Ignaz Semmelweis Institut: Forschen für die Champions League

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Martin Hehemann

Anfang des Jahres hat das neue Ignaz Semmelweis Institut seine Arbeit aufgenommen. Es ist das erste Institut seiner Art in Österreich. Das Ziel: Infektionskrankheiten erforschen, um sich besser auf mögliche Pandemien vorbereiten zu können. Der Anspruch: in der Champions League der Infektionsforschung mitspielen.

Man weiß ja, was draußen unterwegs ist. Es ist unsere Aufgabe, die aktuellen Entwicklungen zu monitoren, um im Ernstfall so rasch wie möglich reagieren zu können.“ Die Entwicklungen, von denen Florian Krammer spricht, betreffen gefährliche Infektionskrankheiten wie Influenza oder Corona. Pandemien sind dann der Super-GAU. Wenn man die Krankheitswellen nicht verhindern kann, dann will man sie zumindest kommen sehen. Florian Krammer ist Leiter des neuen Ignaz Semmelweis Instituts, das Anfang des Jahres seine Arbeit aufgenommen hat. Es widmet sich der Erforschung von Infektionskrankheiten. Das Ziel: Krankheitserreger und Krankheiten besser verstehen, Gefahren frühzeitig erkennen und Gegenmaßnahmen entwickeln – vor allem Impfstoffe und Therapeutika.

Akademische Brücke. Das Ignaz Semmelweis Institut für Infektionsforschung (ISI) ist ein Zusammenschluss von fünf Universitäten: den Med Unis in Wien, Graz und Innsbruck, der medizinischen Fakultät der Universität Linz sowie der VetMed der Uni Wien.

Ergebnis der Corona-Zeit

Das neue Institut ist hierzulande das erste seiner Art. „Bislang hat es in Österreich kein Institut gegeben, das sich speziell mit Pandemien und der Vorbereitung auf Pandemien beschäftigt“, erläutert Krammer. Dieses Defizit ist während der Covid-19-Pandemie spürbar geworden, zumal es in anderen Ländern wie beispielsweise Deutschland schon länger derartige Einrichtungen gibt. „Die Covid-19-Pandemie hat den Anstoß für die Gründung unseres Instituts gegeben“, so Krammer weiter. „Es war dabei der Wunsch, dass man alle Med Unis in Österreich einbindet.“

Das Semmelweis Institut ist ein Zusammenschluss von fünf Universitäten: den Med Unis in Wien, Graz und Innsbruck, der medizinischen Fakultät der Universität Linz sowie der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Das Institut befindet sich noch im Aufbau. Krammer spricht von einem „Soft Opening“. Der Hauptcampus befindet sich am Gelände der Med Uni Wien. Dazu kommen weitere Professuren an den anderen vier beteiligten Universitäten. Die Verantwortlichen erwarten sich viel von dem Vorhaben. Mit diesem „einzigartigen Gemeinschaftsprojekt“ schaffe man ein „wegweisendes Instrument“, das den Forschungs- und Gesundheitsstandort Österreich nachhaltig stärken werde, meinte der damalige Forschungsminister Martin Polaschek Anfang des Jahres bei der Vorstellung der Einrichtung. Institutsleiter Krammer dürfte das ähnlich sehen. Er peilt nichts weniger als die „Champions League“ der Infektionsbekämpfung an: „Unser Plan ist es, das Ignaz Semmelweis Institut als international führende Forschungseinrichtung im Bereich Infektionserkrankungen und Pandemievorbereitung zu etablieren“, so Krammer. „Wir haben ein ausgezeichnetes Team am Start, das sich aus Spezialistinnen und Spezialisten aus verschiedensten Bereichen der Infektionsforschung zusammensetzt, die sich gegenseitig komplementieren.“

Auf dem Weg in die Champions League hat man mit dem 42-Jährigen zudem einen Spielmacher gefunden, der zu den Topstars der internationalen Infektionsforschung zählt. Der gebürtige Steirer Krammer hat sich unter anderem mit der Entwicklung eines neuartigen Influenza-Impfstoffs an der renommierten Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York einen Namen gemacht. Dort ist er auch weiterhin als Stiftungsprofessor für Vakzinologie tätig. In Österreich wurde er durch sein Engagement in den Medien während der Covid-19-Pandemie bekannt.

Poster-Prof. Florian Krammer wird das ISI von null an aufbauen. Neben seiner Aufgabe in Wien behält er aber seine Stiftungsprofessur an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York.

