Das Konzept von Healing Architecture ist nicht neu. Aber irgendwann wurde es vom Effizienzzwang verdrängt. Die Idee dahinter: Man kann Spitäler so bauen, dass sie zweckmäßig sind und sich die Patientinnen und Patienten trotzdem wohlfühlen.
Es schaut so aus, wie ein modernes Hotelzimmer halt so ausschaut: Die Wände sind weiß und pastellblau gestrichen. Die Decke ist aus hellem Holz, so wie die Einbauschränke. Durch das große Fenster, das fast bis zum Boden reicht, fällt das Sonnenlicht hinein. Es ist geöffnet. Man hört die Vögel zwitschern, die es sich draußen auf einem Baum bequem gemacht haben. Das Einzige, was nicht ins Bild passt: Das Bett erinnert verdächtig an ein Krankenhauszimmer. Das liegt daran, dass es sich um ein Krankenhauszimmer handelt – genau gesagt um ein Zimmer in der Alterspsychiatrie der Elisabethinen in Graz. „Ein Spital muss nicht aussehen wie ein Spital. Räume können freundlich und angenehm wirken – wie Hotelzimmer oder Seminarräume“, meint Christian Schroffenegger, der Verwaltungsdirektor der Elisabethinen.

Ottakring hat Fenster.
2026 soll mit dem Bau der neuen Klinik Ottakring begonnen werden. Das künftig zweitgrößte Spital Österreichs wird nach Healing-Architecture-Ideen konzipiert. Die wichtigsten Anforderungen: Orientierung und Wohlbefinden.
Stress im Spital
Das Gebäude wurde im März dieses Jahres fertiggestellt. Es ist ein Beispiel für ein Konzept, das seit einigen Jahren verstärkt beim Bau von Gesundheitseinrichtungen eingesetzt wird: Healing Architecture. Die Idee dahinter: „Der Aufenthalt in einem Krankenhaus ist für die Patientinnen und Patienten immer mit Stress verbunden. Bei Healing Architecture geht es darum, das Gebäude so zu gestalten, dass die Menschen sich wohlfühlen und dieser Stress so weit wie möglich gemindert wird“, erläutert Richard Klinger, CEO des Architekturbüros Architects Collective.
Klinger verweist auf „zahlreiche Studien, die belegen, dass der Heilungsprozess deutlich beschleunigt wird, wenn die Prinzipien von Healing Architecture konsequent umgesetzt werden“. Erstmals nachgewiesen hat das der amerikanische Architekturprofessor Roger Ulrich in einer Studie in den 80er Jahren. Er stellte bei Patienten, die nach einer Operation im Krankenhaus lagen, Folgendes fest: Probanden, die in ihrem Zimmer Aussicht auf Bäume hatten, wurden schneller gesund als jene, die auf eine Mauer blickten.
Von der heilenden Architektur sollen zudem nicht nur die Patienten profitieren, sondern auch deren Angehörige, die zu Besuch kommen, und das Personal, das dort arbeitet: „Eine angenehme Atmosphäre fördert die Mitarbeiterzufriedenheit. Das gilt für ein Krankenhaus genauso wie für ein ganz gewöhnliches Bürogebäude“, meint Christoph Falkner von Swap Architektur. Ein Krankenhaus muss natürlich besonders hohe Anforderungen erfüllen – von der Technik über die Logistik bis zur Hygiene und der strengen Trennung von sterilen und nicht-sterilen Bereichen. Falkner: „Das ist alles notwendig und wichtig. Aber das Krankenhaus ist keine Maschine, sondern ein Ort, in dem Menschen gesund werden sollen.“
Swap Architektur hat gemeinsam mit Architects Collective und dem Büro F+P Architekten einen Zusammenschluss namens „Austrian Healthcare Architects“ (AHA) gebildet, der sich auf den Bau von Gesundheitseinrichtungen nach dem Healing-Architecture-Prinzip spezialisiert hat. Vor Kurzem hat das Kollektiv den Zuschlag für den Neubau der Klinik Ottakring in Wien erhalten – ein riesiges Projekt, bei dem das zweitgrößte Spital Österreichs entstehen wird. Der Baustart ist für 2026 geplant, die Fertigstellung bis 2040.

Angenehmer Arbeitsplatz.
Von der heilenden Architektur sollen nicht nur die Patienten profitieren, sondern auch das Personal, das dort arbeitet, meint Christoph Falkner von Swap Architektur.
Nicht nur nette Farben
In Ottakring sollen die Healing-Architecture-Ideen breit umgesetzt werden. Der Ansatz geht weit über nette Farben und Fenster mit Ausblick ins Grüne hinaus. Er beginnt bereits bei der Grundstruktur des Gebäudes. Das wichtigste Stichwort dabei: Orientierung. „Niemand geht gerne in ein Spital. Es ist daher wichtig, dass die Menschen sich leicht in dem Gebäude zurechtfinden können. Das reduziert den Stress“, so Architekt Falkner.
