Das Austrian Digital Heart Program entwickelt ein landesweites Programm für Screening und digitales Behandlungsmanagement bei Vorhofflimmern. Das Programm soll Bestandteil des heimischen eHealth-Systems werden.
Etwa jeder dritte Schlaganfall ist durch Vorhofflimmern bedingt. Zugleich haben 20 bis 30 Prozent der Betroffenen keine Ahnung, dass sie an dieser Erkrankung leiden. Denn Vorhofflimmern kann oft asymptomatisch auftreten. Auch können sich die Symptome mitunter nur sporadisch zeigen. All das trägt dazu bei, dass Vorhofflimmern bei so vielen Menschen nicht rechtzeitig entdeckt wird. Eine frühzeitige Diagnose allerdings, verbunden mit den vorhandenen prophylaktischen Therapien wie etwa Blutverdünnung, könnte das Schlaganfallrisiko und die damit einhergehende Sterblichkeitsrate drastisch senken.
Österreichische Forscher möchten nun Abhilfe schaffen und haben das Austrian Digital Heart Program ins Leben gerufen. „Unsere Vision ist es, die Früherkennung und das Management von Vorhofflimmern zu revolutionieren“, bekräftigt Projektleiter Sebastian Reinstadler von der Abteilung für Kardiologie und Angiologie der Universitätsklinik für Innere Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck. Ziel des klinischen Forschungsprojekts ist die Entwicklung, Implementierung und Validierung einer auf digitalen Technologien basierenden Strategie für das Screening und die Behandlung von Vorhofflimmern.
Gegen Verstopfung. Der Gerinnungshemmer Warfarin spielt eine wichtige Rolle in der Prävention von Schlaganfällen bei Patienten mit Vorhofflimmern. Das Digital Heart Program untersucht, ob Früherkennung und Prävention jene Erfolge zeitigen, die man sich verspricht.
Screening mit dem Handy
Der Clou dabei: Die Teilnehmer am Screening müssen nicht eigens in Krankenhaus und sich dort einer Untersuchung unterziehen, sondern können sich bequem zu Hause screenen. Die für das Screening eingesetzte photoplethysmographische Messung (PPG) kann mit einem gewöhnlichen Smartphone durchgeführt werden. Dazu muss nur eine entsprechende App installiert werden und der Zeigefinger 30 Sekunden lang vor die Kameralinse gehalten werden. Aufgrund kleinster Veränderungen des Volumens der Blutgefäße können auf diese Weise Herzarrythmien entdeckt werden.
Diese Technologien existieren bereits und sind erprobt. Die in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ veröffentlichte eBRAVE-AF-Studie (eHealth-based Bavarian Alternative. Detection of Atrial Fibrillation) konnte zeigen, dass eine digitale Screeningstrategie mit Smartphones die Detektionsrate von behandlungsbedürftigem Vorhofflimmern mehr als verdoppeln kann. Geleitet wurde diese Studie übrigens von Axel Bauer, dem heutigen Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie. Es ist also kein Zufall, dass das Austrian Digital Heart Program an dieser Klinik angesiedelt ist. Bauer ist auch der Mentor des Projektes.
Eine zentrale Frage wurde in den bisherigen Studien allerdings nicht beantwortet: Verbessert die Früherkennung von Vorhofflimmern den klinischen Outcome? Die Kernfrage bei jedem Screening-Ansatz lautet: „Ist das, was man findet, auch behandlungsrelevant?“, bringt es Reinstadler auf den Punkt. Daher soll im Zuge einer großen digitalen Studie geklärt werden, ob sich durch die Früherkennung von Vorhofflimmern schwere Folgeerkrankungen wie Schlaganfall tatsächlich verhindern lassen.
Mann für’s Herz. Kardiologe und Projektleiter Sebastian Reinstadler von der Med-Uni Innsbruck bereitet eine der größten Screening-Studien mit mehr als 40.000 Probanden vor. Läuft alles gut, soll das Austrian Digital Heart Program in ELGA integriert werden.
In ELGA integrierbar
Die Studie beschränkt sich freilich nicht nur auf die Früherkennung. Es geht ebenfalls darum herauszufinden, ob sich die eingesetzten digitalen Technologien auch bei der Behandlung von Vorhofflimmern nutzen lassen. Wird bei einem Studienteilnehmer letztlich Vorhofflimmern diagnostiziert, dann soll er sich über die App spezifische Informationen über seine Erkrankung verschaffen können. Geplant ist auch, dass über die App Online-Visiten gebucht werden können. Auch verschiedene Möglichkeiten von Telemonitoring sollen ausprobiert werden.
„Ganz wichtig ist uns, dass das von uns entwickelte Programm in das öffentliche Gesundheitssystem integriert werden kann“, betont Reinstadler. Die Telemonitoring-Episodenberichte etwa sollen so verfasst sein, dass sie in die Elektronische Gesundheitsakte ELGA eingespeist werden können und somit den behandelnden Ärzten vor Ort bzw. in den Krankenhäusern zugänglich sein sollen.
Das Austrian Digital Heart Program ist in vier Arbeitspakete gegliedert. Im ersten Work Package geht es um die technologischen Grundlagen. In Kooperation mit dem Austrian Institute of Technology (AIT) soll etwa eine speziell auf Österreich zugeschnittene App entwickelt werden, die leicht und intuitiv bedienbar ist. Zu diesem Zweck sollen zum Beispiel auch Elemente, wie man sie aus Computerspielen kennt, zum Einsatz kommen: Kleine Graphiken, an denen man seinen Status auf einen Blick erfassen kann, oder Scores, die es zu erreichen gilt. „Gamification“ wird dieser Ansatz genannt. Auch die Kompatibilität mit ELGA ist Teil dieses Arbeitsschrittes.