Es ist nicht vorbei

Experten sind davon überzeugt, dass die globale Bedrohung durch Infektionskrankheiten in den kommenden Jahren nicht abnehmen wird – im Gegenteil: „Der deutliche Anstieg von Infektionskrankheiten in den letzten Jahren ist durch Faktoren wie globale Mobilität, Klimawandel, Antibiotikaresistenzen und zunehmende Impfskepsis bedingt“, meint Stefan Koch, Rektor der Johannes Kepler Universität Linz. „Die daraus resultierenden negativen Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft werden uns auch in Zukunft vor große Herausforderungen stellen.“

Semmelweis Institut-Chef Krammer rechnet „mit zwei bis drei weiteren Pandemien bis zu meiner Pensionierung“ – ergänzt allerdings, dass er davon ausgeht, mit 80 Jahren in den Ruhestand zu gehen. Besonders gefährlich „sind Viren, die respiratorische Infektionen hervorrufen können, da sie sich leicht übertragen lassen“, so Krammer weiter. „In den vergangenen 100 Jahren hat es vier Influenza-Pandemien gegeben. Und das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder passieren. Coronaviren gehören in diese Kategorie, ebenso wie Paramyxoviren. Und das sind nur einige Beispiele.“

Mit Anspannung beobachtet er derzeit Meldungen aus den USA. Dort ist das berüchtigte Vogelgrippevirus H5N1 auf Kühe übergesprungen und breitet sich immer weiter aus. Es gibt auch Meldungen über Infektionen bei Menschen. „Da gibt es mittlerweile einige Fälle, bei denen man nicht weiß, wo sich die Leute angesteckt haben. Und das ist natürlich hochproblematisch“, so Krammer. Die große Befürchtung: Der Erreger könnte bereits von Mensch zu Mensch übertragen worden sein – eine Anpassung des Virus, die Virologen fürchten.

Sorgen bereitet Virologen ein bislang eher unbekanntes Virus namens Nipah. Es ist verwandt mit Masern und kommt in Flughunden in Südostasien vor. Den Fledermäusen schadet es nicht. Immer wieder stecken sich aber Menschen an – beispielsweise indem sie Früchte von Bäumen essen, an denen sich auch die Fledermäuse gütlich getan hatten. Die große Gefahr: Nipah „ist respiratorisch übertragbar, wenn auch derzeit nicht sehr gut. Es könnte aber durchaus irgendwann mutieren und besser übertragbar werden“, erläutert Krammer.

Bereits eine reale Gefahr stellt ein heimischer Erreger dar, der in der Steiermark und Ostkärnten immer wieder für Infektionen sorgt: das Hanta-Virus. Pro Jahr stecken sich bis zu 200 Menschen mit diesem Virus an. Es wird über Urin und Kot von Rötelmäusen verbreitet. Die Symptome sind anfangs denen einer Influenza ähnlich. Sie können immer schlimmer werden und bis zu einem Nierenversagen führen. Das Problem: „Bislang gibt es gar nichts dagegen“, so Krammer. „Wir forschen bei uns in Wien gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen von der Med Uni Graz an einer Antikörpertherapie. Da sind wir schon recht weit.“

Beispiele wie Nipah oder Hanta verdeutlichen, wie wichtig die Zusammenarbeit von Humanmedizin und Tiermedizin beim Kampf gegen Infektionskrankheiten ist. Die Fachleute sprechen hier vom „One-Health-Ansatz“. Es ist daher kein Zufall, dass die Veterinärmedizinische Universität Wien neben den vier heimischen Med Unis beim Semmelweis Institut mit von der Partie ist. „Wir leben in einer vernetzten Welt. Für den Bereich Infektionskrankheiten bedeutet das: Sehr viele Infektionserreger können sowohl bei Tieren als auch bei Menschen vorkommen und in beide Richtungen übertragen werden. Die einzige sinnvolle Antwort darauf ist die Vernetzung der Human- und Veterinärmedizin“, meint deren Rektorin Petra Winter.

Das Thema Vernetzung ist Instituts-Chef Krammer wichtig – und zwar in jede Richtung, national und international. Er verfügt selbst über erstklassige Kontakte und er und sein Team sind sehr gut in den internationalen Forschungsnetzwerken vernetzt. „Die wichtigsten Netzwerke sind die informellen Netzwerke“, meint Krammer. Diese Netzwerke will das neue Institut nutzen, um seine Aufgaben zu erfüllen. „Wir haben zwei wesentliche Standbeine: die Grundlagenforschung im Bereich der Infektionskrankheiten und die Vorbereitung auf Epidemien und Pandemien“, sagt er. „Neben der Grundlagenforschung werden wir aber auch translationale Forschung betreiben – und zwar vor allem für die Entwicklung von Impfstoffen und Therapeutika, für die Diagnostik und die Virusüberwachung.“ Zudem werde man auch Material für Phase-1-Studien in einer eigenen sogenannten GMP-Facility am Campus der MedUni Wien herstellen.

Die Virusüberwachung ist Krammer ein besonderes Anliegen: „Wir müssen früh Bescheid wissen, immer einen Informationsvorsprung haben.“ So könne man sich rasch auf eine mögliche Epidemie oder Pandemie vorbereiten: „Wir lernen den Krankheitserreger kennen und wissen im besten Fall schon bei Beginn einer größeren Welle, wie er Menschen krank macht.“ Dieses Wissen ist entscheidend für den nächsten Schritt: Man kann Tests und Antikörper entwickeln, um die Erkrankungen sofort zu erkennen und zu behandeln. „Am Anfang muss man schnell sein. Die Werkzeuge und die Infrastruktur müssen einsatzbereit sein“, so Krammer.