Wie man es nicht machen sollte, aber bis vor einiger Zeit regelmäßig gemacht hat, zeigen die alten Gemeindespitäler. „Die Gebäude sind so konzipiert, dass man sich nicht orientieren kann. Wenn du dich dreimal umdrehst, weißt du nicht mehr, wo du bist“, so Klinger. Die Komponenten, die das Navigieren in diesen Bauwerken so schwierig machen: keine nachvollziehbare Struktur, endlose, verschlungene Gänge, kein natürliches Licht und eine Flut an Hinweisschildern. „Wer sich bei uns auskennt, sollte Fährtenleser werden“, meint eine genervte Ärztin, die im Wiener AKH ihren Dienst verrichtet.
Es geht aber auch anders. Das zeigt das Beispiel des Klinikums Klagenfurt: Von der Eingangshalle mit einem Infopoint führt eine sogenannte „Magistrale“ – das Wort, das Architekten für eine Hauptverbindung verwenden – zu den einzelnen Funktionsbereichen des Hauses. Zur besseren Orientierung haben die Planer sich zudem einen cleveren Kniff einfallen lassen: Die vier Innenhöfe im Pflegebereich sind unterschiedlich bepflanzt – jeder Innenhof mit einer anderen Baumart.
Die Pflanzenbeete in den Innenhöfen geben die Struktur der Rinde der Bäume wieder. Die Pflanzen selbst haben die gleiche Farbe wie der jeweilige Baum, wenn dieser blüht. Klinger: „Diese Gestaltung schafft Klarheit. Man findet sich leichter zurecht.“
Die AHA-Architekten legen bei der Planung der Grundstruktur zudem großen Wert darauf, Kommunikation zu ermöglichen. Gänge von einem Bereich zum nächsten werden bewusst von Zonen unterbrochen, in denen Patienten und Besucher sich hinsetzen, einen Kaffee trinken und miteinander plaudern können. Schlagwort: soziale Interaktion. Und diese soll auch zwischen den Mitarbeitern gefördert werden. Dafür werden Bereiche für Personal vorgesehen, das keinen fixen Büroplatz hat – egal ob Ärzte, Pfleger, Therapeuten oder Techniker: „Sie sollen ebenfalls die Möglichkeit zum informellen Austausch erhalten. Dafür kann man Zonen mit Stehtischen oder weichen Sitzmöbeln schaffen“, schildert Architekt Falkner. Außerdem sind schallgeschützte Räume wichtig, in denen die Belegschaft bei Bedarf ungestört arbeiten kann.
Steht die Grundstruktur des Gebäudes, widmen sich die Planer bei der Umsetzung des Healing-Architecture-Konzepts den weiteren Details. Und auch hier hat die Nähe zur Natur eine große Bedeutung: So wie die Gänge sollten auch sämtliche Zimmer inklusive der Büros der Mitarbeiter ein Fenster haben. In Bettenburgen wie dem AKH oder der Berliner Charité keine Selbstverständlichkeit. Das Fenster sollte den Blick auf natürlich wachsendes Grün bieten – egal ob Bäume, Rasen, Büsche oder eine begrünte Fassade. Damit der Patient, der im Bett liegt, diesen Blick genießen kann, müssen die Fenster groß genug sein und tief genug angebracht werden.
Und zumindest ein Fenster pro Zimmer sollte von den Patienten selbstständig geöffnet werden können. Klinger: „Hier geht es um die Selbstbestimmtheit der Patienten. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt.“ Ähnlich verhält es sich mit der Lüftungsanlage, mit der viele Zimmer in Gesundheitseinrichtungen mittlerweile ausgestattet sind. Auch diese sollten die Patienten im Idealfall selbst ein- und ausschalten können. Farben und Materialien spielen bei Healing Architecture ebenfalls eine große Rolle. Elemente in Holzoptik werden als angenehm empfunden – ebenso naturnahe Farben wie Beige, Grün oder Blau und Pastelltöne. „Grelle Signalfarben haben in einem Patientenzimmer nichts verloren“, meint Falkner.
Natürliche Materialien kommen auch verstärkt beim Bau selbst zum Einsatz. Und hier können sie, zumindest indirekt, ebenfalls zu mehr Wohlbefinden von Patienten und Personal führen: Gesundheitseinrichtungen werden oftmals während des laufenden Betriebs umgebaut, saniert oder erweitert. Das führt zu reichlich Lärm und Schmutz. Diese Belastung kann man reduzieren, indem die eingesetzten Bauteile so weit wie möglich in der Fabrik vorgefertigt werden. Dafür eignen sich moderne Holz-Hybrid-Konstruktionen hervorragend. Dazu ein Sprecher des heimischen Baukonzerns Strabag: „Der Einsatz von vorgefertigten Bauteilen reduziert die Bauzeit um bis zu 50 Prozent und den Transportaufwand um bis zu 90 Prozent.“
Quellen und Links:
Website Austrian Healthcare Architects:
www.aha.co.at
Healing Architecture: Heilende Wände in Krankenhäusern:
www.gesundheitswirtschaft.at/publikation/64-jg-2023-12/healing-architecture-heilende-waende-in-krankenhaeusern
Healing Architecture in Österreich:
v-a-i.at/ausstellungen/das-kranke-n-haus/healing-architecture-in-oesterreich

