Peter Stenico: „Realistisch ist Reshoring nicht“

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Autor: Josef Ruhaltinger

Herr Stenico, Sie sind Chef von Sandoz Österreich und damit Herr der letzten vollintegrierten europäischen Antibiotika-Produktion in Kundl. Was braucht es, um einen Pharmastandort in Europa nachhaltig zu betreiben?
Peter Stenico: Auch wir prüfen diese Frage immer wieder. Wir haben hier in Kundl die letzte vollintegrierte Penicillin-Hochburg in der westlichen Welt. Wir entwickeln und fertigen mit dem Wissen von 75 Jahren vom Wirkstoff bis zur fertigen Darreichungsform alles selbst. Das sind 4.000 Tonnen Wirkstoff im Jahr, die in 180 bis 200 Millionen Packungen in mehr als 100 Länder der Welt gehen. Und Sie wissen, dass wir dabei sind, 200 Mio. Euro in die Erweiterung von Kundl zu investieren. Die Skalierung, das heißt die Menge der Produktion, ist für die Standortabsicherung von großer Bedeutung.

Sie sagen in einem früheren Interview, dass die Versorgungsprobleme Europas bei Arzneien das Resultat eines falschen Systems seien. Was ist es, das falsch läuft?
Wir brauchen Planbarkeit. Aktuell verläuft die Preisbildung bei Arzneien in den verschiedenen Märkten nach sehr unterschiedlichen Methoden. Es gibt nur eine Gemeinsamkeit: Der gesamte Einkaufsprozess reduziert sich auf den Preis. Jeder fordert Versorgungssicherheit, aber niemand fragt, wie und vor allem wo etwas hergestellt wird. Wer den letzten Cent bei einem ohnehin sehr billigen Produkt wie Generika herauspresst, nimmt in Kauf, dass nur unter optimierten Bedingungen geliefert werden kann. Und da kommt eine Produktion in Europa in der Regel nicht in Frage.

Der gebürtige Tiroler
Peter Stenico
(52) ist seit Anfang des Jahres Global Head Biosimilars & Country President Sandoz Österreich. Vorher war der Betriebswirt (Uni Innsbruck, SDA Bocconi, Harvard Business School) mehr als zwei Jahrzehnte für Sandoz in Italien und Deutschland tätig, bis Dez. 2022 als Country Head Deutschland und CEO der Hexal AG (Sandoz-Tochter). Stenico war bis zu seinem Wechsel nach Kundl auch Vorstandsvorsitzender des Deutschen Pro Generika-Verbandes.

Der Jammer über die Preisbildung in Europa ist nicht neu. Fakt ist auch, dass die Pharma­industrie immer noch sehr gut verdient. Warum sind die niedrigen Preise an den Versorgungsproblemen Europas schuld?
Wir sprechen von zwei grundsätzlich verschiedenen Märkten. Wir müssen den Originator-Markt, also neue, innovative Produkte mit Patentschutz – vom Generika-Markt unterscheiden. Auch in den USA gibt es auf dem Generika-Markt, auf dem wir unterwegs sind, keine Mondpreise. Dort sind viele Spieler auf dem Feld, die den Preis drücken. Bei einem Originator-Produkt gibt es per definitionem für ein Molekül nur ein Produkt, für das der Hersteller einen Preis festsetzt. Läuft das Patent ab, gibt es sofort zehn bis 20 Mitbewerber. Sind die Preise in einem Markt allerdings zu niedrig, reduziert sich die Zahl der Anbieter. Engpässe sind im Fall von Krisen oder Logistikproblemen die logische Folge.

