Lehrpraxis ist Motivationsfaktor Nummer 1

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Autor: Josef Ruhaltinger

Richard Brodnig absolviert derzeit seine Allgemeinmedizinische Ausbildung in der Klinik Landstraße in Wien. Im ÖKZ-Interview lobt er die neue Facharztausbildung.

Herr Brodnig, Sie stehen gerade mitten in dem „alten“ Ausbildungsschema für einen Allgemeinmediziner. Sind Sie sauer, dass Sie die neue Facharztausbildung verpassen?
Richard Brodnig: Ich hätte die neue Facharztausbildung gerne mitgemacht.

Was macht den Unterschied, außer dass sie zwei Jahre länger dauert?
Die neuen Richtlinien verändern den Wert des Facharzttitels. Die Allgemeinmedizin erfährt eine höhere Anerkennung und Wertschätzung. Sie wird den anderen Fächern ebenbürtig. Bislang gab es die Facharztrichtungen und das Aschenputtel Allgemeinmedizin. Mit diesen Unterschieden wird aufgeräumt. Das ist für das Berufsbild sehr wichtig.

Aber wie sieht es inhaltlich aus? Ist die Facharztausbildung zum Allgemein­mediziner umfassender als die bisherige Ausbildungsordnung?
Es ist ja in vielen Bereichen noch nicht klar, was kommen wird. Sicher ist: Die Ausbildung wird praxisnaher. Die neue Facharztordnung macht vieles konkreter. Es kommt eine genau Bestimmung, was die Kernarbeit der Allgemeinmedizin ausmacht und wo die Grenzen zu anderen Fächern gezogen werden.

Bis 2030 wird die Ausbildung auf fünf Jahre verlängert. Die zwei zusätzlichen Jahre sollen als Lehrpraxis im niedergelassenen Bereich absolviert werden. Wie wirkt sich die längere Ausbildung auf die Attraktivität des Berufes aus?
Wir brauchen endlich mehr Allgemeinmedizin in der Allgemeinmedizinerausbildung. Bislang findet der Großteil der Lehre im Krankenhaus statt. Dort finden Sie aber keine niedergelassenen Allgemeinmediziner und kaum jemand ist mit den Anforderungen draußen aus eigener Berufssicht vertraut. Im Krankenhaus-Nachtdienst ist man in der Regel nur eine Art Systemerhalter. Ich erwarte, dass die praktische Ausbildung in den Lehrpraxen sehr viel für den späteren Beruf bringen wird.

Ich fasse nach: Der Beruf des Allgemeinmediziners soll attraktiver werden. Eine um zwei Jahre längere Ausbildung ist doch dafür keine Unterstützung?
Die längere Ausbildung ist etwas Positives. Die Lehrpraxis ist Motivationsfaktor Nummer 1. Ein Arzt in Ausbildung hat endlich Zugang zu Patienten und zum beruflichen Alltag. Je früher der Kollege oder die Kollegin in eine Lehrpraxis eintritt, umso größer die Chance, dass er oder sie sich für das Fach der Allgemeinmedizin entscheidet. Eine zweijährige Ausbildungspraxis ist von der Dauer im internationalen Vergleich ohnehin eher im unteren Bereich angesiedelt.

Ich nehme Ihnen nicht ab, dass eine zwei Jahre längere Ausbildung von den Jungärzten begrüßt wird …
Glauben Sie es ruhig: Die Lehrpraxis wird als sehr positiv empfunden. Was es noch zu regeln gibt, ist die Frage der Honorierung. Man muss schon davon leben können.

Das müssen Sie erklären …
Es gibt noch keine Klärung der Frage, wie viel Gehalt es in der Lehrpraxis gibt. Wenn ich zu dem derzeit gebotenen Geld arbeiten müsste, würde ich es nicht machen, weil ich es mir nicht leisten könnte.

Was wird derzeit gezahlt?
Grundsätzlich das gleiche Gehalt wie im Krankenhaus-Turnus. Das Spitals-Honorar wird aber aliquot auf 30 Wochenstunden runtergerechnet, weil in der Lehrpraxis nicht mehr Stunden anfallen. Und es gibt keine Zulagen, die im Krankenhaus für Nachtdienste und andere Zusatztätigkeiten bezahlt werden. Da bleibt nicht viel übrig.

Wird die Ausbildungsreform mehr Kolleginnen und Kollegen für die Allgemeinmedizin gewinnen?
Wenn sie richtig umgesetzt wird, glaube ich, dass mehr junge Ärzte wieder in die Allgemeinmedizin eintreten werden. Aber das ist ein Langzeitprojekt.

Was zieht Sie persönlich in den Berufs­stand des Allgemeinmediziners?
Mein Vater ist schon Allgemeinmediziner. Und ich bin ein großer Fan des Kassensystems.

Das trifft man heute selten an …
Mein Vater hatte einen Kassenvertrag, die meisten niedergelassenen Ärzte in meinem Umfeld haben einen Kassenvertrag. Ich weiß, worauf ich mich einlasse. Und das gefällt mir.  

Dr. Richard Brodnig machte im Juli 2020 seinen Abschluss an der Medizinischen Universität Graz und absolviert derzeit seine Allgemeinmedizinische Ausbildung in der Klinik Landstraße in Wien. Der gebürtige Südsteirer plant, für die anstehende Lehrpraxis in sein Bundesland zurückzukehren und dort als niedergelassener Kassenarzt eine Ordination aufzubauen. Brodnig ist Obmann der JAMÖ – Junge Allgemeinmedizin Österreich – einer Mitgliedsorganisation der ÖGAM – Österreichische Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin.

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