Viele Gesundheitseinrichtungen verwenden IH-IVDs, ohne sich dessen bewusst zu sein. Eine klare Definition hilft, solche Tests richtig einzuordnen und die Anforderungen der IVDR umzusetzen.
Mit Einführung der In-vitro-Diagnostika-Verordnung (EU 2017/746) wurde ein harmonisiertes, strengeres Regelwerk zur Stärkung der Patientensicherheit eingeführt, das nun auch In-house-In-vitro-Diagnostika (IH-IVDs) in Gesundheitseinrichtungen reguliert (1). Insbesondere in der Ära der P5-Medizin (prädiktiv, präventiv, personalisiert, Partizipation der Patientinnen und Patienten, unter Berücksichtigung psychosozialer Aspekte) sind IH-IVDs ein zentraler Baustein im Gesundheitswesen. Sie werden dort eingesetzt, wo Standardtests und kommerzielle Lösungen unzureichend sind. Sie schließen diagnostische Lücken, ermöglichen den Nachweis seltener Erkrankungen und neuer Erreger, unterstützen die Präzisionsmedizin, sind in Pandemien unverzichtbar und erlauben die Anpassung bestehender Testmethoden (2). Beispiele zeigen den teilweise hohen Durchdringungsgrad von IH-IVDs in der Praxis (3, 4). Diese Ergebnisse verdeutlichen die unverzichtbare Rolle von IH-IVDs für die Patientenversorgung.

Für den eigenen Gebrauch. In-House-IVDs sind medizinische Laboruntersuchungen, die von einer Gesundheitseinrichtung selbst entwickelt und ausschließlich innerhalb der eigenen Einrichtung verwendet werden.
In der Praxis zeigt sich, dass es verschiedene Auslöser geben kann, die einen Test zu einem IH-IVD machen. Diese Szenarien führen auch zu unterschiedlich hohen Anforderungen und werden im Folgenden näher betrachtet.
Szenario 1 – Verwendung von CE-IVDs gemäß Herstellerangaben: Wird ein CE-IVD durch eine Gesundheitseinrichtung ausschließlich gemäß den Herstellerangaben eingesetzt (z. B. eine PCR-Methode, welche ein CE-IVD PCR Kit, ein CE-IVD Reagenz für die Qualitätskontrolle sowie einen CE-IVD PCR Thermocycler kombiniert), liegt kein IH-IVD vor. Damit greifen keine Anforderungen nach Art. 5(5) der IVDR, jedoch bestehen weiterhin Anforderungen gemäß dem eigenen Qualitätsmanagementsystem, bzw. Herstellervorgaben (z.B. Verifizierung).
Szenario 2 – Abweichung von Herstellerangaben bei CE-IVDs: Ein CE-IVD wird abweichend von den Herstellerangaben genutzt (5), zum Beispiel in Bezug auf die verwendete Matrix, Volumen, Zweckbestimmung oder Ablaufdatum (4). Schon kleine Abweichungen von der Herstelleranweisung (z. B. andere Verdünnung, Verwendung einer nicht vorgesehenen Matrix, Nutzung abgelaufener Reagenzien) erzeugen rechtlich ein IH-IVD. Gleiches gilt für Anwendungen außerhalb der Zweckbestimmung, z. B. bei adaptierten Probentypen, alternativen Patientenpopulationen oder erweiterten Indikationen. Es erfolgt zwar keine physische Veränderung der Ursprungsprodukte, jedoch eine Änderung im Zweck oder der Anwendung, die in jedem Fall zu validieren ist. Die produktimmanenten technischen Eigenschaften bleiben in der Regel unverändert, sodass die meisten grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen (GSLA) weiterhin erfüllt sind, was jedoch zu prüfen und dokumentieren ist. Die Risikoanalyse muss kontinuierlich potenzielle Risiken bezüglich der diagnostischen Ergebnisse im Hinblick auf die Handhabung des IH-IVD ermitteln und ggf. mindern. Die Anwendung bzw. Änderung als IH-IVD muss begründet und dokumentiert werden.
Szenario 3 – Nutzung von RUO-Produkten in der Diagnostik: Die Gesundheitseinrichtung verwendet Produkte ohne CE-Kennzeichnung, wie beispielsweise Research-Use-Only-Produkte (RUO) (5). Damit ein Produkt die Bezeichnung RUO enthält, darf es keinerlei medizinische Zweckbestimmung oder Zielsetzung aufweisen (6). Wird ein RUO-Produkt trotzdem in der Diagnostik eingesetzt, ändert die Gesundheitseinrichtung – vergleichbar zu Szenario 2 – formell die Zweckbestimmung dieses Produkts und dieses gilt damit dementsprechend als IH-IVD. Zu beachten ist, dass im Schadensfall die Gesundheitseinrichtung haftet, während der RUO-Hersteller keine Marktüberwachungspflichten trägt und die Nutzung als IH-IVD nicht verhindern muss (7). RUO-Produkte (z. B. RUO-Sequenzierpanels oder RUO-Reagenzien für spezielle Färbungen) sind ursprünglich nicht für In-Vitro-Diagnostik entwickelt und erfüllen daher nicht die GSLA gemäß IVDR Anhang I. Gesundheitseinrichtungen müssen daher umfassend validieren und bei Bedarf zusätzliche Nachweise, z. B. zu elektrischer, biologischer oder chemischer Sicherheit, erbringen.
