Nachlässigkeit rechtfertigt keine Entlassung

Lesedauer beträgt 2 Minuten
Autor: Monika Ploier

Der OGH hat gesprochen: Eine einmalige Nachlässigkeit einer angestellten Ärztin ist nicht ausreichend, um eine Entlassung zu begründen. Konkret ging es um die Verletzung des 4-Augen-Prinzips bei Medikamentengabe.

Die Ärztin behandelte eine wegen Depressionen stationär aufgenommene Patientin. Da die Patientin mitteilte, dass sie keine Luft bekommen würde, Ohrensausen, Kopfschmerzen und Herzrasen sowie auch Übelkeit hätte, teilte die Ärztin einer DGKP mit, dass sie eine Infusion mit 200 mg Prednisolon, einer Ampulle Fenistil oder Fenakut sowie ein „1 mg Adrenalin“ vorbereiten solle. Anstelle von Adrenalin verstand die DGKP jedoch „Noradrenalin“. Da sich der Zustand der Patientin weiter verschlechterte, ging die Ärztin von einem anaphylaktischen Schock aus. Aus diesem Grund traf sie die Entscheidung, das von ihr angeordnete Adrenalin zu verabreichen. Sie nahm die vorbereitete Spritze, ohne diese zu kontrollieren. In der Nierentasse befand sich eine 5 ml Ampulle, auch die Spritze umfasste einen Inhalt von 5 ml. Der Ärztin war bewusst, dass sich in der Ampulle insgesamt 5 ml befanden, sie ging jedoch davon aus, dass es sich um 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml handelte. Die Klägerin las auf der Ampulle nur die Aufschrift „1 mg pro ml“, nicht aber, um welches Medikament es sich handelte. Innerhalb einer Zeitdauer von fünf Minuten wurde der Patientin die Ampulle auf 2x verabreicht. Einige Minuten danach erklärte die DGKP, die während der Verabreichung nicht anwesend war, der Ärztin, dass sie eine Ampulle mit 5 mg Noradrenalin vorbereitet hatte. Der Ärztin leitete erfolgreich Notmaßnahmen ein und dokumentierte den Vorfall auch in der Krankengeschichte.

Der OGH entschied, dass eine einmalige Nachlässigkeit der Ärztin in der konkreten Notsituation nicht als so schwerwiegend einzustufen ist, dass eine Entlassung gerechtfertigt wäre.

Medizinisch bestätigt wurde im Prozess, dass die Ärztin aufgrund der vorliegenden Symptome der Patientin zu Recht von einem anaphylaktischen Schockgeschehen ausgegangen ist und auch die Verabreichung von Adrenalin die grundsätzlich richtige Therapie gewesen wäre. Eine Überprüfung des Medikaments wäre durch eine optische Kontrolle möglich gewesen.
Aufgrund dieses Behandlungsfehlers und Verstoßes gegen das 4-Augen-Prinzip bei Medikamentengabe sprach die Dienstgeberin die Entlassung aus, wogegen die Ärztin Klage eingebracht hat. Das Erstgericht gab der Klage statt, das Berufungsgericht wies diese hingegen ab und sprach aus, dass das Verhalten der Ärztin eine Vertrauensunwürdigkeit begründet, die die Dienstgeberin zur Entlassung berechtigt.

Der OGH sprach aus, dass eine Entlassung nur dann gerechtfertigt ist, wenn das Verhalten der Ärztin objektiv als so schwerwiegend anzusehen ist, dass dem Dienstgeber die Weiterbeschäftigung auch nur während der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (OGH | 9 ObA 75/22b).

Dies wurde im konkreten Fall jedoch vom OGH verneint. Der OGH verwies darauf, dass die Ärztin gegenüber der DGKP weder aufgrund des ÄrzteG noch aufgrund des GuKG eine Aufsichtspflicht hatte. Tatsächlich trägt die Ärztin die Verantwortung für die Anordnung, die ärztliche Aufsicht entfällt jedoch, sofern sich aus dem Berufsrecht keine ärztliche Aufsicht für eine delegierte Tätigkeit ergibt. Genau dies lag hier vor, da die eigenverantwortliche Vorbereitung und Verabreichung von Injektionen und Infusionen gem. GuKG bei korrekter ärztlicher Anordnung in der alleinigen Durchführungsverantwortung der DGKP liegt. Die Ärztin durfte daher grundsätzlich darauf vertrauen, dass die DGKP die Anordnung korrekt durchführt. Gegenständlich ging der OGH jedoch davon aus, dass die Ärztin aus dem Etikett der Ampulle hätte erkennen müssen, dass es sich dabei nicht um 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml handeln konnte, auch wenn keine grundsätzliche Kontrollpflicht bestanden hat. Zu dieser Überprüfung wäre sie nach den konkreten Umständen auch verpflichtet gewesen. Dennoch sprach der OGH aus, dass eine solche einmalige Nachlässigkeit der Ärztin in der konkreten Notsituation eines anaphylaktischen Schockgeschehens nicht als so schwerwiegend einzustufen ist, dass eine Entlassung gerechtfertigt wäre, sondern es sich um eine einmalige Fehlleistung gehandelt hat.  

Dr. Monika Ploier ist Anwältin bei HLMK Rechtsanwälte und auf Medizin- und Arbeitsrecht spezialisiert.
Sie ist Verfasserin zahlreicher Publikationen und Lektorin für Medizin & Recht an mehreren akademischen Bildungseinrichtungen. Monika Ploier ist Obfrau des Forschungsinstituts für Recht in der Medizin FIRM.

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