Der Österreich-Geschäftsführer von Siemens Healthineers, Joachim Bogner, erklärt, warum sich das Medizintechnik-Geschäft Konjunkturtälern entzieht und wie er neue CT-Technologie in den Markt bringt.
Herr Bogner, Österreichs Wirtschaft ist nach zwei Jahren Rezession angeschlagen. Wie steht es um die Befindlichkeit der Medizintechnik-Branche?
Joachim Bogner: Wir sind in der Position, unverändert eine stabile Nachfrage zu verzeichnen. Das hat sehr viel mit Innovation zu tun. Es gibt ständig Veränderungen. In unserer Branche finden Sie hochspezialisiertes Know-how, technologische Exzellenz und enge Kooperationen mit klinischen und universitären Partnerinnen und Partnern. Hier arbeiten über 60.000 Menschen in mehr als 600 Unternehmen. Die Branche steht in einem starken Innovationsökosystem und ist eng vernetzt im Gesundheitswesen. Es gibt ständig Veränderungen und Weiterentwicklungen.
Röntgenblick. Der promovierte Physiker und Österreich-Chef von Siemens Healthineers, Joachim Bogner, forciert das Geschäft mit der Digitalisierung. In Innsbruck arbeiten 130 IT-Experten an neuen Patientenportalen und automatisierten Verwaltungsabläufen.
Überblickt man die kommenden drei oder vier Jahre: Bemerken Sie eine veränderte Investitionsfreudigkeit der Kliniken und Ordinationen in Ihren Geschäftsbereichen? Ein Großgeräteplan als Teil der regionalen Gesundheitspläne bestimmt die Beschaffungsvorgänge in Kliniken. Wie verkauft man in diesem Umfeld ein CT-Gerät? Die Kosten von CT-Geräten reichen von 300.000 bis zu 3 Millionen Euro. Wohin gehen die Wünsche? Bei einer neuen Technologie wie dem Photon-Counting können Sie auf keine breiten Erfahrungswerte verweisen. Wie bringt man Innovationen in den Markt? Wie offen ist das österreichische Gesundheitswesen für Neuerungen? Wer entscheidet, was angeschafft wird? Der Anwender ist selten der Zahler. Da will ich Ihnen die Frage nicht ersparen: Jüngst versandte die ÖGK einen Brief an die Vertragsordinationen, in dem sie anregte, bei bildgebenden Untersuchungen „genauer hinzuschauen“. Sie meinte, eigentlich sei jede zehnte Bildgebung unnötig. Aus Sicht eines Herstellers von Radiologie-, MR- und CT-Geräten ist dies nicht unbedingt umsatzfördernd, oder?
Joachim Bogner ist seit Juli 2020 Geschäftsführer von Siemens Healthineers in Österreich. Nach dem Studium der Technischen Physik wechselt er 1999 in den angewandten Bereich der Medizinphysik an die Medizinische Universität Wien. 2006 steigt Bogner bei Siemens Healthineers als Experte für Radioonkologie ein. Aktuell führt er die Geschäfte von Siemens Healthineers in Österreich und konzentriert sich dabei auf die Themen Digitalisierung im Gesundheitswesen und Ausbau der Präzisionsmedizin.
Steigt mit den neuen Technologien in der Bildgebung auch die Wirtschaftlichkeit – etwa durch höhere Durchsätze? Zum Thema Innovationsdurchlässigkeit: Siemens Healthineers gibt das Ziel aus, bis 2040 jedes neue CT-Gerät auf die Basis der Photonenzählung zu stellen. Ist das realistisch? Die Konkurrenz aus Asien hat die europäischen Autobauer bereits überholt. Droht dies auch in Ihrer Branche? Müssen wir Angst haben, dass Entwicklung und Produktion in der Medizintechnik nach China und Indien abwandern? Siemens Healthineers betreibt in Innsbruck ein Softwarehaus mit 130 Entwicklern und Entwicklerinnen. Sie arbeiten dort an Lösungen für Patientenportale. Was passiert dort genau? Es gibt bereits einen Roll-out in Bayern mit mehr als 100 Spitälern? Was kann diese Software? Besteht nicht die Gefahr von Insellösungen, wenn jeder Verbund sein eigenes Portal entwickelt? Wie will Ihr Unternehmen damit Geld verdienen?
