Transformation

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Simone Sandkühler, Thomas Wunderer

In diesem Fachbeitrag aus dem ÖGWK-Begleitbuch „Von Einsichten und Aussichten im Gesundheitswesen“ werden zwei wichtige Themengebiete erörtert: die steigenden Gesundheitsausgaben und das Digitalisierungspotenzial im Gesundheitswesen.

Zeit für Veränderung

In Österreich muss eine langfristige Strategie entwickelt werden, um die öffentliche Gesundheitsversorgung nachhaltig und unter Nutzung von Kostenpotenzialen sicherzustellen, denn die Gesundheitsausgaben pro Kopf steigen in Europa und weltweit an. Österreich liegt mit EUR 4.095 pro Kopf im Jahr 2020 um mehr als 25 Prozent über dem EU-Durchschnitt (EUR 3.159). Und die Kosten steigen kontinuierlich – von 2013 bis 2019 jährlich um inflationsbereinigte 1,1 Prozent und von 2019 bis 2020 sogar um 1,7 Prozent. (1) Für das Jahr 2021 wurden laufende Gesundheitsausgaben (exkl. Investitionen) in Höhe von rund EUR 49 Mrd. angegeben (2) was 12,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Den größten Anteil mit 78,3 Prozent verbuchen Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungsträger. Durch Digitalisierung hätten im Jahr 2019 Kosten in Höhe von EUR 4,7 Mrd. eingespart werden können. (3) Drei Trends werden den digitalen Gesundheitsmarkt in den kommenden Jahren beherrschen: Interoperabilität und Vernetzung, datenbasierte Entscheidungen und Patient:innenzentrierung.

Interoperabilität & Vernetzung

Durch die wachsenden Möglichkeiten zum Datenaustausch, sowohl innerhalb einer Organisation als auch nach außen, können die Prozesse bzw. die Versorgungspfade für die Patient:innen in Summe effizienter gestaltet werden. Insbesondere in Hinblick auf die derzeitige Lage ist in gewissen medizinischen Teilbereichen (z. B. Radiologie) eine Diagnosestellung – unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Vorgaben – bereits aus dem Homeoffice möglich.
Durch die Verwendung internationaler Standards (speziell IHE und HL7) lässt sich der Datenaustausch zwischen den Systemen standardisieren. Die Harmonisierung medizinischer Kernsysteme (z.B. Krankenhausinformationssysteme KIS, Laborinformationssysteme LIS) ist ein wesentlicher Faktor, um die Interoperabilität zwischen unterschiedlichen leistungserbringenden Stellen zu vereinfachen. Ebenfalls relevant in diesem Kontext ist die Vernetzung des intramuralen mit dem extramuralen Bereich.

Datenbasierte Entscheidungen

Im öffentlichen Gesundheitswesen werden immer mehr Daten erhoben und genutzt. Diese sollen in Zukunft computerunterstützt von Leistungserbringer:innen übergreifend und im Austausch mit Patient:innen genutzt werden. Das große Ziel dabei: datengestützt präventiv die Gesundheit zu erhalten, Versorgungspfade zu optimieren, datenbasiert und weitgehend automatisiert die richtigen Leistungen zur Verfügung zu stellen und die klinische Medizin zu verbessern. Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz können Muster in Daten erkannt und mithilfe von Warnsignalen klinisches Personal unmittelbar auf Auffälligkeiten hingewiesen werden. Repetitive regelbasierte Aufgaben können dabei automatisiert werden, womit wiederum mehr Zeit für die Versorgung von Patient:innen einhergeht. Die zentrale Herausforderung: Daten im Rahmen (datenschutz)rechtlicher Möglichkeiten und im Sinne der Kund:innen technologisch nutzbar zu machen.

