„Brauchen klugen Ausbau am­bulanter Versorgungsformen“

Lesedauer beträgt 2 Minuten
Autor: Josef Ruhaltinger

Frau Hofmarcher, macht das Wahlarzt­system den Kassenärzten zu große Konkurrenz?
Maria M. Hofmarcher-Holzhacker: Die Polarisierung des Themas ist nicht klug, aber notwendig. Wir haben ein starkes Bevölkerungswachstum, bei dem die Entwicklung der Kassenmedizin hinterherhinkt. Es geht um eine bessere Zugänglichkeit und Qualität der ambulanten Versorgung. Wir verzeichnen eine steigende Anzahl bedürftiger und chronisch kranker Menschen, die es zu versorgen gilt, insbesondere in Zeiten von Corona.

Der Besuch eines Kassenarztes bringt für Patienten monatelange Wartezeiten und die Erfahrung, in fünf Minuten abgefertigt zu werden. Für weniger begüterte Menschen ist der Wahlarzt mit Kosten von 150 Euro pro Besuch keine Alternative. Wo liegt die Lösung?
Wir brauchen mehr Kassenmedizin. Mehr Kassenstellen sind gut für die PatientInnen, aber es kostet das System und die Versicherten mehr. Und es kann schmerzvoll für die Ärzte und Ärztinnen werden.

Muss die ÖGK mehr für Kassenverträge bezahlen?
Sie wird mehr Geld für ambulante Versorgung aufwenden müssen. Die Frage ist, wie dies eingesetzt wird. Das Honorierungssystem muss sich lösen von der Bezahlung von Einzelleistungen und sich hin zu (Kopf-)Pauschalen entwickeln – Stichwort: angebotsinduzierte Nachfrage. Wahrscheinlich braucht es mehr Steuermittel, damit Zuzahlungen pro Arztbesuch vermieden werden können. Wenn man ausschließlich dem konventionellen Weg der niedergelassenen Versorgung folgt, wird dies letztendlich mit höheren und nicht mit geringeren SV-Zahlungen zu begleichen sein.

Welchen Stellenwert hat der nieder­gelassene Bereich mit dem Kassen- und Wahlarztsystem in der extramuralen Versorgung?
Der ist natürlich groß. Aber wir dürfen die ambulante Versorgung nicht nur in der Medizin verorten. Da steckt viel mehr dahinter. Und wir können mit Einrichtungen wie Primärversorgungseinheiten und mit dem klugen Ausbau anderer ambulanter Versorgungsformen den Druck aus dem niedergelassenen Versorgungsbereich nehmen. Wir müssen eine zeitgemäße Arbeitsteilung für alle Gesundheitsberufe finden.

Haben Sie Beispiele?
Es gibt auf Landes- und Bundesebene viele Gremien wie Landes- und Gesundheitskommissionen oder die Zielsteuerungskommission. Die Ergebnisse aus der Zusammenarbeit dieser Gremien sind nicht zu sehen. Wenn die Richtlinienkompetenz des Bundes in Person des Ministers oder der Ministerin ständig bezweifelt wird, dann wird es schwierig. Der Ressortchef oder die Ressortchefin benötigen den unbedingten Rückhalt des Kabinetts und des Ministeriums.

Wie kann eine neue Form der ambulanten Versorgung aussehen?
Oberösterreich hat ein Defizit in der Versorgung im niedergelassenen Bereich, aber eine sehr gut ausgebaute Spitalsinfrastruktur. Vorarlberg auch. Warum soll diese Infrastruktur nicht zum Teil von niedergelassenen Ärzten mit einem Kassenvertrag bespielt werden. So kann ambulante Versorgung nach den Spielregeln des niedergelassenen Bereichs aus den Krankenanstalten heraus erbracht werden. Bislang ist das nicht möglich.

Zur Person:

Maria M. Hofmarcher-Holzhacker ist Ökonomin und Geschäftsführerin von HealthSystemIntelligence. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centre for Public Health der Abteilung Gesundheitsökonomie der Medizinischen Universität Wien und ist stellvertretende Vorständin der AHA (Austrian Health Academy).

Das heimische Gesundheitssystem hat enorme Schwierigkeiten, sich den Herausforderungen der modernen
Public Health-Verwaltung zu stellen. Haben wir zu viele Köche in der Küche?

Es ist sicher so, dass wir sehr viele Entscheidungsinstanzen in unseren vielen Gesundheitsthemen involviert sehen. Nehmen wir nur das Pflegethema, in das sehr viele verschiedene Akteure verstrickt sind. Gegen starke Stakeholder wie die Kammern bleibt man nur auf Augenhöhe, wenn die zentralen Player der Regierung Rückhalt geben. Isolierte Positionen haben keine Chance. Dies mag angesichts der koalitionären Erfahrungen der letzten Jahre naiv klingen. Aber aus meiner Beobachtung heraus ist dies einer der Gründe, wa­rum in den letzten Jahren die Gesundheitspolitik wenig Entscheidendes erreicht hat.

Ist der Föderalismus Bremser oder Werk­zeug für regionale Eigenständigkeiten?
Der Föderalismus hat seine positiven Seiten, auch im Gesundheitsbereich. Das gängige Länderbashing halte ich für kurzsichtig. Die Menschen in den Bundesländern haben Wissen um die regionalen Strukturen, was in Oberösterreich, Kärnten oder Vorarlberg auf welche Art umgesetzt werden muss. Es braucht einen Schulterschluss von Bund und Krankenversicherung. Diese beiden Akteure sind auf Rückendeckung durch die Regierung angewiesen, wenn sie die Zügel in der Hand halten wollen. Aber es gibt keine durchgängige Strategie. Das ist auch schwierig, wenn die handelnden Personen alle ein oder zwei Jahre wechseln.    //

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