Seit dem 26. Mai 2022 ist die EU-Verordnung über In-vitro-Diagnostika (IVDR) in Kraft. Vorrangiges Ziel ist eine verbesserte Patientensicherheit. Noch herrscht Unsicherheit, wie bestimmte Passagen der Verordnung auszulegen sind.
Erstmals unterliegen auch sogenannte Inhouse-In-vitro-Diagnostika (IH-IVDs), also diagnostische Tests, die innerhalb von Gesundheitseinrichtungen entwickelt und genutzt werden, verbindlichen regulatorischen Anforderungen (1). IH-IVDs spielen eine entscheidende Rolle in der klinischen Diagnostik und sind auf die spezifischen Bedürfnisse des Labors zugeschnitten, in dem sie verwendet werden (2).
Art. 5(5) der IVDR umfasst alle Anforderungen für die Herstellung und Verwendung von IH-IVDs. Die schrittweise Umsetzung dieses Artikels begann am 26. Mai 2022, wobei alle Bestimmungen mit Ausnahme von (b) – (i) in Kraft traten. Seit dem 26. Mai 2024 gelten nun alle Vorgaben mit Ausnahme von Unterpunkt (d), wobei der gesamte Art. 5(5) ab dem 31. Dezember 2030 schließlich in vollem Umfang gilt (1). Die bislang fehlende einheitliche Auslegung der IVDR führt weiterhin zu Unsicherheiten in der Praxis. Sowohl Labore, die zur Anwendung verpflichtet sind, als auch nationale zuständige Behörden, die für die Überwachung verantwortlich sind, stehen somit vor offenen Fragen hinsichtlich der konkreten Auslegung der Anforderungen (3).

Harmoniebedarf.
Die Implementierung der IVDR stellt Labore vor strukturelle und personelle Herausforderungen. Es braucht einen praxisnahen Regulierungsansatz, der den Zugang zu essenziellen Diagnostika sichert.
Was ist die IVDR?
Die IVDR regelt den gesamten Lebenszyklus von IVDs in der EU – von der Entwicklung über die Anwendung hin zur Überwachung. Sie richtet sich primär an CE-gekennzeichnete IVDs (CE-IVDs) (1), bei denen Hersteller mit dem „Conformité Européenne“-Zeichen (CE) die Einhaltung aller anwendbaren Anforderungen der IVDR bestätigen (4). Ein zentraler Unterschied zur bisherigen IVDD besteht darin, dass die IVDR nicht nur CE-IVDs, sondern auch IH-IVDs reguliert. Für IH-IVDs greift jedoch eine Ausnahme gemäß Art. 5(5), wodurch Gesundheitseinrichtungen nur bestimmte Anforderungen der Verordnung erfüllen müssen. „Gesundheitseinrichtung“ bezeichnet dabei eine Organisation, deren Hauptzweck in der Versorgung oder Behandlung von Patient:innen oder der Förderung der öffentlichen Gesundheit besteht, einschließlich Krankenhäuser und Einrichtungen wie Labore und öffentliche Gesundheitsinstitute (1). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass jede Gesundheitseinrichtung in der EU, die IH-IVDs in der Patientenversorgung einsetzt, verpflichtet ist, Art. 5(5) der IVDR zu erfüllen. Dieser definiert die Anforderungen an die Herstellung und Verwendung von IH-IVDs und wird in diesem Artikel näher erläutert. Dadurch versucht die IVDR, EU-weit einheitliche Kriterien für die Herstellung und Anwendung von IH-IVDs durch Gesundheitseinrichtungen festzulegen.
Was sind IH-IVDs?
