Quälende Wahl

Lesedauer beträgt 2 Minuten
Autor: Norbert Peter

Bekenntnisse eines Leidenden. Eine Satire von Norbert Peter.

Fernreisen sind schlecht, wie wir alle wissen: Der persönliche ökologische Fußabdruck schnellt in unpackbare Höhen, wenn wir glauben, unsere Kindheitsträume erfüllen zu müssen, indem wir zum Heli Skiing am Mount Everest oder zum Bungeejumping beim Vulkan Kilauea in Hawaii fliegen. Klar. Also bleiben wir im heimeligen Europa, gleich ums Eck. Und können zwischen Noroviren am Gardasee, Wölfen im Waldviertel und Kuhattacken in den Alpen wählen. Klimaneutral von innen nach außen gekehrt, zerfleischt und zertrampelt…

Wählen. Das ist ja ohnehin das Stichwort des Jahres. Schwindlig könnte einem werden zwischen all den Richtungsentscheidungen: War es früher (also nicht ganz früher, sondern in dem Früher, in dem „alles besser“ war) nur eine Frage zwischen Rot oder Schwarz, darf man sich heute über die Vielfalt wundern. Unter anderem darf man zwischen Bierzeltpredigern wählen: Politisch angesiedelt zwischen Volksstimme und Volkskanzler. Darunter ausgerechnet ein Mediziner, der BIER unter die Leute bringen will. Das kannst du nicht erfinden. Das wäre ja fast so, als würde ein Banker den Vorsitz der Sozialdemokratie übernehmen… Womit wir wieder im „guten, alten Früher“ wären.

Entscheidungen. Lieber öffentlich fahren oder doch mit dem eigenen PKW? Mit dem Auto kommt man schließlich überall hin. Vielleicht auch schneller ins Unfallkrankenhaus, denn das Traumazentrum Brigittenau (aka Lorenz Böhler Krankenhaus) könnte gerüchteweise vorübergehend Teile seiner Dienste in einem Containerspital auf dem Parkdeck anbieten. Warum auch nicht? Nachdem in modernen Tiefgaragen auch schon Autowäsche angeboten wird… Container und Parkdeck: Bei solchen Schlagworten denkt doch jede und jeder unwillkürlich an Gesundheitseinrichtungen, nicht wahr? Was mich zur Frage führt: Kann der Nocebo-Effekt auch bei Gebäuden eintreten?

Worte schaffen Wirklichkeit. Deshalb sollten wir Patientinnen und Patienten die Worte auch mit Bedacht wählen, wenn wir in der Klinik mit Personal ins Gespräch kommen. Schon bei der Anrede bauen sich erste Hürden auf. Nicht gegenüber der Ärzteschaft. Alternativ dürfen wir „Frau Doktor“ und „Herr Doktor“ in Anwendung bringen. Grammatikalisch Unverwüstliche wagen vielleicht sogar ein „Frau Doktorin“.

Buch-Neuerscheinung:
M. Seltenreich, N. Peter:
„Offline. Die 70er, 80er
und 90er in mehr als 100 Begriffen“;
Verlag Braumüller, 2024

Aber in der Hierarchie schon knapp darunter halten wir inne. Wie sollen wir die Person ansprechen, die da am Computer sitzt und unsere Gesundheitsdaten eintippt? Oder jene, die behutsam unsere Brust rasiert, um die Elektroden fürs EKG zu platzieren? Digital täten wir den Dialog mit „Sehr geehrte Damen und Herren!“ eröffnen. Aber wie nimmt man offline Kontakt auf?

Das vertraute „Schwester“ kreist in unserem Kopf, aber gendergerecht vermeiden wir die direkte Anrede. Selbst wenn die Person uns nicht ansieht, nehmen wir halt zeitgemäß Kontakt auf. Schon im restlichen Leben sind wir mit „Hallo“, „Tschuldigung“ und „Hearst!“ ganz gut gefahren. Auch beim Lokalbesuch sprechen wir ja die weibliche Bedienung nicht mit „Frau Oberin“ an (adäquat zum „Herrn Ober“), sondern warten auf den Blickkontakt und leiten mit Handzeichen die Frage nach der Speisekarte, der Rechnung oder dem Weg zur Toilette ein.

Dabei wären die Weichen für eine geschlechtssensible Kommunikation längst gestellt: Die „Pflegeperson“ umsorgt uns an der Seite der Ärzteschaft! Damit wird auch verhindert, dass wir verletzende geschlechtszuweisende Anreden verwenden.

Ein Modell, dem Ausweitung gebührt. Honorieren wir unsere Mitmenschen auch im Handel, in der Gastronomie und am Sportplatz entsprechend: „Verkaufspersonen“, „Servierpersonen“ und „Spielpersonen“ werden es uns danken. 

Norbert Peter
Kabarettist, Buchautor, Journalist
Peter & Tekal, medizinkabarett.at

Nächste Termine:
„WechselWirkung“ am 6.10.2024 im CasaNova
(A-1010 Wien, Matinee, Beginn: 11:00 Uhr)

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