„Das geht sich nicht aus“

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Autor: Josef Ruhaltinger

Die neue Geschäftsführung der Salzburger Landeskliniken, Silvia Lechner und Thomas Gamsjäger, beschreibt die Auswirkungen der Personalnot und den Druck, der auf dem heimischen Gesundheitssystem lastet. Außerdem gilt es, die vielen Bauprojekte zu managen.

Frau Lechner, Herr Gamsjäger, Sie haben mit Jahreswechsel die Geschäftsführung der Salzburger Landeskliniken übernommen. Das umfasst das Uniklinikum Salzburg in der Stadt Salzburg und die Landeskliniken in Hallein, St. Veit sowie Tamsweg mit insgesamt 7000 Mitarbeitenden. Dazu halten die SALK Anteile an mehreren Reha-Einrichtungen. Wie gut ist das Bundesland Salzburg im Spitalsbereich aufgestellt?
Thomas Gamsjäger: Unsere 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Salzburger Landeskliniken leisten einen herausragenden Job. Aber es wird Sie nicht überraschen, dass uns gerade die Personalsituation besonders fordert. Damit sind wir in unserer Branche nicht alleine – im gesamten Gesundheitssystem ist die Leistungsfähigkeit limitiert. Wir wollen gerne mehr für unsere Patientinnen und Patienten tun, dazu brauchen wir aber auch mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Neues Team. Silvia Lechner und Thomas Gamsjäger haben mit Jahreswechsel die Führung bei den Salzburger Landeskliniken übernommen. 200 fehlende Pflegekräfte stellen vor allem den OP-Bereich vor große Nöte.

Wie viele Jobs sind bei den Landeskliniken unbesetzt?
Thomas Gamsjäger: Wir sind vor allem in der Pflege unterbesetzt. Hier könnten wir sofort 200 Personen mehr einstellen. Wir schaffen es zwar, neues Personal zu gewinnen, gleichzeitig wächst aber auch der Bedarf.

Betreffen die Defizite alle Pflegeebenen gleichermaßen?
Silvia Lechner: Gravierend ist die Personalsituation im OP-Bereich. Dort fehlen uns die Pflegerinnen und Pfleger am unmittelbarsten. Wir könnten deutlich mehr Operationen durchführen, wenn wir mehr Fachkräfte hätten.

Was sind die Gegenstrategien?
Silvia Lechner: Wir werben in anderen Ländern um Fachpersonal und bieten an mehreren Salzburger Standorten zusätzliche Fachausbildungen an. Da gehen wir in hohe Vorleistungen. Uns ist klar, dass diese Ansätze nur kurzfristig wirken. Langfristig braucht es eine übergeordnete Strategie, um den Pflegeberuf wieder attraktiv zu machen.

Der Personalmangel im Pflegebereich ist ein internationales Problem. Was muss man österreichweit und europaweit in die Wege leiten, um die Pflegekräfte zu rekrutieren, die wir brauchen?
Thomas Gamsjäger: Wir müssen in jeder Hinsicht mehr in das Berufsbild der Pflege investieren. Es war genau zu beobachten, wie während und nach der Pandemie Attraktivität und Reputation dieses so wichtigen und bedeutsamen Berufes abgenommen haben. Die anfängliche Solidarität mit dem Gesundheitspersonal war rasch Geschichte, die unnatürliche Spitzenbelastung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber nicht. Dazu kommt, dass der Trend zur Teilzeit unmittelbare Auswirkungen auf den Nachwuchsbedarf hat. Wenn eine Person ausscheidet, die Vollzeit gearbeitet hat, müssen wir in der Regel zwei Personen gewinnen, um dies auszugleichen.
Silvia Lechner: Es haben sich noch andere Rahmenbedingungen verschoben. Wir sehen, dass Menschen zwischen 40 und 50 den Beruf wieder verlassen, um mehr Regelmäßigkeit und Sicherheit in ihrem Alltag zu erfahren. Ständige Vertretungen und Nachtdienste machen ein Familienleben schwierig und das Berufsbild unattraktiv. Darum brauchen wir ansprechende Arbeitsmodelle, damit wir Menschen mit unterschiedlichsten Bedürfnissen vom Pflegeberuf überzeugen und langfristig halten können.
Thomas Gamsjäger: Ein wichtiger Ansatz ist auch das Angebot einer vertiefenden technischen Spezialisierung. Die Einführung der Operationstechnischen Assistenz ist dafür ein gutes Beispiel: Kandidatinnen und Kandidaten, die keine klassische Pflegeausbildung anstreben, sich aber insbesondere für eine Laufbahn mit einem technisch-operativen Schwerpunkt begeistern können, nehmen dieses neue Angebot positiv wahr.

