung, denn durch unterstützende Software können die Anlagen effizienter gestaltet werden, etwa mithilfe automatischer Dokumentation der Sendungsvorgänge.

Automatisierung und Digitalisierung

Automatisierung ist jedenfalls eines der Kernthemen für die Prozessoptimierung in Krankenhäusern. „Mittelfristig ist davon auszugehen, dass der Gütertransport im Spital zunehmend automatisiert ablaufen wird“, sagt Mathias Seraphin, Leiter des Bereichs Betriebsorganisations- und Funktionsplanung des Gesundheitsdienstleisters VAMED Business Consulting GmbH (VBC). Das Unternehmen hat seinen Sitz in Wien und betreut Projekte in ganz Europa. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass die Transportbehältnisse hermetisch geschlossen sind. So kann ausgeschlossen werden, dass unreine Güter in einem Trolley die reinen Güter in einem anderen Trolley kontaminieren können.

Ein solch modernes Logistikkonzept in besonderer Größe wird aktuell in Wiener Neustadt umgesetzt: Niederösterreich verfolgt seit Jahren eine Strategie, über regionale Versorgungszentren mehrere Spitäler gemeinsam zu bedienen. So versorgt das Zen­trum Wiener Neustadt die gesamte Thermenregion mit Sterilgut, Apothekengütern und Verbrauchsmaterial. Das derzeit im Neubau befindliche Spital Wiener Neustadt wird als größter Abnehmer künftig auf dem Gelände durch einen unterirdischen, für den automatischen Warentransport vorbereiteten Gang direkt angebunden werden. Der Neubau des Landesklinikums entsteht auf einer Fläche von 50.000 Quadratmetern und wird 680 Betten, 18 Operationsräume, 13 Eingriffs- und fast 100 Ambulanzräume beherbergen. Die Gesamtinvestition für den Neubau beläuft sich auf rund 559 Millionen Euro, die geplante Inbetriebnahme ist für Ende 2028/Anfang 2029 geplant. Seraphin: „Die Automatisierung ist in den Bereichen Lagerhaltung und Apothekendistribution erst schrittweise auf dem Vormarsch.“ Derartige Ver- und Entsorgungssysteme sind in Österreich zum Beispiel auch in der Klinik Floridsdorf (ehem. Krankenhaus Nord) in Wien oder im Klinikum Klagenfurt am Wörthersee im Einsatz.

Eine wesentliche Rolle spielt bei der Automatisierung laut Seraphin die Einführung von RFID-Etiketten. RFID steht für „radio-frequency identification“, eine Technologie für Sender-Empfänger-Systeme zum automatischen und berührungslosen Identifizieren und Lokalisieren von Objekten und Lebewesen mittels Radiowellen. Der Code dieser RFID-Etiketten beinhaltet also Informationen über das jeweilige Gut. Diese Informationen können automatisch von Scannern gelesen werden. Mit dieser Technik kann ebenso sichergestellt werden, dass die Kühlkette temperaturempfindlicher Medizinprodukte vom Lieferanten zum Verbraucher eingehalten wurde. Es kann zum Beispiel jederzeit festgestellt werden, ob ein bestimmter Rollator noch auf Station XY in Benutzung ist oder schon wieder anderweitig zur Verfügung gestellt werden kann.

Der Mensch im Mittelpunkt

Abgesehen von all den technischen Möglichkeiten gibt es für die Krankenhausplanung jedoch eine Prämisse: Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen. Dies gilt sowohl für Patienten als auch für das Personal. Die Krankenhausmitarbeiter verbringen wertvolle Lebenszeit an einem Arbeitsplatz, der viele Herausforderungen mit sich bringt: Schichtbetrieb, mitunter lange Wege und körperlich und psychisch anstrengende Tätigkeiten. Schließlich geht es auch um eine Attraktivierung von Berufen im Gesundheitssystem, wie etwa im Bereich der Pflege. Auch das muss berücksichtigt werden. Was bedeutet das für das Krankenhaus der Zukunft?
„Wir müssen das emotionale Sicherheitsbedürfnis der durch die Krankheit verunsicherten PatientInnen ernst nehmen“, betont VAMED-Experte Seraphin. Wichtig seien klare Orientierungshilfen, die die fremde Umgebung verständlich machen. Auch der Tageslichtbezug müsse sichergestellt sein – am Arbeitsplatz, in Aufenthaltsräumen, aber auch in den Fluren. Ausblicke in die Umgebung schaffen Orientierung in Zeit und Raum. „Patienten und Personal sollten es mitbekommen können, wenn der erste Schnee des Jahres fällt“, so Seraphin. Weitere wichtige Punkte: kurze Wegeführungen, ausreichendes Angebot an Sozialräumen und Rückzugsflächen, ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze.

