Christian Köck, Gesundheitsexperte und Geschäftsführer des Health Care-Anbieters HCC spricht im Interview mit der ÖKZ über die „fast einmalige“ Kosteneffizienz der medizinischen Nachsorge – und welche Belastungen auf das heimische Reha-System zukommen.
Herr Köck, wie wichtig ist die Reha für ein leistungsfähiges Gesundheitssystem?
Christian Köck: Ich halte sie für sehr wichtig. Sie wird oftmals unterschätzt. Sie ist ein ganz wesentliches Element des Gesundheitssystems – und zwar besonders mit Blick auf ihr fast einmaliges Kosten-Nutzen-Verhältnis. Das ist eine große Stärke der Reha: Sie ist eine der kosteneffizientesten Maßnahmen in der Gesundheitsvorsorge.
Können Sie das in Zahlen ausdrücken?
Ein Reha-Tag kostet die Sozialversicherung 250 Euro im Durchschnitt. Bei einer Reha von 20 Tagen macht das 5.000 Euro. Wenn das dazu führt, dass eine Patientin nach einem Oberschenkelhalsbruch wieder selbstständig leben kann, dann ist das ein Nichts. Besonders im Vergleich mit der Alternative. Nämlich, dass sie eine 24-Stunden-Betreuung braucht oder in einer Pflegeeinrichtung untergebracht werden muss. Ganz abgesehen natürlich vom persönlichen Wohlbefinden der Patientin und dem Umstand, dass es lebenszeitverkürzend ist, wenn sie nicht mehr am Leben teilnehmen kann.

Prof. DDr. Christian Köck ist Vorstand der HCC Health Care Company GmbH in Wien, die Gesundheitseinrichtungen in Österreich managt. Köck war unter anderem im Vorstand des damaligen Wiener Krankenanstaltenverbundes und Inhaber des Lehrstuhls für Gesundheitspolitik und Gesundheitsmanagement sowie Dekan der Fakultät für Medizin an der Universität Witten/Herdecke.
Wie hoch ist der Anteil der Reha an den Gesundheitsausgaben in Österreich?
Ich habe hier keine offiziellen Zahlen. Aber ich gehe davon aus, dass wir in Österreich für Anschluss-Heilverfahren und Reha-Heilverfahren zwischen 300 und 400 Millionen Euro pro Jahr ausgeben. Das sind rund 1 Prozent der öffentlichen Gesundheitsausgaben – und im Vergleich zum Nutzen vernachlässigbar.
Wie gut ist das Reha-System in Österreich auf die Zukunft vorbereitet? Es mangelt ja nicht an Herausforderungen. Ich denke da zum Beispiel an die Überalterung der Bevölkerung oder die starke Zunahme von psychischen Erkrankungen in den vergangenen Jahren.
Das waren genau genommen zwei Fragen. Zur ersten: Das Reha-System ist in Österreich Gott sei Dank recht gut aufgestellt. Das liegt auch daran, dass es eine lange Tradition hat. Aber – und damit komme ich zu Ihrer zweiten Frage – es gibt tatsächlich eine Reihe von Herausforderungen, wie die demografische Entwicklung. Aber ich sehe auch viele Möglichkeiten. Es geht darum, die richtigen Maßnahmen zu setzen, um diese Möglichkeiten zu nutzen.
Woran denken Sie?
Ich denke hier vor allem an die Digitalisierung – und zwar im Wesentlichen an die Tele-Reha. Sie kann sehr hilfreich sein. Ein Beispiel: Ein Kardio-Patient wurde operiert und hat anschließend eine stationäre Reha absolviert. Nun kommt er nach Hause und sollte seinen Lebensstil anpassen, damit er in einem halben Jahr nicht wieder im OP landet. Es geht darum, dass er das, was er in der Reha gelernt hat, in den Alltag übernimmt. Dabei kann die Tele-Reha sehr gut helfen – mit Apps und/oder mit Unterstützung und Coaching durch Therapeuten.
Kann die Digitalisierung auch bei der stationären Reha helfen?
Ja. Nehmen Sie die Zeit vor dem Antritt der Reha. Je mehr die Verantwortlichen über eine Patientin vor Reha-Antritt wissen, desto besser kann man eine auf sie zugeschnittene Therapie planen. Derzeit schaut der Ablauf in der Regel so aus: Die Patientin stellt einen Reha-Antrag. Der wird genehmigt. Die Patientin erhält einen Reha-Termin bei einer Einrichtung. Dort findet sie sich pünktlich ein. Bei der Aufnahme werden dann bestimmte Parameter erhoben, auf deren Basis der Reha-Plan für die Patientin erstellt wird. Diesen Prozess kann man verbessern, indem die Patientin schon vor dem Antritt der Reha mit der Einrichtung in Kontakt tritt und wichtige Informationen weitergibt. Bei einer Schulteroperation könnte das etwa sein: Wie beweglich ist sie derzeit? Wie stark ist sie eingeschränkt?
