Nostrifizierungen: Pflege ist nicht gleich Pflege

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Autor: Markus Golla

Das heimische Werben um internationale Pflegekräfte verläuft chaotisch. Die involvierten Agenturen agieren nachlässig, manche sind sogar kriminell. Eine bundesweite Zertifizierung der Rekrutierungsunternehmen bleibt unverzichtbar.

Der Mangel an Pflegekräften ist ein globales Phänomen, das viele Länder betrifft. In der Europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stehen alle 53 Mitgliedstaaten vor erheblichen Herausforderungen im Gesundheits- und Pflegepersonalbereich, insbesondere aufgrund der Überalterung des Personals. Der Internationale Rat der Krankenpflegeberufe (ICN) hat wiederholt auf den globalen Mangel an Pflegekräften hingewiesen und betont, dass dieser eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheitssysteme weltweit darstellt. Der ICN schätzt, dass bis zu 13 Millionen zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden, um den weltweiten Bedarf zu decken und die bestehenden Lücken zu schließen.

Vielfach Opfer. Internationale Pflegekräfte werden von Agenturen angeworben und dann allein gelassen. Die österreichischen Rekrutierungsmaßnahmen müssen bundesweit aufeinander abgestimmt werden. Aktuell herrschen die Gesetze des Wilden Westens.

Eine Dichte an „Pflegekräften auf 10.000“ Einwohner bedeutet nicht zwangsläufig, dass kein Pflegemangel besteht. Faktoren wie Arbeitsbedingungen, psychische Belastungen und die Abwanderung von Fachkräften beeinflussen die Situation. So geben in einigen Ländern über 80 % der Pflegekräfte an, während der Pandemie unter psychologischer Belastung gelitten zu haben, und es wurde berichtet, dass bis zu 90 % der Pflegekräfte erwogen, ihren Job zu kündigen. Das Fachkräftebarometer des österreichischen Arbeitsmarktservices zeigt, dass Pflegeberufe derzeit das Hauptproblem Nummer eins auf dem österreichischen Arbeitsmarkt sind. Der Mangel ist nicht nur bei den diplomierten Pflegekräften verortet, sondern findet sich auch innerhalb der Pflegeassistenzberufe und bei den Sozialarbeiterinnen wieder.

Viele Länder setzen auf internationale Anwerbung von Pflegekräften. Durch den globalen Mangel ist dies aber eher kritisch zu sehen. Hierzu hat die WHO eigentlich einen entsprechenden Leitfaden herausgegeben. So sind die Prinzipien eindeutig. Durch die sogenannte „rote Liste“ gibt es regelmäßige Updates, aus welchen Ländern man nicht rekrutieren darf. Die Auflistung nennt im August 2024 55 Staaten – von Afghanistan über Nigeria bis zur Zentral­afrikanischen Republik. Offizielle Abkommen zwischen Österreich gibt es mit Indien, Philippinen und Indonesien.

Recruiting Unternehmen oder moderne Sklavenhändler

Die Sachlage zum Recruiting für Fachkräfte im Pflegebereich scheint also eindeutig. Hier aber fängt die Scheinwelt der ganzen Geschichte erst an. Durch die Notwendigkeit, Fachkräfte für den Gesundheitsbereich zu rekrutieren, entstand ein Wildwuchs an Projekten. Jedes Bundesland in Österreich versucht auf einem eigenen individuellen Weg die Lücke zu stopfen. Da werden Hochschulen und Recruiter ins Ausland geschickt, um durch etwaige Kooperationen Leute nach Österreich zu bekommen. Jeder versucht es auf seine Weise, nur selten kommt man auf die Idee, dies mit den Nachbarbundesländern zu koordinieren. Eine bundesweite Aktion ist ungefähr so realistisch wie der Wunsch, den Föderalismus in Österreich abzuschaffen. Andere Länder gehen hier koordiniertere Wege. Am Ende muss man sich die Frage stellen: Ist das Konzept der Gastarbeiter in der Pflege von Erfolg gekrönt?

Sieht man sich die Berichte aus Deutschland an, so gaben bereits viele Pflegekräfte aus anderen Ländern wieder auf. Die Anwerbung war zwar erfolgreich. Aber das Onboarding, der kulturelle Austausch und die Begleitung waren lückenhaft bis nicht vorhanden. Viele der ausländischen Pflegekräfte gaben bereits nach einem Jahr auf und gingen in die Heimat zurück. Über langfristige Projekte und Lösungen scheint man, wie meist in der Pflegewelt, anscheinend nicht nachzudenken.

Über den Autor:
Prof.(FH) Markus Golla, MScN, BScN
ist Institutsleiter für Pflegewissenschaft an der IMC FH Krems, Studiengangsleiter an drei Standorten sowie diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger. Seit 2015 ist Golla auch Herausgeber der Fachmagazine „Pflege Professionell“, „Lehren und Lernen im Gesundheitswesen“ und „Pflegende Angehörige“.