Pflegemanager erzählen, dass sie mit der Akademisierung und der Höherqualifizierung der Mitarbeiter das Problem erhalten, dass ihre besten Kräfte Karriere machen, ohne dass jemand ihre Plätze einnimmt. Was antworten Sie diesen Pflegedirektorinnen und -direktoren?
Thomas Gamsjäger: Unsere Pflegedirektorinnen und -direktoren gehen in diesem Punkt sehr umsichtig vor. Wir halten die Weiterbildung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für extrem wichtig und gestalten sie daher aktiv. Wir laden interessierte Pflegekräfte regelmäßig in Assessment-Center ein, um die Führungskräfte der Zukunft zu finden. Man muss diesen Prozess aktiv gestalten, um ihn auch steuern zu können. Man kann Qualifikation nicht verordnen – man kann sie nur interessant machen. Und beides passiert bei uns.

Derzeit ragen sehr, sehr viele Kräne auf dem Gelände des Uniklinikums in den Himmel. Beispiele sind der Neubau für die psychiatrische Akutversorgung im Haus 5 oder der große Onkologie-Neubau für Innere Medizin III im Haus L. Und es wurde gerade der Neubau einer Forensik im Universitätsklinikum Campus Christian-Doppler-Klinik in Angriff genommen, von Kleinigkeiten wie dem neuen Hubschrauberlandeplatz nicht zu sprechen. Wie behält die neue Geschäftsführung den Überblick?
Silvia Lechner: Uns war von Anfang an klar, dass es infrastrukturell in unserem Verbund vieles zu bewältigen gibt. Wir erarbeiten gerade einen Entwicklungsplan, der unserem Eigentümer, den Mitarbeitern und uns einen Überblick sowohl über die notwendigen Tätigkeiten als auch über den zeitlichen Ablauf dieser Maßnahmen liefert.

Dr. Silvia Lechner ist ausgebildete biomedizinische Analytikerin und startete ihre Karriere am Department für Medizinische Genetik an der MedUni Innsbruck. 2013 wechselte sie als Verwaltungsleiterin in den Reha-Bereich der VAMED. Zuletzt hatte die Tirolerin die Geschäftsführung des gesamten Bereichs „Gesundheitseinrichtungen“ der VAMED inne.

Dr. Thomas Gamsjäger, MSc ist Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin und war von 2013 bis 2023 Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums St. Pölten. Der Niederösterreicher ist häufig geladener Vortragender zu Themen der Gesundheitspolitik und mehrfacher Buchautor. Die Spannbreite der Titel reicht von „Faust in der Nussschale“ bis zu „Leistungskennzahlen in Krankenanstalten“.

Ich hoffe, dies ist kein Recherchefehler: Mir ist aufgefallen, dass alle größeren Bauprojekte am Standort Stadt Salzburg konzentriert sind. Ist der Rest Ihrer Häuser in so guter Verfassung?
Thomas Gamsjäger: Nein, es ist kein Recherchefehler. Aufgrund der bisherigen Entwicklung ist der Bedarf an infrastrukturellen Maßnahmen an den beiden Standorten des Universitätsklinikums Salzburg am größten. Unseren Standort in Tamsweg haben wir vor wenigen Jahren generalsaniert und er ist in entsprechend gutem Zustand. Die Vorhaben für unsere Standorte in Hallein und in Sankt Veit werden im erwähnten Entwicklungsplan berücksichtigt.

Themenwechsel: Der Managementalltag einer Klinik-Geschäftsführung wird von den drängenden Tagesproblemen wie Pflege- und Ärztenotstand, Budgetverhandlungen und Baupreissteigerungen beherrscht. Bleibt da noch Zeit für gestalterische Fragen wie Beschleunigung der Digitalisierung, Implementierung von KI-Technologie oder „Green Hospital“?
Silvia Lechner: Natürlich stehen die drängendsten Probleme im Vordergrund. Ohne Personal helfen uns die beste Infrastruktur und die innovativste High-Tech-Anwendung nichts. Aber wir haben die Fragen und Angebote der Digitalisierung scharf im Auge: Wir etablieren Predictive Maintenance, um durch Datenanalyse die Wartung von Geräten und Maschinen so zu takten, damit es einerseits keine unnötigen Wartungspausen gibt, andererseits aber auch potenzielle Ausfälle vorhergesagt werden können, bevor sie auftreten. KI-Anwendungen nützen wir auch in der Dokumentation und im Rechnungswesen, wo wir spezielle Technologien bereits eingeführt haben oder ihren Einsatz prüfen. Wir müssen mithilfe der Digitalisierung administrative Abläufe erleichtern und beschleunigen, um Personalressourcen zu entlasten und besser einsetzen zu können. Da sind wir mit unseren Experten und Expertinnen ganz eng dran.