Eine im Dezember 2020 durchgeführten Studie zeigt, dass 50 % aller IVDs innerhalb des medizinischen Labors „Labor Berlin – Charité Vivantes GmbH“ IH-IVDs waren (3), was die Wichtigkeit von IH-IVDs für eine angemessene Patientenversorgung unterstreicht. Die Entwicklung und der Erfolg der personalisierten Medizin sind eng mit der Rolle der IH-IVDs verbunden. Etwaige Ungenauigkeiten können erhebliche Folgen haben und zu unnötigen oder sogar potenziell schädlichen Behandlungen führen, Verzögerungen bei lebenswichtiger Versorgung verursachen oder Patient:innen Therapien aussetzen, die für sie möglicherweise nicht optimal geeignet sind. Daher geht es bei der Aufrechterhaltung der Integrität dieser Diagnoseinstrumente nicht nur um Präzision, sondern auch darum, das Wohl der Patient:innen zu schützen und die Wirksamkeit medizinischer Maßnahmen zu gewährleisten (5).
Der Begriff „Herstellung eines IH-IVD“ bezieht sich auf die Schaffung eines Produkts aus Rohstoffen, die Kombination von Produkten zu einem neuen Produkt oder die Modifizierung bestehender CE-IVDs (6). Auf dieser Grundlage wurden die folgenden vier Szenarien eines IH-IVDs entwickelt:
Szenario 1: Eine Gesundheitseinrichtung verwendet ein CE-IVD außerhalb der vom Hersteller definierten Zweckbestimmung, wodurch dieses CE-IVD zu einem IH-IVD wird. Die Abweichung vom Verwendungszweck kann sich beispielsweise auf die verwendete Matrix, die Mengen oder das Verfallsdatum beziehen. Das Ausmaß der zulässigen Änderungen ist noch nicht festgelegt worden. Es wird in der Fachschaft diskutiert, dass geringfügige Änderungen wie z. B. Verdünnungen oder Reaktionszeiten erlaubt sein sollten, ohne dass der regulatorische Status von CE-IVD auf IH-IVD geändert werden muss. Die Gesundheitseinrichtung muss jedoch alle vorgenommenen Änderungen validieren (7).
Szenario 2: Eine Gesundheitseinrichtung verwendet Produkte ohne CE-Markierung, z. B. Produkte für Research-Use-Only, für diagnostische Zwecke.
Szenario 3: Eine Gesundheitseinrichtung kombiniert Produkte, die vom Hersteller nicht für solch eine Kombination vorgesehen sind, wodurch ein neues IH-IVD entsteht. Ein Beispiel hierfür ist die Kombination eines CE-IVD Library Preparation Kits, eines CE-IVD Sequencers und einer Open-Source-Analysesoftware.
Szenario 4: Eine Gesundheitseinrichtung entwirft, entwickelt und stellt ein IH-IVD von Grund auf neu her (3, 8), beispielsweise die Programmierung einer bioinformatischen Pipeline für somatische Krebsuntersuchungen.
Die Ausnahmebestimmung Art. 5(5)
IH-IVDs unterliegen einer Ausnahmeregelung, wodurch sie von den meisten Anforderungen der IVDR ausgenommen sind, bis auf die Erfüllung der einschlägigen grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I und Art. 5(5) der IVDR, welcher folgende Unterpunkte enthält:
Art. 5(5) (a): Keine Übertragung der IH-IVDs
Diese Bedingung verbietet die physische Weitergabe von IH-IVDs an eine rechtlich eigenständige Einrichtung (1), mit Ausnahme von Dokumenten wie Testprotokollen, Standardarbeitsanweisungen, Patientenproben oder Ergebnissen (6).
Art. 5(5) (b)–(c): „EN ISO 15189 Medizinische Laboratorien – Anforderungen an die Qualität und Kompetenz“
Gesundheitseinrichtungen müssen gemäß Art. 5(5) (b) ein geeignetes Qualitätsmanagementsystem für die Herstellung und Verwendung der Produkte implementieren. Zusätzlich legt Art. 5(5) (c) fest, dass die Gesundheitseinrichtungen der Norm EN ISO 15189 oder gegebenenfalls nationalen Vorschriften entsprechen müssen (1). Somit kann EN ISO 15189 als ein möglicher Rahmen betrachtet werden, der sowohl die Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem als auch an den allgemeinen Laborbetrieb abdeckt, jedoch nicht als einzig verbindlicher Ansatz (8).