Aber was hat das mit Digitalisierung zu tun?
Zunächst geht es um die Veränderung des Prozesses. Aber die Digitalisierung kann ganz wesentlich unterstützen. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Sie können die Patientin zum Beispiel bitten, vorher auf einer Internet-Maske wesentliche Daten einzugeben und auch Fragen zum Gesundheitszustand zu beantworten und die Zeile für den Reha-Aufenthalt aus Sicht der Patientin. Auch über einen Video-Call ist es möglich, zusätzliche Informationen zu erhalten. Das Grundprinzip ist dabei immer dasselbe: Je mehr die Einrichtung über die Patienten weiß, desto besser kann sie sich auf sie einstellen und den Aufenthalt effizienter planen.
Ist das reine Zukunftsmusik oder wird es schon praktiziert?
Es gibt erste Ansätze bei den Einrichtungen, aber da ist noch viel Luft nach oben. Wir wissen, dass in den nächsten Jahren 90 Prozent der potenziellen Patientinnen und Patienten über ein Smartphone verfügen werden. Da ist vieles vorstellbar. Ich halte es hier auch für ganz entscheidend, dass die Sozialversicherungsträger ihren Ansatz ändern: von der Input-Orientierung hin zur Outcome-Orientierung. Die PV hat schon einige Schritte in diese Richtung gemacht.
Was darf man sich darunter vorstellen?
Bislang dominiert noch die Input-Orientierung. Sie ist anhand von Leistungsprofilen stark standardisiert. Jemand, der mit einer Herzkreislauf-Erkrankung zur Reha kommt, erhält X Inputeinheiten Einzeltherapie, Y Einheiten Ergometer und Z Einheiten Vorträge. Das ist die Leistung, die die Einrichtung erbringen muss. Jetzt gibt es aber Patientinnen und Patienten, die schon das fünfte Mal kommen. Die muss ich zum Beispiel nicht mehr in die Vorträge schicken. Ich verstehe schon, dass die Sozialversicherung sicherstellen möchte, dass die Einrichtung die bezahlten Leistungen auch tatsächlich erbringt. Aber das geht mit einer Outcome-Orientierung letztlich auch.
Ich vermute stark, dass die Outcome-Orientierung sich stärker an die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten richtet …
Damit liegen Sie richtig. Was hilft mir eine kostengünstige, standardisierte Reha, die nicht wirksam ist? Das Wesentliche ist: die Partizipation der Patienten am täglichen Leben zu erhalten oder zu verbessern. Dazu muss man mit Patienten machbare Ziele aushandeln. Das Geld für die Reha ist dann am besten eingesetzt, wenn sie die individuellen Vorgaben des Patienten erreicht. Und das kann zum Beispiel bei Patienten mit einem Schulterproblem ganz unterschiedlich sein. Die können sie nicht alle über einen Kamm scheren. Der Patient könnte zum Beispiel sagen: Damit ich allein zu Hause leben kann, muss ich in der Lage sein, den Geschirrspüler auszuräumen und die Tassen in das Oberkasterl hineinzustellen. Dazu muss ich meine Arme heben können. Ein anderer könnte sagen: Das Wichtigste ist für mich, dass ich wieder mit meinen Freunden wandern kann. Auf diese unterschiedlichen Ziele müssen die Therapien ausgerichtet werden.
Sie sagen, die PV geht bereits in diese Richtung. Wie schaut es bei den anderen Sozialversicherungsträgern aus?
Die PV ist hier dominierend, weil die anderen Sozialversicherungsträger sich in der Regel ihr unterordnen. Da wäre stärkerer Ideenwettbewerb wünschenswert.
Stichwort Ideen: Was halten Sie von der Idee, die Reha verstärkt in den ambulanten Bereich zu verschieben?
Die PV übt hier starken Druck aus. Ich sehe das aber kritisch. Bei Kardio-Erkrankungen ist es zum Beispiel sehr wichtig, dass die Patientinnen und Patienten ganz gezielt aus der Alltagsumgebung herausgenommen werden, um grundsätzlich ihren Lebensstil zu verändern und Stress abzubauen. Das geht nur mit dem stationären Aufenthalt. Die Kosten sollten aus meiner Sich hier nicht im Vordergrund stehen. Denn wie schon gesagt: Eine Reha ist dann kosteneffizient, wenn sie wirkt.
Quellen und Links:
Artikel zum Rehabilitationsplan 2025 aus der ÖKZ 1/2024: „Wünsche an das Christkind“ –
link.springer.com/article/10.1007/s43830-024-0428-3
Statistik Austria zu den Gesundheitsausgaben in Österreich:
www.statistik.at/fileadmin/announcement/2024/06/20240612Gesundheitsausgaben2023.pdf
Die PVA zum Thema Reha:
www.pv.at/web/reha-und-praevention/rehabilitation-und-praevention-leicht-erklaert