Ein Beispiel für neue Krankenhäuser, bei denen konsequente Digitalisierung zu zahlreichen Verbesserungen für die Menschen im Krankenhaus führt, ist das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (USKH) mit den Standorten Kiel und Lübeck – eines der größten medizinischen Zentren Europas. An beiden Standorten sind mit der VAMED modernste Neubauten entstanden, die 2019 eröffnet wurden. In der aktuellen Phase werden die älteren Bestandsgebäude unter Aufrechterhaltung des Krankenhausbetriebes saniert und dergestalt adaptiert, dass Neubau und Bestand möglichst perfekt zusammenspielen.

Mobiler mit 5G

Die Krankenzimmer an den USKH-Standorten Kiel und Lübeck sind alle mit LCD-Bildschirmen am Bett ausgerüstet. So haben Patienten Zugriff auf TV, Internet und Video-on-Demand-Diensten. Darüber hinaus können sie behandlungsbezogene Fragebögen oder ein Schmerztagebuch ausfüllen und an anonymen Zufriedenheitsumfragen teilnehmen. Damit werden Mitarbeiter von Routinetätigkeiten entlastet und haben mehr Zeit für die Patienten. Die sogenannten Bedside-Terminals unterstützen bei der mobilen Visite, um Befunde aufzurufen und die Behandlung mit dem Patienten abzusprechen. In der Aufbereitungseinheit für Medizinprodukte setzt das UKSH auf die vollautomatisierte Lagerhaltung in der Sterilisation. Daneben entwickelt das UKSH kontinuierlich Apps und bietet Videosprechstunden an, um Patienten den Zugang zur telemedizinischen Behandlung auch von Zuhause aus zu ermöglichen. Das UKSH ist 5G-ready und verspricht sich durch eine schnellere Mobilfunkverbindung einen weiteren Entwicklungsschritt in der Krankenversorgung.

Neuer Blickwinkel durch Corona

Bleibt die Frage: Was hat sich durch Corona verändert? Wie muss das Krankenhaus der Zukunft aussehen, um für künftige Pandemien gewappnet zu sein?

„Wir denken in unseren Projekten darüber nach, wie Einheiten besser isoliert werden können. Dabei geht es um Stufenkonzepte mit adäquater Versorgung. Also darum, dass zum Beispiel Teile einer Intensivstation isoliert werden können“, erläutert Fraunhofer-Experte Wibbeling. Eine zentrale Frage sei auch, wie man einwandfreie Prozesse an den Außengrenzen dieser Bereiche schafft. Wibbeling: „Manchmal sind schon zwei bis drei Türen sehr hilfreich.“ Für viele Bereiche gelte: „Prozesse müssen durch Hygiene freigegeben werden!“

Laut Seraphin müssen bei Modernisierungen und Neuplanungen die Eingangsbereiche samt weiterer Verteilung neu konzipiert werden: „Bewährt haben sich Eingangssituationen, die getrennte Wegeführungen für potenziell infektiöse und nicht infektiöse Patienten erlauben. Solche mehrgleisigen Wegeführungen, auch im Vertikalen über separate Aufzugsgruppen, werden bei Neubauten zum Standard werden.“ Dabei werde man auch an Flächen zur Ersteinschätzung im Eingangsbereich denken, an ausreichend große Aufnahmestationen, die einen Puffer zur Statusabklärung einlaufender PatientInnen darstellen können. Dazu kommen Aufwachbereiche in OP-Einheiten, die mit einfachen Mitteln in Intensivstationen umgewidmet werden können, wenn in Phasen einer Pandemie das OP-Programm auf ein Minimum zurückgefahren werden muss.

Für die Intensivstationen setzt sich der Trend zum Einzelzimmer aus Gründen der Hygiene (Vermeidung nosokomialer Infektionen), aber auch aus Sicht der Anforderungen des Personals und von Begleitpersonen fort. Die gerade zu Beginn der Pandemie überraschenden Lieferengpässe lassen das Thema Lagerhaltung und Sicherstellung der Versorgung in einem neuen Licht erscheinen, was Einfluss auf die Bewirtschaftung der Läger und die Lieferantenverträge haben wird. Seraphin: „Die entscheidende Offenbarung aber ist: Die wertvollste Ressource im Krankenhaus ist qualifiziertes Personal. Mitarbeiterentwicklung und Schaffung von attraktiven Arbeitsbedingungen zur Vermeidung vorzeitigen Ausscheidens von MitarbeiterInnen wird ein Schlüssel für die Zukunft unserer Krankenhäuser sein.“   

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