Außerdem sollte betont werden, dass die Einhaltung von EN ISO 15189 allein kein ausreichendes Qualitätsmanagementsystem darstellt (6). Eine Akkreditierung ist nicht verpflichtend, es sei denn, sie wird vom jeweiligen Mitgliedstaat oder von den jeweiligen Fachgesellschaften gefordert. Eine freiwillige Akkreditierung kann jedoch dafür verwendet werden, die ordnungsgemäße Umsetzung von EN ISO 15189 nachzuweisen (9). Unabhängig davon sind externe Audits eine wertvolle Grundlage zur Verbesserung des Qualitätsmanagementsystems (10).
Art. 5(5) (d)–(e): Begründung für die Verwendung
Unterpunkt (d) und (e) beziehen sich auf die Begründung der Herstellung, Änderung und Verwendung. Gemäß der IVDR können IH-IVDs nur dann verwendet werden, wenn kein gleichwertiges CE-IVD auf dem Markt verfügbar ist oder wenn ein gleichwertiges CE-IVD die spezifischen Bedürfnisse der Patientengruppe nicht angemessen erfüllt. Auf Ersuchen der Behörde muss sämtliche Information über die Verwendung der IH-IVDs sowie die Begründung für die Herstellung zur Verfügung gestellt werden.
Art. 5(5) (f): Öffentliche Erklärung / Grundlegende Sicherheits- und Leistungsanforderungen
Die IVDR verpflichtet Gesundheitseinrichtungen, bestimmte Informationen bzgl. der verwendeten IH-IVDs öffentlich zu melden, darunter den Namen und die Adresse der Einrichtung, eine detaillierte Identifizierung der Produkte und eine Erklärung, in der bestätigt wird, dass die Produkte die Anforderungen in Anhang I der IVDR erfüllen.
Art. 5(5) (g)–(h): Zusätzliche Anforderungen für IH-IVDs der Klasse D
Anhang VIII der IVDR legt Regeln fest, die es Gesundheitseinrichtungen ermöglichen, IH-IVDs entsprechend ihrer Zweckbestimmung in vier Risikoklassen (A–D) einzuteilen. Die Risikoklasse erhöht sich dabei mit dem zunehmenden individuellen und öffentlichen Risiko. Für Produkte der Klasse D müssen Unterlagen vorliegen, die Herstellungsstätte, Verfahren, Auslegung, Leistung und Zweckbestimmung nachvollziehbar machen. Sie sollen detailliert genug sein, damit die Behörde die Einhaltung der Sicherheits- und Leistungsanforderungen aus Annex I überprüfen kann.
Art. 5(5) (i): Erfahrungen aus der klinischen Verwendung und erforderliche Korrekturmaßnahmen
Unterpunkt (i) verlangt von den Gesundheitseinrichtungen eine Begutachtung der Erfahrungen, die aus der klinischen Verwendung der IH-IVDs gewonnen werden. Daraus müssen dann die notwendigen Korrekturmaßnahmen abgeleitet und ergriffen werden (1). Diese Prozesse sind bereits integraler Bestandteil der EN ISO 15189, insbesondere im Hinblick auf die regelmäßige Bewertung der Eignung und der klinischen Wirksamkeit von IH-IVDs und im Hinblick auf Korrektur- und Präventivmaßnahmen und externe Bewertungen, sowohl im Rahmen der Akkreditierung als auch im Rahmen der Teilnahme an einer Leistungsbewertung (9).
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die IVDR eine europaweite Harmonisierung der Qualität von IH-IVDs anstrebt. Ihre Implementierung stellt Labore jedoch vor strukturelle und personelle Herausforderungen. Entscheidend ist daher ein praxisnaher, flexibler Regulierungsansatz, der Raum für Innovation lässt und den Zugang zu essenziellen Diagnostika sichert. Dafür müssen die regulatorischen Rahmenbedingungen weiter geschärft und das erforderliche Wissen in den Laboren gezielt aufgebaut werden. Digitale Lösungen und Automatisierung können dabei unterstützen, die Umsetzungspflichten effizient zu bewältigen und den Aufwand für Prozesse und Dokumentation deutlich zu reduzieren.