Frau Dr. Lechner, Sie waren bis Dezember des Vorjahres Geschäftsführerin der VAMED Gesundheitseinrichtungen Österreichs und als solche auch verantwortlich für das Rehazentrum St. Veit mit den Indikationen Onkologie und Kinder-Reha. Die SALK halten eine 24-Prozentbeteiligung an der Einrichtung. Wie wird es mit dem Betrieb nach dem Verkauf der VAMED-Reha-Einrichtungen an den französischen Fonds PAI weitergehen?
Silvia Lechner: St. Veit ist sowohl in der Erwachsenen-Reha als auch in der Kinder-Reha ein essenzieller Standort für die gesamte heimische Gesundheitsversorgung. Und es wäre ein Verlust, wenn durch den VAMED-Verkauf das bisher Erreichte verloren ginge und diese Erfolgsgeschichte zu Ende wäre.

Sehen Sie den Standort im Pongau in Gefahr?
Silvia Lechner: Wir sind hier in enger Abstimmung mit der VAMED und unserem Eigentümer. Für uns ist St. Veit eine wichtige Einrichtung in der Patientenversorgung. Daher sehen wir diesen Standort derzeit nicht in Gefahr.
Thomas Gamsjäger: Die VAMED ist als Mehrheitseigentümer an uns herangetreten. Derzeit findet die gesellschaftsrechtliche Prüfung statt.

Eine Frage an Sie beide als Gesundheitsmanager: Die Pandemie hat gezeigt, dass in den letzten Jahren das heimische Gesundheitssystem an seine Grenzen kommt. Berichte dazu landen täglich auf Ihren Schreibtischen. Ist es heute als stationärer Gesundheitsdiensteanbieter schwieriger, das Leistungsniveau zu halten, als es dies noch vor zehn Jahren war?
Thomas Gamsjäger: Durch die Situation am Arbeitsmarkt ist es definitiv schwieriger geworden, die an uns gestellten Anforderungen zu erfüllen. Wir sind dadurch auch in unserer Fähigkeit limitiert, Leistungen auf Spitzenniveau zu erbringen. In Summe ist für das Gesundheitssystem das gesamte Umfeld schwieriger geworden. Aber dafür gibt es Frau Dr. Lechner und mich in unseren Funktionen: Gemeinsam mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lassen wir uns nicht davon abhalten, auch in Anbetracht der fordernden Rahmenbedingungen dennoch die höchste Qualität in der Patientenversorgung anzustreben.
Silvia Lechner: Das System nützt die neuen Instrumente noch nicht oder ungenügend. Nehmen Sie die Möglichkeiten der Telemedizin, denken Sie an die digitale Steuerung des Patientenflusses, betrachten Sie die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz bei der Behandlung chronisch Kranker. In Summe können derartige Anwendungen viel Druck aus dem System nehmen.
Thomas Gamsjäger: Das Silodenken mancher Akteure verhindert umfassende Lösungen. Wir müssen im Gesundheitsbereich viel systematischer über den Tellerrand hinausdenken. Wenn wir so weitermachen, ist die Diagnose klar: Das geht sich nicht aus. Wir können hier auch von anderen europäischen Ländern lernen. Das niederländische Gesundheitssystem hat die gleichen Personalsorgen wie wir. Aber trotzdem gelingt es dort, im Zusammenwirken der Systempartner deutlich agiler zu neuen Lösungsansätzen zu kommen.

Wir haben die zweitmeisten Ärztinnen und Ärzte in Europa pro 100.000 Einwohner und geben 10,9 Prozent des BIP für Gesundheitsausgaben aus. Gesundheitsökonomen unterstreichen, dass wir kein Ressourcen-, sondern ein Effizienzproblem haben. Steigen wir uns selbst auf die Zehen?
Thomas Gamsjäger: Es ist ein Mythos, dass wir genug Ärztinnen und Ärzte in Österreich haben. Nominell stimmt die Aussage – nämlich, wenn man die Menschen zusammenzählt, die in die Ärzteliste eingetragen sind. Letztlich zählt für uns aber: Können wir die Stellen im ärztlichen Bereich so besetzen, wie das notwendig wäre? Wir haben in Österreich nicht nur in der Pflege, sondern auch im ärztlichen Bereich wirklich große Schwierigkeiten, die Menschen ausgebildet und zuverlässig ins heimische System zu bringen. Es gibt jährlich 15.000 Interessenten, die den Aufnahmetest für das Medizinstudium machen. An den großen, öffentlichen Medizin-Universitäten gibt es aber nur 1.900 Plätze für Erstsemestrige. Es wurde vor Jahren eine Regelung getroffen, die Studienplätze an den großen Universitäten zu limitieren. Das ist kein geeigneter Ansatz für eine Reformierung des Gesundheitssystems.

Was ist Ihre Kritik?
Thomas Gamsjäger: Es wird versucht, über eine Ressourcenverknappung eine Steuerungswirkung herbeizuführen. Und das ist immer die allerschlechteste Strategie. Was zähl, ist, dass wir die Patientinnen und die Patienten in Österreich versorgen können. Und es wird von Jahr zu Jahr schwieriger, das Niveau zu halten. Wir müssen nach echten Lösungen außerhalb der ausgetretenen Pfade suchen. Aber derzeit sieht es nicht wirklich danach aus. 

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