Ist die Anwerbung von Pflegenden aus dem Ausland eine Lösung für den heimischen Personalmangel? Würde es nicht ausreichen, in Österreich die Ausbildung zu erweitern, damit noch mehr Personen in die Pflege gehen? Der Vorsitzende der GÖD-Gesundheitsgewerkschaft, Reinhard Waldhör, beantwortet diese Frage in einer Presseaussendung: „Die Forderung, ausschließlich in die Ausbildung österreichischer Pflegekräfte zu investieren, ignoriert eine grundlegende Tatsache: Es gibt in Österreich schlicht nicht genügend Interessierte für diesen Beruf. Im Jahr 2022, dem letzten Jahr mit validen Zahlen, blieben 34 % der 13.936 angebotenen Ausbildungsplätze unbesetzt. Von den 9.142 Personen, die eine Pflegeausbildung begonnen haben, kamen zudem nur zwei Drittel tatsächlich im Arbeitsmarkt an.“ Es braucht also die Zuwanderung von Personalressourcen aus dem Ausland. Hier beginnt das eigentliche Problem: Wie Pilze, die aus dem Boden schießen, wächst die Anzahl an „seriösen“ Recruiting Unternehmen, die vom Inland oder dem Ausland agieren. Sie versprechen den Krankenhaus- und Pflegeunternehmen schnelle und unkomplizierte Vermittlung von Fachkräften aus dem Ausland. Hier stehen tausende Euro Vermittlungskosten im Raum, die angeblich alles abdecken. Man müsse sich um nichts kümmern, dies würden alles die Agenturen übernehmen. Durch die Personalnot lassen sich immer mehr Unternehmen auf diese Odyssee ein. Doch ist es wirklich so einfach, Fachkräfte aus dem Ausland zu holen? Wenn ja: Wie entstehen dann diese Unsummen an Vermittlungs-Honoraren und die langen Wartezeiten auf die neuen Kolleginnen und Kollegen?

Allein schon bei der Einreise benötigt man aus bestimmten Ländern eine Einreisegenehmigung. Für eine Aufenthaltsgenehmigung braucht es einen gemeldeten Wohnort, eine Verdienstbescheinigung oder Arbeitsplatzzusage, um zu zeigen, dass man sich selbst versorgen kann, eine Versicherung, ein Bankkonto und vieles mehr. Die Auflagen für Pflegekräfte erhöhen die Barrieren: Es existieren straffe Berufsgesetze mit der Notwendigkeit einer Berufsberechtigung. Da diese im Gesundheitsberuferegister eingetragen sein muss, ist ein sofortiger Start in die Pflegekarriere nicht möglich. Für eine Berufsberechtigung und einen Eintrag ins Gesundheitsberuferegister benötigt man zusätzlich einen absolvierten Deutschkurs von mindestens B1 oder B2 (je nach Stufe der Pflegeausbildung). Die Zeugnisse der Person müssen entsprechend begutachtet und nostrifiziert werden. Da diese Dokumente meist nicht in deutscher oder englischer Sprache vorliegen, müssen sie übersetzt und beglaubigt werden. Schließlich handelt es sich um einen offiziellen Amtsakt. Nach einer Begutachtung aller Dokumente werden Aufenthaltsgenehmigung, vorübergehende Arbeitserlaubnis und Nostrifizierungsbescheid ausgestellt. Der gesamte Prozess entspricht einem Canossagang, dem man sich nicht einmal als Österreicher aussetzen möchte.

Wenn es dann auch noch sprachliche Hürden gibt, wird aus einer Barriere ein übermächtiges Hindernis. Würde das Ganze nicht von einer Agentur oder einem Unternehmen begleitet, müssen die zugewanderten Fachkräfte dies allein bewältigen. Viele der Einzelpersonen scheitern an diesen Behördenwegen. Und nicht alle Recruiting-Unternehmen bieten die professionelle Begleitung, die ihre Honorarnoten vermuten lassen. Ein paar Kontakte in das Zielland und die Hoffnung auf schnelles Geld reichen dabei nicht. Es braucht bei den Agenturen auch die Rücksicht auf grundlegende ethische und zahlreiche rechtliche Komponenten. Viele Agenturen arbeiten unethisch und werden in Fachkreisen sogar als „Moderne Sklavenhändler“ bezeichnet.

Fact finding. Der Pflegewissenschaftler Markus Golla (li) auf einer seiner vielen Reisen durch die Spitäler dieser Welt. Hier besucht er eine Klinik in der Ukraine.

Überbürokratie oder notwendiges Übel?