Ergebniszentrierung Patient:innen

In der Vergangenheit stand der/die Patient:in oftmals als dritte:r Akteur:in zwischen der leistungserbringenden Organisation (klinisches Personal) und dem Kostenträger (Krankenkasse). Durch den technischen Fortschritt ist es den Patient:innen zunehmend möglich, aktiv in den Prozess der Leistungserbringung eingebunden zu werden (Patient Empowerment). Patient Empowerment ist eines der Schlüsselelemente der patient:innenzentrierten Gesundheitsversorgung. Sie kann sowohl als Voraussetzung für, als auch als Ergebnis der patient:innenzentrierten Gesundheitsversorgung angesehen werden – als Ziel und als Prozess.

Ein Beispiel zur besseren Einbindung der Patient:innen aus Deutschland sind sogenannte digitale Gesundheitsanwendungen, die als Ergänzung zur medizinischen und präventiven Versorgung zur Anwendung kommen. Diese können seit dem Inkrafttreten des Digitale-Versorgung-Gesetzes durch Ärzt:innen verordnet werden, die Kosten übernehmen die Krankenkassen. Hierbei ist der Begriff „Digitale Gesundheitskompetenz“ relevant. Darunter werden die Fähigkeiten beschrieben, welche Individuen für einen informierten Umgang mit digitalen Gesundheitsanwendungen gebraucht werden.

Neben individuellen Fähigkeiten sind auch Eigenschaften und Gestaltung der entsprechenden Anwendungen wichtig und müssen beachtet werden.

Zahlreiche Akteure im Gesundheitswesen bieten bereits entsprechende Apps an und schätzen das Thema für die eigene Organisation künftig als wichtig ein. Unter Gesundheits-Apps können Apps zur Stärkung der Gesundheit, zur Vermeidung von Krankheiten und deren Folgen sowie Apps, die im Kontext der medizinischen Diagnostik oder Therapie eingesetzt werden, verstanden werden. Gesundheits-Apps wird das Potenzial zugesprochen, zu einer stärker an den Bürger:innen ausgerichteten Gesundheitsversorgung beizutragen und zu einem aktiveren und selbstbestimmteren Umgang mit der eigenen Gesundheit zu befähigen. Ausreichende Evidenz zum gesundheitlichen Nutzen des Einsatzes von Gesundheits-Apps ist künftig noch zu schaffen. Die hierbei aufkommenden Herausforderungen sowie Ziele sind unter anderem die Sensibilisierung von Nutzer:innen für den kritischen Umgang mit Gesundheits-Apps, Schaffung von Transparenz zu qualitätsvollen Gesundheits-Apps für Nutzer:innen sowie Zentralisierung und Patient:innenorientierung. Spezielle Apps ermöglichen Patient:innen mit chronischen Erkrankungen wie z.B. Diabetes, die erhobenen Daten an ihre behandelnden Ärzt:innen zu übermitteln. Dadurch wird die Kontrolle klinischer Parameter (z.B. Blutzuckerwerte) erleichtert, die Therapie kann individuell an die Bedürfnisse angepasst werden und der:die Patient:in wird mit einer persönlichen „Digitalen Assistenz“ in einer selbstbestimmten und gesundheitsförderlichen Lebensführung begleitet. Die Verwendung von digitalen Assistenzsystemen kann mit verringerten Kontrollterminen einhergehen, womit eine hochqualitative medizinische Versorgung auch in Gebieten mit geringer Dichte an Ärzt:innen gewährleistet werden kann. Zudem kann durch den Einsatz digitaler Anwendungen der Aufwand aufseiten des klinischen Personals reduziert werden, da administrative Aufgaben durch die Patient:innen selbst erledigt werden (Patient Engagement). Das Engagement der Patient:innen beruht darauf, dass Leistungserbringer und Patient:innen gemeinsam an der Verbesserung der Gesundheit arbeiten. Ein stärkeres Engagement der Patient:innen in der Gesundheitsversorgung trägt zu besseren Gesundheitsergebnissen bei.

Patient:innen wollen in den Entscheidungsfindungsprozess ihrer Gesundheitsversorgung einbezogen werden, und diejenigen, die als Entscheidungsträger:in in ihre Versorgung eingebunden sind, sind in der Regel gesünder und erzielen bessere Ergebnisse. Bei engagierten Patient:innen ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihre medizinischen Bedürfnisse nicht erfüllt werden, dreimal geringer und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich rechtzeitig behandeln lassen, doppelt so hoch wie bei nicht engagierten Patient:innen.

