Paxlovid: Eine „Magic Bullet“ zwischen Mythos und Evidenz

Lesedauer beträgt 2 Minuten
Autor: Martin Sprenger

Gesundheitswissenschaftler Dr. med. Martin Sprenger im Gastkommentar: Die bis dato publizierten fünf randomisiert-kontrollierten Studien sind in Bezug auf die Wirksamkeit von Paxlovid wenig euphorisch.

Wie schon im Jahr 2023 wird auch in diesem Herbst die mediale Werbetrommel für das angeblich „wirksame und nebenwirkungsarme“ Arzneimittel Paxlovid® (Nirmatrelvir und Ritonavir) der Firma Pfizer gerührt. Es reduziere „schwere Krankheitsverläufe, die Krankheitsdauer und das Risiko von Long Covid“, wie zuletzt die Vizepräsidentin der Wiener Ärztekammer Naghme Kamaleyan-Schmied öffentlich betonte. Die bis dato publizierten fünf randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) sind in Bezug auf die Wirksamkeit von Paxlovid weniger euphorisch.

Dr. med Martin Sprenger (61) ist seit 20 Jahren Gesundheitswissenschaftler und Leiter des Universitätslehrgangs Public Health am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Universität Graz.
martin.sprenger@medunigraz.at

Zwar zeigte der erste von Pfizer unterstützte und im Februar 2022 publizierte RCT bei ungeimpften, symptomatischen, nicht-hospitalisierte Personen noch eine signifikante Reduktion von COVID-19-Hos­pitalisationen im Vergleich zu Placebo (0,8 % vs 7 %). Zwei Jahre später fand sich jedoch in einem ebenfalls von Pfizer unterstützten RCT, an dem ungeimpfte und geimpfte Personen teilnahmen, kein signifikanter Unterschied mehr bei der Symptomdauer zwischen Paxlovid (12 Tage) und Placebo (13 Tage).

Auch eine Postexpositions-Prophylaxe mit Paxlovid für 5 bis 10 Tage konnte im Vergleich zu Placebo die Häufigkeit von symptomatischen Fällen nicht signifikant reduzieren und eine 15-tägige Einnahme von Paxlovid führte zu keiner signifikanten Verbesserung der Symptomatik im Vergleich zu Placebo-Nirmatrelvir. In einem aktuellen, allerdings nicht verblindeten RCT führte die Einnahme von Paxlovid im Vergleich zur Standardversorgung zu keiner Reduktion der Krankenhaushäufigkeit, aber zu geringen Unterschieden bei drei Monate anhaltender Symptomatik und Krankenständen.

Zu den möglichen Arzneimittelwechselwirkungen von Paxlovid hat das Robert-Koch-Institut im November 2022 einen ausführlichen Bericht herausgegeben. Insbesondere bei „älteren Menschen und Personen, die an mehreren chronischen Krankheiten leiden“, sind diese von großer Bedeutung. Also genau bei jenen Risiko­patienten, für die ab Oktober 2024 die Corona-Tests wieder gratis sind und bei einem positiven Testergebnis die Kosten von Paxlovid von der Krankenkasse übernommen werden. Bei der Gabe von Paxlovid können die Plasmaspiegel zahlreicher Arzneimittel verändert werden, was zu signifikanten Arzneimitteltoxizitäten oder relevanter Wirksamkeitsminderung führen kann. Zu den vielen Wechsel- und Nebenwirkungen lohnt es sich deshalb auch, die Packungsbeilage genau zu lesen. Das Management dieser Arzneimittelwechselwirkungen ist bei Hochrisikopatienten mit COVID-19 sehr komplex und erfordert ein fundiertes Wissen. Vielleicht sind viele Hausärzte deshalb so zurückhaltend bei der Verschreibung dieses Medikaments. „Nebenwirkungsarm“ ist Paxlovid mit Sicherheit nicht.

Speziell bei sehr teuren Medikamenten wie Paxlovid mit einem Packungspreis deutlich über 1.000 Euro sollte nicht nur der Nutzen eindeutig belegt sein und bei der Verschreibung auf ein positives Nutzen-Risikoverhältnis geachtet werden, sondern auch ökonomische Überlegungen eine Rolle spielen. Die Mittel im Gesundheitsbereich sind nicht unendlich und auch Paxlovid hat ein Ablaufdatum. Auch wenn die Haltbarkeit vom Hersteller Pfizer von zuerst 12 auf 18 und zuletzt 24 Monate verlängert wurde, mussten viele Packungen Paxlovid entsorgt werden. In Deutschland betraf dies zirka 420.000 Packungen im Wert von 273 Millionen Euro. Für Österreich werden dazu leider keine Zahlen öffentlich gemacht.  

Quellen und Links:

www.diepresse.com/18843936/herbstwelle-wie-man-zum-corona-medikament-paxlovid-kommt

science.apa.at/power-search/15032214176814899815

Hammond J, et al. Oral Nirmatrelvir for High-Risk, Nonhospitalized Adults with Covid-19. NEJM, 2022. 14;386(15):1397-1408.

Hammond J, et al. Nirmatrelvir for Vaccinated or Unvaccinated Adult Outpatients with Covid-19. NEJM, 2024. 4;390(13): 1186-1195.

Hammond J, et al. Oral Nirmatrelvir-Ritonavir as Postexposure Prophylaxis for Covid-19. NEJM, 2024. 18;391(3):224-234.

Geng LN, et al. Nirmatrelvir-Ritonavir and Symptoms in Adults With Postacute Sequelae of SARS-CoV-2 Infection: The STOP-PASC Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med, 2024. 1;184(9):1024-1034.

Harris V, et al. Health outcomes 3 months and 6 months after molnupiravir treatment for COVID-19 for people at higher risk in the community (PANORAMIC): a randomised controlled trial. Lancet Infect Dis. 2024 

www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/COVRIIN_Dok/Arzneimittelwechselwirkungen_Paxlovid.html

www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Zulassung/paxlovid-gebrauchsinformation-patienten.html

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