Bright Minds. Die Kick-off-Veranstaltung des ISI Ende Jänner versammelte
die geballte akademische Spitze der heimischen Medizinlehre.

Warten auf den Umzug

Derzeit widmet er einen Teil seiner Arbeitszeit dem Aufbau der eigenen Infrastruktur im Institut: 2028 soll das Institut in ein neues Gebäude am Campus der MedUni Wien einziehen – bis dahin erhält es eine Zwischenunterkunft. Im Endausbau soll das Institut am Standort Wien 120 hoch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen. „Der Fokus der nächsten paar Jahre wird es jetzt sein, das Institut strukturell aufzubauen“, meint dessen Leiter Krammer. Darunter versteht er neben dem Einzug in das zukünftige Institutsgebäude vor allem: „Junge dynamische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mit uns forschen wollen, zu rekrutieren, uns in internationale Netzwerke zu integrieren und natürlich innovative und nützliche Forschung im Bereich der Infektionsbiologie zu betreiben.“

Die Akquisition des Personals läuft auf Hochtouren. Im Sommer wird man Stellen für Junior Principal Investigator (PI) ausschreiben – also Forschungsleiter, die das bestehende Team ergänzen sollen. Beim Aufbau der Forschungsmannschaft könnte die schlechte Stimmung, für die die Trump-Administration an den US-amerikanischen Universitäten sorgt, zugutekommen. Krammer: „Die Situation in den USA für Infektionsforschung ist momentan unsicher und chaotisch, da kann man vermutlich sehr kompetente Kollegen nach Wien holen.“

Neben den beiden Hauptaufgaben der Forschung und Pandemievorbereitung ist dem neuen Institut eine weitere Funktion zugedacht: Es soll Wissen in der breiten Bevölkerung vermitteln und damit gegen die wachsende Wissenschafts- und Impfskepsis angehen. Auch hier soll Institutsleiter Krammer sein breites Know-how einbringen – und Kooperationen ermöglichen: Er wird das Ludwig Boltzmann Institut für Wissenschaftsvermittlung und Pandemievorsorge leiten, das am 1. Juli 2025 in Wien seine Arbeit aufnehmen wird. Andrea Kurz, Rektorin der Med Uni Graz, unterstreicht die Bedeutung dieser Arbeit: „Wissenschaft ist kein Luxus, sondern unsere stärkste Waffe – sie verdient Vertrauen, denn sie schützt uns alle.“

Die pure Verzweiflung

Am Anfang stand die Ahnungslosigkeit. Mit den ersten Nachrichten über einen SARS-Ausbruch in China stieg die Panik. Die österreichischen und internationalen Gesundheitseinrichtungen begriffen, dass es kaum Wissen zum Virus und über die Eindämmung einer Pandemie gab. 2021 wurde in Österreich noch unter Heinz Faßmann das Programm „Uni-Med-Impuls 2030“ ins Leben gerufen. Man wollte den Herausforderungen der COVID-19-Pandemie und der Infektiologie allgemein kompetenter entgegentreten können. Es wurden mehrere Initiativen gestartet. Die Zahl der Studienplätze in der Humanmedizin wurde um 200 erhöht. Zudem wurden 30 neue Professuren in Schlüsselbereichen wie Infektiologie, Epidemiologie und Public Health eingerichtet, um Forschung und Lehre krisenrelevanter Themen auszubauen. Die Gründung des Ignaz Semmelweis Instituts für Infektionsforschung ist ein weiteres Ergebnis dieses Programms: Es soll Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und öffentlicher Gesundheit werden. Für die Leistungsvereinbarungsperiode 2022–2024 wurden den medizinischen Universitäten zusätzliche Mittel in Höhe von über 170 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Der Plan war, das Gesamtbudget der Med Unis bis 2030 auf rund eine Milliarde Euro anzuheben. Gleichzeitig wurde die medizinische Lehre digitalisiert, beispielsweise durch moderne 3D-Technologien in der Anatomie-Ausbildung. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Stärkung der Allgemeinmedizin, etwa durch das Exzellenzprogramm für Primärversorgung.

Quellen und Links:

Website des Ignaz Semmelweis Instituts:
semmelweisinstitute.ac.at/de/willkommen-im-semmelweis-institut

Die Med Uni Wien zum Start des Instituts:
www.meduniwien.ac.at/web/ueber-uns/news/2024/news-im-dezember-2024/ignaz-semmelweis-institut-nimmt-seine-arbeit-auf

Die Med Uni Wien zum Fokus des Instituts:
www.meduniwien.ac.at/web/ueber-uns/news/2025/news-im-jaenner-2025/ignaz-semmelweis-institut-setzt-fokus-auf-infektionskrankheiten

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren: