Führung als Profession: Organisationskultur

Lesedauer beträgt 3 Minuten
Autor: Heinz K. Stahl

33 exklusive Essays von Heinz K. Stahl zum Thema „Führung als Profession“: Lesen Sie hier den zweiten Essay mit Fokus auf die Organisationskultur.

Die Kultur eines sozialen Systems besteht aus den Selbstverständlichkeiten, die von der Mehrheit der Mitglieder des Systems geteilt werden. Die Grundannahmen, an denen sich die Mitglieder in ihrem Handeln orientieren, spielen hier eine wichtige Rolle. Sie sind immer präsent, haben sich bewährt und werden deshalb weitgehend akzeptiert. Mit ihrer Hilfe lernen neue Mitglieder die „richtige“ Haltung. Organisationskultur trägt auf diese Weise dazu bei, dass sich die verschiedenen „Wirklichkeiten“ im Lauf der Zeit angleichen.

Organisationskultur kann am besten über die Verhaltensmuster der Mitglieder beobachtet werden. Wie gehen die Menschen miteinander um? Wie kommt es zu Entscheidungen? Welche Rituale gibt es in der Organisation? Auch die Geschichten, die man sich erzählt, spiegeln die Kultur einer Organisation wider. Ob diese Geschichten „wahr“ sind, ist dabei unerheblich. Sie transportieren die Grundwerte (corporate values) einer Organisation. Der Gründer des Unternehmens, der angeblich noch mit dem Rucksack und auf einem klapprigen Fahrrad in die Firma fuhr, steht dann für den Wert, den Frugalität und Pioniergeist für das Unternehmen bedeuten. Bei Bosch erzählte man sich früher die Geschichte vom alten Herrn Bosch, der bei einem Werksrundgang eine Büroklammer auf dem Boden liegen sah, sie aufhob und den Mitarbeitern vor die Nase hielt. Nein, das war für Bosch keine bloße Büroklammer, es war sein Geld. „Des han i zahlt!“, machte er den Mitarbeitern unmissverständlich klar.

Führung gestaltet also die Organisationskultur entscheidend mit. Zugleich muss sich aber Führung auch an der Organisationkultur ausrichten. Kultur ist ein Phänomen höherer Ordnung, das heißt, ihr Wesen kann allein aus den Merkmalen der Menschen, die in ihr zusammenwirken, nicht erklärt werden. Eine Organisationskultur kann man daher auch nicht „messen“. Man kann sich in sie hineinversetzen, kann versuchen, sie zu deuten. Führungskräfte müssen dies tun – sei es, weil sie durch ihre Vorbildwirkung die Kultur verändern wollen (was schwierig genug ist), oder weil sie ihr Führungsinstrumentarium einer bestimmten nationalen Kultur anpassen müssen.

Für diese Aufgaben bietet sich ein Raster an, welches die verschiedenen Formen der Organisationskultur anhand zweier Gegensätze bestimmt: Eine sehr „offene“ und eine sehr „geschlossene“ Kultur. Jede Organisationskultur hat ihren Platz zwischen diesen beiden Polen eines Kontinuums. Dabei gibt es keine „gute“ oder „schlechte“ Kultur. Es gilt vielmehr auszutarieren, inwiefern die wahrgenommene Kultur mit dem Zweck, dem Auftrag oder der Strategie der Organisation harmoniert oder welche Anpassungen sinnvoll sind. Dabei sollte man mit dem Begriff „Kulturwandel“ vorsichtig umgehen. Die Selbstverständlichkeiten einer Organisationskultur sind zählebig. Neue Leitbilder und Grundsätze bleiben deshalb oft wirkungslos. Ein Wandel ist möglich, allerdings nur wenn Führungskräfte die neuen Selbstverständlichkeiten glaubwürdig und unermüdlich vorleben.

In einer besonders offenen Organisationskultur wird Vielfalt als Chance gesehen, weshalb dem Individuum ein höherer Stellenwert zukommt als dem Kollektiv. Gehandelt wird oft ad hoc und die Menschen haben gelernt, mit hoher Komplexität umzugehen. Die Türen zum Umfeld stehen weit offen und Entscheidungen werden im Konsens getroffen, wenn also niemand einen schwerwiegenden Einwand vorzubringen vermag.