Ist es nicht verständlich, dass angesichts der prallen Pharmabilanzen das Verständnis für bessere Preise bei den Einkäufern und in der Bevölkerung sinkt?
Niedrige Preise sind das Geschäftsmodell von Generika. Auch wir sind überzeugt, dass patentfreie Arzneien und Biosimilars dazu beitragen müssen, dass die Gesundheitskosten in Österreich, in Deutschland, in Indien und wo auch immer gesenkt werden. Ich spreche mich nicht dafür aus, dass wir viel, viel höhere Preise benötigen. Mein Punkt ist: Die ökologischen und sozialen Kosten einer europäischen Produktion spielen in dem Preiskampf überhaupt keine Rolle. Ebenso schwierig ist es, einen Markt zu versorgen, in dem es keine Inflationsanpassung gibt. In dem Reglement für Generika ist dies nicht vorgesehen. Bei einem Antibiotikum, das ein paar Cent kostet, sind Inflationskosten von 10 Prozent schwer abzufedern. Ich fordere nicht, dass man viel teurer wird. Aber Fakt ist, dass wir uns fragen müssen, wie viel uns eine funktionierende Medikamenten­versorgung wert ist.

Wie realistisch ist die Idee des Reshorings? Kann Europa die abgewanderte Pharma­produktion wieder zurückholen?
Auch wir würden uns wünschen, dass es zu einem Reshoring käme. Aber ehrlich: Realistisch ist es nicht. Die verlagerten Produktionen werden aus vielen Gründen nicht zurückkommen. Wir sollten uns politisch darauf konzentrieren, die bestehenden Standorte, die wir in Europa haben, weiterhin zu garantieren. Gerade im Bereich der Biosimilars sind noch große Produktionskapazitäten in Europa vorhanden. Die werden ebenfalls verschwinden, wenn nicht echte Wettbewerbsvorteile geschaffen werden. Dafür benötigen wir Volumina, eine erhöhte Planbarkeit der Absätze und rasche Infrastrukturentscheidungen.

Warum diese pessimistische Prognose?
Einem Reshoring gehen lange Entscheidungsprozesse voraus. Da geht es nicht um ein, zwei Jahre, sondern um ein viel, viel längerfristiges Investment, bei dem auch Zulieferstrukturen, Rohstoffversorgung, Energiesituation, Personalverfügbarkeit und letztendlich auch ein preisliches Commitment der engagierten Institutionen notwendig sind. Da ist es wesentlich smarter, das Augenmerk auf die noch vorhandenen Produktionsstrukturen zu richten und für faire Marktverhältnisse mit flexiblerer Preisgestaltung zu sorgen.

Wenn schon nicht Reshoring: Macht es Sinn, gegen Versorgungsengpässe bestimmte Wirkstoffe auf Lager zu legen?
Es könnte unter gewissen Umständen einen kleinen Sinn machen. Aber da müsste man sehr, sehr effizient vorgehen. Was ich mit Sicherheit sagen kann: Ein nationales Notfalllager würde die Versorgungssituation verschärfen. So eine Maßnahme müsste auf europäischer Ebene geplant werden.

Ein Programm für eine gesteigerte Bevorratung wird gerade vom Gesundheitsministerium auf Schiene gebracht. Warum würde dies kontraproduktiv wirken?
Staaten werden sich gegeneinander ausspielen. Die auf Lager gelegten Wirkstoffe verknappen den Markt. Es würde keine zusätzlichen Mengen an Arzneien geben, da die Anlagen der Hersteller auf Volllast fahren. Wenn jetzt eine Situation entsteht, in der größere Mengen eines raren Gutes in irgendwelchen Lagern verschwinden, kollabiert der Markt. Arzneimittel haben ganz bestimmte Darreichungsformen, unterschiedliche Packungsformen, Beipackzettel in verschiedensten Sprachen, und vor allem ein Ablaufdatum. Wenn die Bewirtschaftung nicht extrem effizient passiert, müssen Sie die Arzneien vernichten. Sie können sich vorstellen, welche Auswirkungen dies auf die Verfügbarkeit von Medikamenten hat.

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Mehr zum Thema Reshoring lesen Sie in unserer Titelstory: Reshoring – Bleibeprämien für Pharma-Werke

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