Exoskelette: Auf Augenhöhe

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Autor: Michael Krassnitzer und Josef Ruhaltinger

Exoskelette werden mit Erfolg in der Therapie und der Rehabilitation von Patienten mit neurologischen Erkrankungen eingesetzt. Ein Wiener Start-up bietet bionische Therapien, wenn die konventionelle Rehabilitation ausgeschöpft wurde.

In bestimmten Situationen des Lebens kann man sich nur mehr selber helfen. Das Wiener Unternehmen tech2people des Gründers Gregor Demblin betreibt ein eigenes ambulantes Therapiezentrum in Wien und arbeitet dort mit robotisch-bionischen Exoskeletten, die für den Einsatz in Rehabilitationseinrichtungen entwickelt wurden. Seit seinem Unfall vor 28 Jahren war es ihm nicht mehr möglich, gehen oder stehen zu können. „Den Traum konnte ich mir 2017 erstmals wieder erfüllen“, erinnert sich Demblin auf seiner Website.

Dennis Veit, heute leitender Physiotherapeut von tech2people, kam damals alle 14 Tage mit seinem privaten Exoskelett nach Wien, um mit ihm ein Programm zur regelmäßigen Gangtherapie zu starten. Seither begegnet Demblin dem Leben wieder regelmäßig in stehender Position. Dazu kommen viele positive gesundheitliche Auswirkungen auf Kreislauf, Atmung, Verdauung und Blasenfunktion. Auch die Abnahme der Knochendichte konnte gestoppt werden. „Bereits während meines ersten Gangtrainings mit dem Exoskelett wusste ich, dass ich die Therapie auch anderen Menschen ermöglichen muss“, versichert der Gründer. Heute leitet er eines der modernsten und größten ambulanten robotischen Neuro-Rehabilitationszentren mit mittlerweile sechs Physiotherapeuten, zwei Ergotherapeuten und einem Neurologen. „Wir haben in Österreich eine gute stationäre Versorgung mit robotischen Therapiegeräten, dennoch sind viele Patienten mit dauerhaften Einschränkungen auf eine längerfristige Therapie angewiesen“, erklärt Demblin.

Ein typischer Schlaganfallpatient verbringt etwa zwei Monate in einer stationären Rehabilitationseinrichtung. Das Gehirn kann aber noch viel länger Funktionen neu erlernen und übernehmen. Gleiches gilt für Querschnittlähmungen. „Hier kommen wir ins Spiel“, so Demblin.

Wenn der aufrechte Gang zum Wunder wird. Gregor Demblin ist sein erster eigener Patient. Ein Unfall vor mehr als zwei Jahrzehnten zwang ihn in den Rollstuhl. Regelmäßige Therapien mit dem EksonNR erlauben Perspektiven aus früheren Zeiten.

Aktiv und passiv

Aktive Exoskelette beinhalten Motoren, die dem Träger zusätzliche Kraft für seine Bewegungen verleihen oder ihm Bewegungen erst ermöglichen. Passive Exoskelette hingegen sind mechanische Strukturen, die den Körper bzw. einzelne Körperteile stützen oder Belastungen eines bestimmten Körperteils auf andere Körperregionen umleiten. Wenn man den Begriff etwas weiter fasst, werden passive Exoskelette in der Medizin schon seit Langem eingesetzt. Im Grunde ist der gute alte Gipsverband nach einem Bein- oder Armbruch nichts anderes als ein Exoskelett.

In der Medizin kommen aktive Exoskelette vielfach zum Einsatz. Vor allem in der Therapie und Rehabilitation von Patienten mit neurologischen Erkrankungen, allen voran Schlaganfall­patienten, finden sich bereits zahlreiche Anwendungsgebiete. Ursprünglich wurden solche aktiven Exoskelette für Patienten mit Rückenmarksverletzungen entwickelt, um Querschnittgelähmten wieder das Gehen zu ermöglichen. Mittlerweile werden diese Exoskelette – von den Anbietern auch gerne als „bionische Anzüge“ bezeichnet – zur Behandlung von Patienten mit Parese oder Plegie der unteren Extremitäten aufgrund von Schlaganfällen, Querschnittlähmung, einer erworbener Hirnverletzung, Multipler Sklerose oder eines Schädel-Hirn-Traumas eingesetzt.

Weltmarktführer in der Exoskelett-Technologie ist die Firma Ekso Bionics. Eines der jüngsten Projekte des kalifornischen Unternehmens (mit Europasitz Hamburg) ist ein individuell an den Körper anpassbares Exoskelett, das für Schlaganfallpatienten und Patienten mit erworbenen Hirnverletzungen sowohl in der frühen, stationären wie auch in der späteren Phase der Rehabilitation konzipiert ist. Beim EksonNR – er ist auch bei Demblin in Gebrauch – handelt sich um ein über der Kleidung tragbares, batteriebetriebenes, robotisches Exoskelett, das es Patienten mit Schwächungen oder Lähmungen der unteren Extremitäten ermöglicht, aufzustehen und zu gehen. Das Exoskelett erlaubt – für viele Patienten erstmals nach langer Unterbrechung – sicheres Stehen und Gehen mittels elektrischer Motoren, die die Beine des Nutzers bewegen und so die defizitäre neuromuskuläre Funktion ergänzen oder ganz ersetzen.

In der klinischen Therapie wird die US-Entwicklung dazu eingesetzt, Wirbelsäule, Rumpf und Beine – einschließlich der Hüft-, Knie- und Knöchelgelenke – zu stützen, um korrekte Bewegungsabläufe in allen Phasen der physischen Rehabilitation zu fördern. Die robotergestützte Bewegung kann Patienten mit Lähmungen der unteren Extremitäten je nach ihren Bedürfnissen eine vollständige Unterstützung oder Hilfestellung beim Gehen bieten. Alternativ können patienteninitiierte Bewegungen durchgeführt werden, um die Muskelaktivität des Unterkörpers zu fördern. Im Rahmen des adaptiven Gangtrainings werden Beingelenke und -bewegungen kontrolliert, um zu verhindern, dass der Patient eine Schonhaltung einnimmt, sodass er wieder zu einem natürlicheren Gangbild gelangt.

Intensiveres Training

Mithilfe von Exoskeletten bzw. bionischen Anzügen lässt sich beim Gehtraining eine deutlich höhere Wiederholungszahl erreichen. Während ein Patient beim herkömmlichen Gehtraining in einer Übungseinheit vielleicht 40 oder 50 Schritte zurücklegt, schafft er bei der exoskelettalen Therapie bis zu 2000 Schritte im selben Zeitraum – wobei es sich bei dem erlernten Gangmuster von Anfang der Therapie an um ein natürliches handelt. Der Patient ist dabei gut gegen Stürze abgesichert. Auch kann das Gehtraining mit Funktioneller Elektrostimulation (FES) kombiniert werden. Zu guter Letzt braucht man für eine exoskelettale Neurotherapie nicht mehrere, sondern nur einen einzigen Therapeuten. Der dafür sehr gut ausgebildet sein muss.  

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