Das Regelwerk der Medizinprodukte-Verordnung MDR gilt als unausgegoren. Betroffene Unternehmen und Benannte Stellen kämpfen beiderseits mit Anwendungsproblemen. Das EU-Parlament stimmt für Anpassungen.
Eine große Sause wäre nach nahezu sechs Jahren Vorbereitung, unzähligen Meetings und zahllosen Anwerbungsgesprächen angebracht gewesen. Die Konformitätsbewertungsstelle QMD Services erhielt am 14. Mai des Vorjahres die Zulassung als Benannte Stelle für Medizinprodukte – verliehen durch das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG). Obwohl die Mühen und Vorlaufkosten hoch waren, wurde aus den Festivitäten nichts. Am Ende war es eine Zusammenkunft in kleinem Kreis. Anni Koubek, Chefin von QMD Services, erklärt die Zurückhaltung mit einem Mangel an Zeit: „Unsere MDR Benennung kam einfach zu spät für Hersteller mit bestehenden Produkten am Markt. Da war nicht
mehr drinnen.“
Genau 56 Monate hat der Prüf- und Zulassungsprozess nach der EU-Medizinprodukte-Verordnung MDR gedauert. QMD Services ist seit Ende Dezember 2022 auch Zulassungsstelle für In-vitro-Diagnostika, also für Produkte zur medizinischen Diagnose von biologischen Proben. Nur nach erfolgreicher Prüfung durch Organe der Europäischen Kommission und Aufnahme in die NANDO-Datenbank darf eine Prüfstelle als Notified Body Medizinprodukte gemäß MDR oder IVDR zertifizieren. QMD Services ist aktuell die einzige österreichische Prüfstelle, die diese Hürden genommen hat.

Orientierungsmodus.
Die theoretische Physikerin Anni Koubek ist Chefin von QMD Services, Österreichs einziger Benannter Stelle nach MDR und IVDR. Sie kämpft mit den unausgegorenen Vorgaben aus Brüssel.
Ungeahnte Nebenwirkungen
Die MDR wurde als Reaktion auf den sogenannten Silikon-Skandal von 2010 eingeführt, in dem billiges Industriesilikon für Brustimplantate verwendet wurde. Die EU reagierte mit einer drastischen Verschärfung der Regularien. Eine der zentralen Änderungen war die Neudefinition der Risikoklassen, wodurch zahlreiche Produkte, die zuvor niedrig eingestuft waren, nun umfassendere Zertifizierungsprozesse durchlaufen müssen. Besonders heikel: Medizintechnische Produkte, die bereits nach den alten MDD-Normen zugelassen worden waren, müssen erneut das Zulassungskarussell besteigen. Andere Erzeugnisse – selbst jene, die nicht direkt mit dem Patienten zu tun haben, wie Software-Applikationen –, brauchen klinische Prüfungen.
Die EU-Medizinprodukte-Verordnung nimmt nicht nur die Unternehmen aus der Medizintechnikbranche verstärkt in die Pflicht, sondern stellt auch die prüfenden Stellen vor besondere Herausforderungen. Die Hürden sind so hoch, dass die beiden Benannten Stellen, die in den Jahren 2016/2017 nach der damals gültigen Medizinprodukte-Richtlinie (MDD) in Österreich tätig waren, keine Akkreditierung nach der neuen Medical Device Regulation MDR mehr anstrebten. Bis vorigen Mai gab es in Österreich keine Zulassungsstelle für heimische Unternehmen aus der Medizinproduktebranche.
Die Anerkennung als Benannte Stelle dauert vier bis fünf Jahre und kostet Millionen, erklärt Anni Koubek. Die Personalsituation erwies sich dabei als spezielle Herausforderung. QMD Services baute ein Netzwerk von über 50 Experten auf internationaler Ebene auf, die den verschiedensten Aspekten der Konformitätsbewertung gerecht werden. Zuletzt wurden die Qualifizierungsanforderungen an die Auditoren weiter verschärft (mindestens zweijährige Berufspraxis im Spezialbereich). Aus diesem Grund gibt es kaum Fachpersonal, das den komplexen Ansprüchen der staatlichen Zulassungsstellen gerecht wird.