In einer sehr geschlossenen Organisationskultur wird gleichgeschaltet, z.B. durch Regelwerke und unverrückbare Rituale bis hin zur Firmenuniform. Tradition ist wichtig, um Homogenität sicherzustellen. Über- und Unterordnung, genau definierte Rollen, ein sakrosanktes Organigramm und der Stellenplan sind wichtige Mittel, um Geschlossenheit zu bewahren. Entscheidungen werden „oben“ getroffen und nach „unten“ durchgereicht.

Jede Organisationskultur hat ihre Vorzüge, für die jedoch immer „Preise“ zu entrichten sind. Eine offene Kultur ist innovativ, jedoch unruhig. Sie toleriert Irrtümer, dafür müssen die Führungskräfte einen Autoritätsverlust hinnehmen. Offenheit bedeutet Meinungsvielfalt, gegen die ein hoher Koordinations- und Kommunikationsaufwand zu buchen ist. Eine geschlossene Organisationskultur bietet Orientierung und Sicherheit, dafür ist sie arm an Ideen. Sie ist vertikal ausgerichtet, wodurch horizontale Zusammenarbeit behindert wird. Der Vorteil rascher Entscheidungen muss mit dem Risiko der Realitätsferne erkauft werden.

Prolog zum Thema „Führung als Profession“ von Heinz K. Stahl

„Wer führen will, muss in erster Linie fachlich kompetent sein.“ Dieses Credo unseres Kulturkreises hat seinen Ursprung in den Handwerkszünften des Mittelalters. Wer es vom Lehrling über den Gesellen zum Meister gebracht hatte, genoss gesellschaftliches Ansehen. Hohes fachliches Können war eine wichtige Voraussetzung, um in den späteren Manufakturen die Führung im Sinne des „Vorangehens“ und „Bestimmens“ zu übernehmen. Diesem Vorrang konnte auch die Erfindung der Bürokratie und des Managements zu Beginn des 20. Jahrhunderts wenig anhaben.

Heute stehen wir vor der Situation, dass „Führung“ immer noch ein eine Art Nachgedanke ist. Der beste Verkäufer wird Verkaufsleiter, der geübteste Techniker Betriebsleiter, der kenntnisreichste Zahlenjongleur Leiter des Controllings. Parallelen im Gesundheitswesen müssen nicht eigens erwähnt werden. Was sie für Führung brauchen, werden sich die Auserwählten schon irgendwie zulegen. Konfrontiert mit den Umbrüchen in der heutigen Arbeitswelt, etwa die ungebremste Pluralisierung der Wertvorstellungen und Motive, sollen sich Führungskräfte plötzlich mit dem Menschen als Subjekt und nicht als Objekt auseinandersetzen. Psychologie, Soziologie und Philosophie drängen sich auf. Überforderung macht sich breit.

Gibt es eine Leitidee, um Führung unter diesen Umständen eine Kontur zu verleihen? Ja, sie lautet „Führung als Profession“. Profession ist der Gegenpol zum Nebenbei, ist mehr als der „Job“, ist ein Bekenntnis zu Könnerschaft und Verantwortung. Dieses Buches möchte die geschätzte Leserschaft dazu anregen, diese Idee in ihrem eigenen beruflichen Kontext zu unterstützen.

Führung als Profession von H.K. Stahl, Schriftenreihe zum Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongress, Band 1, Springer Verlag-GmbH, Wien, 2022

Der Essay zum Thema Organisationskultur erschien in Kapitel 1 „Grundlegendes“.

Heinz K. Stahl, ao. Univ.-Prof., Dr. rer. soc. oec.,
Chemieingenieur; 24 Jahre Managementpositionen im Unilever-Konzern in Österreich, Großbritannien, Australien, den Niederlanden und Deutschland. 26 Jahre als Verhaltenswissenschaftler in Lehre und Forschung; Research Associate, Interdisziplinäres Institut für Verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management, Wirtschaftsuniversität Wien; Wissenschaftlicher Leiter Executive-Education-Programme, Management Center Innsbruck; Wissenschaftlicher Partner, Lehrstuhl Wirtschafts- und Betriebswissenschaften, Montanuniversität Leoben; Forschungspartner Department Gesundheit, Fachhochschule Burgenland; zahlreiche Publikationen, Autor und Herausgeber, u. a. der Reihe „Fokus Management und Führung“, ESV Verlag Berlin. Forschungspartner des Zentrums für systemische Forschung und Beratung, Heidelberg.
info@hks-research.at
www.hks-research.at

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