Das zweite Arbeitspaket besteht aus einigen kleineren Pilotstudien in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Graz, bei denen die zuvor entwickelten digitalen Tools validiert werden.
Welche Bevölkerungsgruppen sinnvollerweise für ein Screening in Frage kommen, ist Thema des dritten Arbeitspaketes. In Kooperation mit der Tiroler Privatuniversität UMIT TIROL soll zum Beispiel eruiert werden, ab welcher Altersgrenze die Früherkennung von Vorhofflimmern überhaupt Sinn ergibt. Dazu werden große Datenbanken wie etwa die UK Biobank nach epidemiologischen Gesichtspunkten durchforstet. Weitere Fragen sind: Welche sind die Begleiterkrankungen, die das Risiko für Vorhofflimmern besonders hoch machen und auf die man daher im Vorfeld des Screenings besonders achten sollte? Wie intensiv ausgeprägt muss Vorhofflimmern sein, damit eine Behandlung Sinn ergibt? Die ersten drei Teile des Projektes sind bereits voll im Laufen. Das Gesamtprojekt wurde im Oktober des Vorjahres gestartet.
Das vierte Arbeitspaket ist die bereits genannte große digitale randomisiert kontrollierte Studie, in der die Früherkennung und der Beitrag zum Behandlungsmanagement mittels Smartphone und App untersucht werden. „Dass die Menschen nicht im Krankenhaus in eine Studie eingeschlossen werden, sondern über das Smartphone zu Hause abgeholt werden, ist ein ganz wesentlicher Unterschied zu allen bisherigen Studien“, unterstreicht der Projektleiter. In der Antragsphase war die Rede von rund 40.000 Teilnehmern; Reinstadler glaubt, dass diese Zahl auch deutlich höher ausfallen könnte. Setzt man die Altersgrenze bei 65 Jahren an, so kommen insgesamt 1,2 Millionen Österreicher als Studienteilnehmer infrage. Wenn alles gut geht, soll die Studie in spätestens zwei Jahren starten.
Junge klinische Forschung
Die Laufzeit des Gesamtprojektes beträgt acht Jahre. Gefördert wird es im Rahmen des Förderprogramms Klinische Forschungsgruppen (KFG) von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG). Die Höhe der Förderung beträgt rund acht Millionen Euro. Dieses Förderungsprogramm wurde erstmals 2023 als Forschungsinitiative mit Fokus auf patientenorientierte, medizinisch relevante Themen auf dem Gebiet der nicht-kommerziellen klinischen Forschung ins Leben gerufen. „Mit diesem Programm schließt die LBG eine Förderlücke in der Klinischen Forschung in Österreich, die essenziell für junge klinische Forscherinnen und Forscher an den Medizinischen Universitäten ist“, erläutert Christine Bandtlow, Vizerektorin für Forschung und Internationales an der Medizinischen Universität Innsbruck.
Insgesamt 44 österreichische Forschungsprojekte wurden eingereicht, acht davon kamen in die engere Auswahl. Neben dem Austrian Digital Heart Program bekamen schließlich zwei weitere, in anderen medizinischen Fachbereichen angesiedelte Projekte den Zuschlag:
> MOTION hat es sich zum Ziel gesetzt, Pfortaderhochdruck frühzeitig zu erkennen und richtig zu behandeln. Pfortaderhochdruck ist die Hauptursache für schwere Komplikationen bei Patienten mit Lebererkrankungen und führt weltweit zu etwa zwei Millionen Todesfällen jährlich. Dennoch gibt es bislang keine zugelassenen Medikamente. Geleitet wird das Projekt von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie an der Medizinischen Universität Wien.
> ATTRACT zielt auf die Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten bei Glioblastomen. Glioblastome sind die häufigsten malignen Hirntumoren bei Erwachsenen und sind durch eine enorm schlechte Prognose sowie hohe Sterblichkeit charakterisiert. Trotz intensiver Forschung konnten bisher keine therapeutischen Durchbrüche erzielt werden. Geleitet wird das Projekt von der Klinischen Abteilung für Onkologie der MedUni Wien.
Vorhofflimmern
Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung unter Erwachsenen. Mit zunehmendem Alter oder durch verschiedene Vorerkrankungen kommt es zu Störungen bei den elektrischen Impulsen, die die Arbeit der Herzkammern steuern. Anstatt sich koordiniert zusammenzuziehen, „flimmern“ die Vorhöfe der Herzkammern. Das macht sich in Form eines arrhythmischen und meist zu schnellen Pulses bemerkbar. Weitere mögliche Symptome sind Herzklopfen, Unruhe, Angst, Atemnot und Schwindel. Diagnostiziert wird Vorhofflimmern mithilfe eines Elektrokardiogramms (EKG).
Vorhofflimmern kann mit Medikamenten oder einer Katheterablation behandelt werden. Für einen dauerhaften Behandlungserfolg muss allerdings bei den Risikofaktoren angesetzt werden: Das bedeutet eine Therapie von Bluthochdruck, koronarer Herzkrankheit, Diabetes, Übergewicht oder Schlaf-Apnoe, aber auch ausreichende Bewegung, gesunde Ernährung oder Rauchstopp. Schätzungsweise leben weltweit mindestens 60 Millionen Menschen mit Vorhofflimmern. In Österreich ist die Erkrankung verbreiteter als anderswo. In einem Vergleich von 20 europäischen Ländern lag Österreich in Sachen altersstandardisierter Inzidenz bei den Männern auf Platz vier und bei den Frauen auf Platz eins.