Die ursprüngliche MDR-Verordnung gilt unter Experten als „schwammig“ und „schlecht gemacht“. Prüfer wie Unternehmer rätseln oft, wie Anforderungen umgesetzt werden sollen. Daher werden ständig Änderungen und Anpassungen durch Dokumente der Medical Device Coordination Group (MDCG) produziert. Allein 2024 gab es 16 dieser Leitliniendokumente für Hersteller, Benannte Stellen und andere Akteure im Medizinproduktebereich. Sie sind nicht verpflichtend, haben aber wegweisenden Charakter. Dazu treten regelmäßig die Common Specifications (CS) als technisches Regelwerk, die bei Produktgruppen wie Hochrisiko-Implantaten (Herzklappen oder chirurgisches Netzmaterial) oder Umsetzungsvorgaben greifen. Übergangsbestimmungen (siehe Kasten) werden beispielsweise über CS geregelt (MDR 2023/607). Die Neuerungen verlangen nach ständiger Adaption im Zulassungsprozess und bei den Unternehmen. Anni Koubek dazu: „Es gab Anlaufschwierigkeiten. Jetzt beginnt die Verordnung zu greifen. Wir sind auf dem Weg zur Routine.“
Zu langsam und zu kompliziert
Die Nebenwirkungen eines eigentlich für mehr Patientensicherheit gedachten Normenkatalogs sind beträchtlich. Im Vorjahr beklagten zwei deutsche Kinderärzte medienwirksam die Bereinigung von Produktsortimenten im Zuge der aktuellen Medizinprodukte-Verordnung. Bestimmte Sorten von Herzkathetern für Kinder seien nicht mehr verfügbar, weil die Hersteller eine Neuzulassung nach MDR-Regeln nicht mehr als wirtschaftlich ansehen, beklagten die beiden deutschen Kinderkardiologen Stephan Schubert und Matthias Gorenflo bei einem Kongress.
Mitglieder des Europäischen Parlaments griffen dieses Beispiel auf, um auf die negativen Auswirkungen der MDR hinzuweisen. Ein 10-Punkte-Programm zur Anpassung der MDR wurde im Herbst als Resolution vom Europäischen Parlament angenommen. Resolutionen sind nicht direkt gesetzlich bindend, haben aber auf die Kommission erheblichen politischen und regulatorischen Einfluss und senden Signale an Regierungen, Industrieverbände und Benannte Stellen.
Der deutsche Arzt und CDU-Europaabgeordnete Peter Liese gilt als Treiber bei den MDR-Anpassungen auf EU-Ebene. Im Kern geht es bei seinem Vorschlag darum, künftig die kostenintensive, obligatorische Rezertifizierung von Medizinprodukten alle fünf Jahre zumindest für Produkte mit niedrigem Risiko ersatzlos zu streichen. Für Produkte mit höherem Risiko schlägt er die Rezertifizierungspflicht erst nach zehn statt bisher fünf Jahren vor. Liese wies anlässlich einer Konferenz des deutschen Branchenverbandes BVMed darauf hin, dass „eine umfassende Revision der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) auf dem Weg sei“. Das Europäische Parlament dränge mit der Resolution auf eine schnelle Änderung der umstrittenen Medizinprodukte-Verordnung. „Die EU-Institutionen sind weit übers Ziel hinausgeschossen“, so der Europaabgeordnete. Unternehmen wie auch die für die Zulassung zuständigen Benannten Stellen müssten entlastet werden.
Das Fast-Track-Verfahren als neue Lösung?
Ein zentrales Reformvorhaben betrifft die Einführung eines Fast-Track-Verfahrens für innovative Produkte. Die Idee dahinter: Hochinnovative Produkte sollen einen beschleunigten Marktzugang erhalten, um europäische Unternehmen im internationalen Wettbewerb zu stärken. Dies würde insbesondere Bestandsprodukte (Legacy Devices) betreffen, deren erneute Zertifizierung unter den aktuellen MDR-Regeln als besonders problematisch gilt. Aber auch Start-ups müssen schneller marktfähig werden dürfen. Deren Innovationen gehen immer öfter zuerst in den US-Markt, um erst später für Europa zugelassen zu werden.
Ein Fast-Track-Mechanismus wird in erster Linie auf vereinfachte Anforderungen für bewährte Produkte (die bereits unter der alten Richtlinie zertifiziert waren) abzielen. Neuzertifizierungen verlangen nach verkürzten Bearbeitungszeiten durch effizientere Prozesse in den Benannten Stellen. Allerdings sind in diesem Zusammenhang auch die Unternehmen gefordert, ihre Dokumentationen den Erfordernissen eines rigiden Zertifizierungsprozesses anzupassen. Sobald die Zulassungsstelle neue oder verbesserte Dokumente nachfordert, verzögert sich die Zertifizierung automatisch um Monate. Parties müssen dann verschoben werden.
Übergangsbestimmungen
Bereits 2023 hatten sich Parlament und Rat nach einem entsprechenden Vorschlag der Kommission auf eine Verlängerung der MDR-Fristen geeinigt. Für Medizinprodukte mit einem Zertifikat oder einer Konformitätserklärung, die vor dem 26. Mai 2021 ausgestellt worden waren, wurde die Übergangsfrist zu den neuen Regeln wie folgt verlängert:
– Für maßgefertigte implantierbare Produkte der Klasse III: bis zum 26. Mai 2026.
– Für Produkte mit höherem Risiko: bis 31. Dezember 2027. Dazu zählen Produkte der Klasse III und implantierbare Produkte der Klasse IIb.
– Für Produkte mit mittlerem und geringerem Risiko: bis zum 31. Dezember 2028.