Nein. Die Nachfrage nach innovativen Gesundheitstechnologien bleibt hoch. Investitionsentscheidungen finden immer im Kontext der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen statt. In jeder politischen oder wirtschaftlichen Konstellation besteht Interesse daran, dass das Gesundheitswesen funktioniert. Dabei haben wir viele Treiber: den demografischen Wandel, den Personalmangel in der Versorgung, die zunehmende Digitalisierung im Gesundheitswesen. Kliniken und Ordinationen stehen vor der Herausforderung, moderne Technologien zu integrieren. Wenn es die Chance gibt, präzisere Diagnosen zu stellen und effizientere Behandlungen anzubieten, dann wollen die Spitäler diese
auch nützen.
Man informiert sich frühzeitig, wo und wann Geräte ersetzt werden müssen. Diese Bedarfsmeldungen werden – wie Sie schon angemerkt haben – im Großgeräteplan zusammengefasst. Es ist dann an uns, dem potenziellen Nutzer die Innovationen und Verbesserungen vorzustellen, die das neue Gerät mit sich bringt. Wir sind mit unseren Kundinnen und Kunden in einem ständigen Austausch – nicht nur alle paar Jahre. Radiologinnen und Radiologen beschäftigen sich permanent mit technischen Neuerungen.
Die Bandbreite ist groß. Dabei geschieht die Budgetierung oft zwei Jahre im Voraus. Dann beginnt ein strukturierter Beschaffungsprozess in Form einer Ausschreibung, bei der mehrere Anbieter um den Zuschlag konkurrieren.
Wenn eine Innovation tatsächlich völlig neuartig ist, gibt es bei der Beschaffung die Möglichkeit eines Direktverfahrens – ohne klassische Ausschreibung. Das ist etwa bei den photonenzählenden Computertomographen der Fall. Hier kann der Radiologe beziehungsweise die Radiologin bei Einsatz einer deutlich geringeren Strahlendosis noch mehr aus Bildern herauslesen. Diese Technologie war bislang nicht verfügbar, daher gibt es keinen standardisierten Kriterienkatalog für eine Ausschreibung. Wenn kein anderes Unternehmen etwas Vergleichbares anbieten kann, erlaubt das österreichische Vergaberecht ein sogenanntes „Ex-ante-Verfahren“ – eine Form der Markterkundung, bei der man öffentlich bekannt gibt, dass man einen Auftrag an ein bestimmtes Unternehmen vergeben möchte. Andere Anbietende können dann Einspruch erheben, falls sie meinen, ebenfalls liefern zu können.
Ich kann nur über technische Innovationen sprechen. Österreich ist entgegen vieler Vorurteile sehr offen für derartige Fortschritte – besonders im Radiologiebereich. Wenn eine Innovation wie die photonenzählende Computertomographie nach 20 Jahren Forschung marktreif ist, beginnt eine systematische Verbreitung des Wissens über übliche Kanäle. Wichtig sind sogenannte „Entwicklungskunden“, die Pilotprojekte durchführen und ihre Erfahrungen teilen.
„Der“ Kunde ist ein komplexes Gefüge. Es gibt anwenderseitig Radiologen und Techniker. Dann gibt es oft eine Medizintechnikabteilung oder ein externes Büro, das die Anforderungen definiert. Und schließlich gibt es natürlich die Budgetverantwortlichen – meistens in der Verwaltung. Jede dieser Gruppen hat eine eigene Sichtweise und eigene Kriterien. Deshalb müssen wir alle Beteiligten frühzeitig einbinden. Prinzipiell kann ich als Patient und Hersteller von derartigen Geräten nur sagen: Eigentlich kann es nie genug Bildgebung geben (lacht).
Das ist eine rein medizinische Fragestellung – und diese kann und soll nur von Medizinern beantwortet werden: Im konkreten Fall geschieht dies in der Zusammenschau von zuweisenden Ärzten und Radiologen. Hier sehe ich die Rolle der Medizintechnik in der Beratung der Kliniker und Klinikerinnen, wie sie sich mit Technologie passend aufstellen können.