Immer wieder werden Stimmen laut, man möge diese Behördengänge doch minimieren oder sogar ganz aussetzen. Wollen wir aber wirklich diesen Weg beschreiten? Ist dies die Lösung, um Pflegefachkräfte nach Österreich zu bringen? Als fachlicher Leiter des Kompetenzzentrums „Nostrifizierung“, Pflegewissenschaftler und Studiengangsleiter, ist dieses Thema mein tägliches Geschäft. Dabei erlebt man die Kehrseite der Medaille. Viele der Dokumente sind nicht vorhanden, manche erweisen sich als gefälscht. Drohanrufe werden so real, dass einige der mit Diplomanerkennungen beschäftigten Kolleginnen und Kollegen die Namensschilder in den Büros abnehmen. Sie fühlen sich gefährdet.

Klar ist: Die Agenturen bereiten ihre Klienten nicht ausreichend vor: Obwohl es eine klare Liste an notwendigen Dokumenten gibt, kommt es nur selten bei den Einreichungen zu einer sauberen Übergabe. Man versucht sich eher durchzumogeln, als sich sauber auf diesen Akt vorzubereiten. Dieselbe Erfahrung macht man auch mit angeblichen Sprachzertifikaten, die auf dem Papier gut aussehen, aber keiner Überprüfung standhalten. Unter dem Strich muss man sich fragen, ob man von Pflegepersonen gepflegt werden möchte, die bereits bei diesen Wegen versuchen, mit Betrug ins Land zu kommen. Die Mehrheit der Begegnungen ist positiv. Aber wie kann man sich sicher sein, zu welcher Seite die Person gehört?

Nun stellt sich die Frage: Ist es egal, aus welchem Land eine Pflegeperson kommt? Die Nostrifizierung ist ein essenzieller Bestandteil, um diese Frage zu beantworten. Die Ämter im Sekundarbereich und die Hochschulen im Tertiärbereich stehen hier vor stundenlang erarbeiteten Gutachten für eine Aufwandsentschädigung von nicht einmal 200 Euro. Das Begutachtungsprozedere aller notwendigen Dokumente selbst benötigt sogar mehrere Wochen. Beschäftigt man sich mit dieser Thematik, muss man feststellen, dass die unterschiedlichen globalen Ansätze der Pflegeausbildung mannigfaltig sind. Pflege ist eben nicht gleich Pflege. Während in vielen Ländern die Pflegefachperson eine bessere Arztassistenz ist, fehlen hier oft die Konzepte der Langzeitpflege. Gerade diese würden aber in Österreich benötigt werden. Ebenso ist die Hauskrankenpflege, wie wir sie im deutschsprachigen Raum haben, kein Konzept, das im asiatischen oder afrikanischen Raum gelebt wird. Es braucht hier also definitiv eine entsprechende Nachschulung und Begleitung, damit diese Menschen eine Überlebenschance in der Pflegeberufswelt Österreichs haben.

Die Anwerbung internationaler Pflegekräfte ist ein kompliziertes Thema, das nicht einfach zu lösen ist und aus dem viele zwielichtige Gestalten ihren Profit ziehen. Die Schattenseiten überwiegen die positiven Aspekte. Es gibt keine klaren Strukturen der Betreuung und Nostrifizierung der potenziellen Kolleginnen und Kollegen. Würde man zum Beispiel ein bundesweites Zertifikat für Recruitingagenturen einführen, hätte man eine Qualitätssicherung erarbeitet, die sich der schwarzen Schafe dieser Branche entledigt. Die ethischen Aspekte müssten ebenso hier klar definiert und kontrolliert werden, damit diese eine Wertigkeit haben. Keine betreute Person will, dass eine Mutter ihre Kinder im Heimatland lässt, weil sie aus der Not in ein anderes Land geht, in der Hoffnung, dass ihr Nachwuchs eines Tages nachziehen kann. 

Rekrutierung: Was ist zu tun?

– Verzicht auf die aktive Anwerbung von Personal aus Ländern mit fragilen Gesundheitssystemen,
– Internationale Zusammenarbeit mit Herkunftsländern zum beidseitigen Nutzen,
– Faire Entlohnung, Schutz, Unterstützung, Gleichbehandlung und Transparenz für zugewanderte Gesundheitsfachkräfte,
– Datenerhebung und Datenmonitoring sowie
– Internationaler Informationsaustausch

Quellen und Links:

Neuer Bericht von WHO/Europa www.who.int/europe/de/news

„Our Nurses. Our Future. The economic power of care.“ www.icn.ch (PDF)

BMAW AMS Fachkräftebarometer bmaw.gv.at/Themen/Arbeitsmarkt/Arbeitsmarktdaten/Fachkraeftebarometer

www.sozialministerium.at/dam (PDF)

Leitfaden für Österreich zum WHO Code Download www.sozialministerium.at/dam (PDF)

GÖD-Gesundheitsgewerkschaft: Pflegekräfte aus Vietnam können einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit in Niederösterreich leisten

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