Autorin:
Dipl.-Ing. Valerie Wohlgenannt
Regulatory Affairs Manager bei Platomics GmbH, Jakov-Lind-Strasse 15/Floor 2/Top 3, 1020 Vienna, Austria
valerie.wohlgenannt@platomics.com
www.platomics.com
Quellen und Links:
1) Regulation (EU) 2017/746 of the European Parliament and of the Council of 5 April 2017 on in vitro diagnostic medical devices and repealing Directive 98/79/EC and Commission Decision 2010/227/EU (Text with EEA relevance) [Internet]. Jan 10, 2025. Available from: data.europa.eu/eli/reg/2017/746/2025-01-10/eng
2) Vogeser M, Brüggemann M, Lennerz J, Stenzinger A, Gassner UM. Laboratory-Developed Tests in the New European Union 2017/746 Regulation: Opportunities and Risks. Clinical Chemistry. 2022 Jan 1;68(1): 40–42.
3) Spitzenberger F, Patel J, Gebuhr I, Kruttwig K, Safi A, Meisel C. Laboratory-Developed Tests: Design of a Regulatory Strategy in Compliance with the International State-of-the-Art and the Regulation (EU) 2017/746 (EU IVDR [In Vitro Diagnostic Medical Device Regulation]). Therapeutic Innovation & Regulatory Science. 2022 Jan;56(1): 47–64.
4) Kahles A, Goldschmid H, Volckmar AL, Ploeger C, Kazdal D, Penzel R, et al. Regulation (EU) 2017/746 (IVDR): practical implementation of annex I in pathology. Die Pathologie. 2023 Nov 1;44(2): 86–95.
5) FDA Center for Devices and Radiological Health. FDA. FDA; 2023 [cited 2023 Sep 15]. Laboratory Developed Tests. Available from: www.fda.gov/medical-devices/in-vitro-diagnostics/laboratory-developed-tests
6) Medical Device Coordination Group (MDCG). Guidance on the health institution exemption under Article 5(5) of Regulation (EU) 2017/745 and Regulation (EU) 2017/746 [Internet]. 2023 [cited 2023 Jun 30]. Available from: health.ec.europa.eu/system/files/2023-01/mdcg_2023-1_en.pdf
7) Bank PCD, Jacobs LHJ, Van Den Berg SAA, Van Deutekom HWM, Hamann D, Molenkamp R, et al. The end of the laboratory developed test as we know it? Recommendations from a national multidisciplinary taskforce of laboratory specialists on the interpretation of the IVDR and its complications. Clinical Chemistry and Laboratory Medicine (CCLM). 2021 Feb 23;59(3): 491–497
8) Kahles A, Goldschmid H, Volckmar AL, Ploeger C, Kazdal D, Penzel R, et al. Structure and content of the EU-IVDR. Pathologie. 2023 Nov 1;44(2): 73–85.
9) Hoffmüller P, Brüggemann M, Eggermann T, Ghoreschi K, Haase D, Hofmann J, et al. Advisory opinion of the AWMF Ad hoc Commission In-vitro Diagnostic Medical Devices regarding in-vitro diagnostic medical devices manufactured and used only within health institutions established in the Union according to Regulation (EU) 2017/746 (IVDR). GMS German Medical Science — an Interdisciplinary Journal. 2021 Jun 1;19: Doc08.
10) Lubbers BR, Schilhabel A, Cobbaert CM, Gonzalez D, Dombrink I, Brüggemann M, et al. The New EU Regulation on In Vitro Diagnostic Medical Devices: Implications and Preparatory Actions for Diagnostic Laboratories. Hemasphere. 2021 Apr 21;5(5): e568.