Szenario 4 – Kombination von Produkten zu einem neuen System: Die Gesundheitseinrichtung kombiniert Produkte, die gemäß den Angaben des Herstellers nicht ursprünglich für solch eine Kombination vorgesehen sind. Somit entsteht ein neues System für In-vitro-diagnostische Zwecke, also ein IH-IVD (5). Ein Beispiel wäre die Kombination eines CE-IVD Libary Preparation Kit mit einem CE-IVD Sequencer sowie einer Open-Source-Analysesoftware, deren Kombination von den jeweiligen Herstellern ursprünglich nicht definiert ist. Die Gesundheitseinrichtung muss nach IVDR Art. 5(5) das Gesamtsystem validieren (inklusive Schnittstellen und Integrationen) und die Kompatibilität der einzelnen Produkte, um den definierten Zweck zu erfüllen. Die Sicherheit der Anwendung muss gewährleistet werden; eine Risikoanalyse umfasst insbesondere auch die für die Systemerstellung spezifischen Risiken.
Szenario 5 – „Echte“ Eigenentwicklung von IH-IVDs: Die Gesundheitseinrichtung stellt basierend auf Rohmaterialien, aus Komponenten oder Teilen eines Produktes oder auf Basis eines bereits bestehenden Produkts ein von Grund auf neues IH-IVD her (5), beispielsweise die Programmierung einer eigenen bioinformatischen Software-Pipeline für somatische Krebsuntersuchungen oder den Aufbau eines eigenen ELISA auf Basis von Rohmaterialien. Auch das Erstellen von Excel-Formeln für diagnostische Zwecke kann als IH-IVD gelten, wodurch die Gesundheitseinrichtung die Herstellerrolle übernimmt und Art. 5(5) vollständig greift. Die Entwicklung von IH-IVDs muss dem Stand der Technik entsprechen, Normen wie ISO 15189, ISO 14971, IEC 62304 und ISO 13485 werden herangezogen. Umfangreiche Dokumentation, Leistungsbewertungen, Risikodokumentation und die Einführung von Prozessen für Entwicklung und Fertigung bringen das Labor nahezu auf Hersteller-Niveau mit allen regulatorischen Pflichten.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass, sobald Szenario 2-5 auftritt, ein IH-IVD vorliegt. Somit greift Art. 5(5) der IVDR und die Gesundheitseinrichtung muss alle relevanten Anforderungen erfüllen: die GSLA gemäß Anhang I, die Leistungsbewertung, ein Risikomanagementsystem sowie die Integration aller Prozesse in ein geeignetes Qualitätsmanagementsystem nach ISO 15189 (1). Für Labore ergibt sich daraus eine klare Handlungsempfehlung: Das Produkt definieren, anhand der Szenarien einordnen, die erforderlichen Aktivitäten und Normen ableiten, die Anforderungen gemäß Art. 5(5) IVDR umsetzen und eine kontinuierliche Nachverfolgung gewährleisten.

Autorin:
Dipl.-Ing.in Valerie Wohlgenannt
Regulatory Affairs Manager
bei Platomics GmbH
An den Kohlenrutschen 10/3/7
A-1020 Wien
Quellen und Links:
1) Regulation (EU) 2017/746 of the European Parliament and of the Council of 5 April 2017 on in vitro diagnostic medical devices and repealing Directive 98/79/EC and Commission Decision 2010/227/EU (Text with EEA relevance) [Internet]. Jan 10, 2025. Available from: data.europa.eu/eli/reg/2017/746/2025-01-10/eng
2) Cobbaert C, Schweiger C, Buchta C, Streichert T, Vanstapel F, Mullier F, et al. Urgent call to the European Commission to simplify and contextualize IVDR Article 5.5 for tailored and precision diagnostics. Clinical Chemistry and Laboratory Medicine (CCLM) [Internet]. 2025 Aug 20 [cited 2025 Sep 2]; Available from: www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/cclm-2025-1033/html
3) Vermeersch P, Van Aelst T, Dequeker EMC. The new IVD Regulation 2017/746: a case study at a large university hospital laboratory in Belgium demonstrates the need for clarification on the degrees of freedom laboratories have to use lab-developed tests to improve patient care. Clin Chem Lab Med. 2020 Jul 21;59(1):101–6.
4) Spitzenberger F, Patel J, Gebuhr I, Kruttwig K, Safi A, Meisel C. Laboratory-Developed Tests: Design of a Regulatory Strategy in Compliance with the International State-of-the-Art and the Regulation (EU) 2017/746 (EU IVDR [In Vitro Diagnostic Medical Device Regulation]). pr. 2022 Jan;56(1):47–64.
5) Medical Device Coordination Group (MDCG). Guidance on the health institution exemption under Article 5(5) of Regulation (EU) 2017/745 and Regulation (EU) 2017/746 [Internet]. 2023 [cited 2023 Jun 30]. Available from: health.ec.europa.eu/system/files/2023-01/mdcg_2023-1_en.pdf
6) European Commission. IVD GUIDANCE : Research Use Only products A GUIDE FOR MANUFACTURERS AND NOTIFIED BODIES [Internet]. 2004. Available from: ec.europa.eu/docsroom/documents/10292/attachments/1/translations/en/renditions/native
7) Staber G, Plugov L. Der Einsatz von Research-Use-Only Produkten im Rahmen von In-House IVD: Rechtliche Anforderungen und Haftungsfragen. jmg. 2024;9(3):248–52.
Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag erscheint in Kooperation mit PLATOMICS. (Entgeltliche Einschaltung)