Es bleibt eine Frage, wie man Wirtschaftlichkeit definiert. Beispiel: Mit photonenzählender Computertomographie kann ich deutlich besser erkennen, ob sich auf der Bauchspeicheldrüse ein bösartiger Tumor oder eine weniger gefährliche Zyste eingelagert hat. Wenn ich dies frühzeitig feststellen kann, hat dies nicht nur für den Patienten, sondern auch für das Gesundheitssystem enorme positive Auswirkungen. Es gibt natürlich auch andere Parameter, wie man Nutzen kategorisieren kann. Untersuchungszeiten können sich mit neuer Technologie und verkürzten Umrüstzeiten halbieren. Aber oft liegt das Nadelöhr nicht in der Technik, sondern in der Logistik – etwa bei Umkleidezeiten und Patiententransport. In manchen Krankenhäusern lassen sich Time-Slots von 30 Minuten auf 15 Minuten verkürzen, in anderen ist das Limit schon erreicht. Ganz entscheidend für die Auslastung und Umschlagzahlen ist aber die Personalsituation. Wenn ich zu wenige Mitarbeiter zur Verfügung habe, ruht die beste Technik. In dem Punkt kämpfen fast alle Partnerkliniken und -ordinationen mit dem gleichen Problem.
Ja, das ist unser Ziel. Natürlich startet man bei High-End-Zentren, aber die Technologie wird mit der Zeit skalierbar und erschwinglich. Und sie wird – in weniger umfangreich ausgestatteten Modellen – Zugang auf alle Ebenen des Gesundheitssystems finden. Das ist ein normaler Prozess, wie man ihn aus der Autoindustrie kennt – Innovation beginnt oben und diffundiert dann nach unten.
Die Mitbewerber aus Asien arbeiten mit hoher Geschwindigkeit und Professionalität. Ich verspüre da einen gewissen Respekt und eine gewisse Ernsthaftigkeit, wie beide Seiten diese Mitbewerbersituation erleben. Das ist weniger beängstigend als motivierend. Über 40 % unseres Umsatzes stammen aus Produkten, die wir in den letzten drei Jahren auf den Markt gebracht haben. Wir können gar nicht verhindern, dass manches nachgeahmt wird. Die Technik der photonenzählenden Computertomographie lässt sich nicht so leicht nachahmen. Aber zweifellos arbeitet der Mitbewerb aus Asien an diesen Themen – das ist Teil unseres Geschäfts.
Im Gegenteil. Ein Großteil unserer Entwicklung und Produktion passiert in der Nähe von Erlangen, also mitten in Europa. Siemens Healthineers hat in der Logistikkrise gezeigt, dass wir verlässlich liefern können. Das ist auch ein Bekenntnis zum Standort Europa.
Innsbruck ist unsere globale Software-Schmiede für derartige Lösungen. Das aktuelle Pilotprojekt „Hallo Gesundheit“ mit der Vinzenz Gruppe zeigt, wie Gesundheitsportale aussehen können – niederschwellig, mobil verfügbar und mit ELGA-Standards kompatibel.
Die Anforderungsprofile sind in Bayern und in den heimischen Kliniken sehr ähnlich. Da wie dort begleitet die Plattform die gesamte Patientenreise – von der Anmeldung über die Behandlung bis zum Entlass- und Überleitungsmanagement. Patientinnen und Patienten können mit dem Portal digital Termine mit ihrem Krankenhaus vereinbaren und bereits vor der Aufnahme in die Klinik von zu Hause aus, relevante Daten und Dokumente bereitstellen. Sie können mit dem Klinikpersonal per Chat oder Videosprechstunde kommunizieren. Gleichzeitig behalten sie nicht nur den Überblick, sondern auch die Hoheit über ihre Daten. Von diesen verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten profitiert auch das Klinikpersonal. Die Patientinnen und Patienten füllen vorab Anamnesebögen aus und stellen die Daten bereit, die sonst mühsam zusammengetragen werden müssen. Das verringert den Aufwand für die manuelle Datenerfassung.
Diese Gefahr besteht. Wir sind in Österreich stark föderal organisiert mit sehr unterschiedlichen digitalen Auftritten im Gesundheitsbereich. Aber unser Ziel ist es, ELGA-kompatible Lösungen zu bauen, die interoperabel sind – also Daten nahtlos übernehmen und ergänzen können. Es bleibt ein Zusatzangebot zum analogen Weg, kein Ersatz. Unsere Portale sind nicht in Konkurrenz zu ELGA, sondern eine Erweiterung.
Die Nachfrage ist da. In mehreren Bundesländern laufen aktuell Ausschreibungen für Patientenportale – etwa in Niederösterreich oder Oberösterreich. Unser Ziel ist es, dort als Anbieter vertreten zu sein. Aber auch international gibt es an den digitalen Patientenportalen Interesse. Das reicht bis nach Chile. Wir haben eine große To-do-Liste im eHealth-Bereich – schade, dass nicht schon mehr davon umgesetzt ist.