Der:die Patient:in als aktive:r Partner:in in seiner:ihrer persönlichen Gesundheitsfürsorge ist der Schlüssel zur Kostensenkung, Sicherstellung einer effektiven Ressourcennutzung sowie Gewährleistung der Zufriedenheit von Patient:innen und Leistungserbringer:innen. Unterstützt werden Patient:innen dabei unter anderem durch Onlineportale bzw. -plattformen. Diese ermöglichen Patient:innen, Termine für Untersuchungen zu reservieren oder selbstständig persönliche Daten und Informationen vor einer anstehenden Untersuchung auszufüllen und mit den Behandler:innen in Kontakt zu treten. Bestimmte Anteile der Kommunikation können unter festgelegten Rahmenbedingungen zukünftig auch über Chatbots erfolgen. Mehr Wissen und Verständnis ermutigen Patient:innen zudem, sich aktiv für ihre eigene Gesundheit, ihr Wohlbefinden und ihre Entscheidungen einzusetzen, was zu einer besseren Versorgung und weniger Notaufnahmen führt.

Durch die Zusammenarbeit und Einbindung von Patient:innen in den Entscheidungsprozess können Gesundheitsdienstleister:innen bessere Entscheidungen in Bezug auf die Gesundheit der Patient:innen treffen, was die Beziehung zwischen Patient:in und dem Arzt/der Ärztin verbessert und die Patient:innenbindung insgesamt erhöht.

Die digitale Transformation des öffentlichen Gesundheitswesens fordert Mut und Innovation. Dazu braucht es rechtliche Rahmenbedingungen und signifikante finanzielle Anreize für alle Beteiligten, um eine vernetzte und intelligente Versorgung der Patient:innen in Zukunft sicherzustellen.

Quellen:

1 OECD/European Union (2022), Health at a Glance: Europe 2022: State of Health in the EU Cycle, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/507433b0-en
2 Gesundheitsausgaben in Österreich laut System of Health Accounts (SHA) – 2021, in Mio. EUR; abrufbar unter: https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/gesundheit/gesundheitsversorgung-und-ausgaben/gesundheitsausgaben
3 McKinsey & Company (2021), Digitalisierung im Gesundheitswesen – die 4,7-Milliarden-Euro-Chance für Österreich, McKinsey Digital.

Das Vorwort der Herausgeberinnen Julia Bernhardt, Kathrin Bruckmayer und Lena Sattelberger zum Buchband „Von Einsichten und Aussichten im Gesundheitswesen“ aus der ÖGWK-Schriftenreihe

Laut sind sie, die Rufe nach nachhaltigen Lösungen. Lösungen, die meist die anderen bringen sollen. Lösungen für mehr Gesundheit, für den niederschwelligen Zugang zu Prävention und Versorgung, für ein effizientes und effektives Gesundheitswesen. Das alles in einer Zeit, in der Tempo und Druck stetig steigen, der Wohlstand sinkt und die Resilienz insbesondere in den letzten Jahren gelitten hat. Eines wird immer deutlicher: der bisherige „Fahren auf Sicht“ Ansatz kann nicht der richtige sein, wenn es um mehr gesunde Lebensjahre für uns alle geht.

„Unterwegs in ungewissen Zeiten – Klartext. Wissen. Standpunkte.“

So titelt der 13. Österreichische Gesundheitswirtschaftskongress und lädt 450 Expert:innen, Führungskräfte und Entscheidungsträger:innen aus Gesundheitseinrichtungen, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und öffentlicher Verwaltung als Teilnehmer:innen des Kongress ein, den notwendigen Veränderungen mutig zu begegnen.

Mut, den es brauchen wird, den auch wir als Begleiter:innen zahlreicher Veränderungen schon erleben durften. Veränderungen im Gesundheitswesen – disruptive wie sanfte, in einzelnen Organisationseinheiten, mehrere Gesundheitsdiensteanbieter:innen betreffend bis hin zu Sektoren übergreifenden Projekten, die an den Grundfesten unseres Gesundheitssystems rüttelten. Wir haben sie in allen Berufsgruppen und Hierarchieebenen gesehen: die Menschen mit Mut, Empathie, Durchhaltevermögen, Kompetenz und Weitblick.

Neben diesem Mut benötigt es noch etwas: die nachhaltigen Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit können nicht von Einzelnen, sondern nur gemeinsam geschaffen werden. Kollaboration, interdisziplinäre, sektoren- und hierarchieübergreifende Zusammenarbeit wird zum Schlüssel. Sie, geschätzte:r Leser:in dieser Schriftenreihe sind ein Teil dieser Menschen, die ihre Gestaltungsspielräume nutzen und unser aller Gesundheitszukunft positiv wie nachhaltig mitgestalten. Unsere Einsichten und Ausblicke sollen Sie dabei ein Stück weit unterstützen.

Infos zur ÖGWK-Buchreihe

Von Einsichten und Aussichten im Gesundheitswesen: Konzepte, Praktiken und Erfahrungen für Gesundheitsorganisationen, Schriftenreihe zum Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongress, Band 2, Springer Verlag-GmbH in Kooperation mit KPMG & SOLVE Consulting, Wien, 2023

Als Verbund rechtlich selbstständiger, nationaler Mitgliedsfirmen ist KPMG International mit rund 273.400 Mitarbeiter:innen in 143 Ländern eines der größten Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen weltweit. Die Initialen von KPMG stehen für die Gründerväter der Gesellschaft: Klynveld, Peat, Marwick und Goerdeler.
In Österreich ist KPMG eine der führenden Gruppen in diesem Geschäftsfeld und mit rund 2.000 Mitarbeiter:innen an neun Standorten aktiv. Die Leistungen sind in die Geschäftsbereiche Prüfung (Audit) und Beratung (Tax, Law und Advisory) unterteilt. Im Mittelpunkt von Audit steht die Prüfung von Jahres- und Konzernabschlüssen. Tax steht für die steuerberatende­ und Law für die rechtsberatende Tätigkeit von KPMG. Der Bereich Advisory bündelt das fachliche Know-how zu betriebswirtschaftlichen, regulatorischen und transaktionsorientierten Themen.
Mehr Infos unter: Healthcare – KPMG Austria

SOLVE Consulting ist die größte Boutiqueberatung des Landes mit 100% Fokus auf das Gesundheitswesen. Ihr hochkompetentes und äußerst erfahrenes Team begleitet Gesundheitsorganisationen aller Sektoren und bietet praxisnahe Lösungskonzepte sowie einen ganzheitlichen Beratungsansatz, der durch moderne Methoden und begleitende Organisationsentwicklung unterstützt wird. SOLVE Consulting implementiert SOLUTIONS FOR HEALTHCARE mit dem höchsten Qualitätsanspruch. Für mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Für #mehrgesundheit – auch für die nächsten Generationen.
Weitere Infos: solve.at

Die Autor:innen im Kurzporträt

DI Simone Sandkühler
Director bei KPMG Österreich

Simone Sandkühler begleitet überwiegend internationale Unternehmen im Financial-Services-Bereich und im Handel. Ihre Schwerpunkte liegen in der Entwicklung digitaler Geschäftsstrategien, in der Optimierung von Geschäfts- und Betriebsmodellen und in der Begleitung großer Transformationsprogramme.

DI Thomas Wunderer, BSc
Senior Manager bei KPMG Österreich

Thomas Wunderer verfügt über langjährige Beratungserfahrung bei der Implementierung von Softwareprojekten im Gesundheitswesen. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf Krankenhausinformationssystemen. Er unterstützt seine Kunden dabei, den Arbeitsalltag des gesamten Krankenhauspersonals durch Software sowie organisatorische Anpassungen zu erleichtern.

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