Reha NEXT-Convention: Rehabilitation als Teil sozialer Innovation

+++ Mehr als 300 Gäste folgten der Einladung des Beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrums BBRZ zur diesjährigen Reha NEXT-Convention in Wien. +++

An der großen Reha NEXT-Convention des BBRZ, die am 8. April 2019 unter dem Motto „Reha NEXT to Society“ im Tech Gate Wien stattfand, nahmen die wichtigsten Protagonisten des österreichischen Rehabilitationssystems aus den Reihen des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (BMASGK), der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), des Arbeitsmarktservice (AMS) und der Wirtschaft teil. Sie diskutierten, welche Rolle die berufsorientierte Rehabilitation im Rahmen von sozialer Innovation spielt bzw. künftig spielen sollte.

In Vertretung der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, Mag. Beate Hartinger-Klein, eröffnete die Sektionschefin der Sektion VIII im BMASGK, Dr. Silvia Türk, die diesjährige Reha NEXT-Convention. In ihrer Eröffnungsrede wies Türk auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Rehabilitationsprozesses in Österreich hin und betonte, dass trotz eines Anstiegs an chronischen Erkrankungen das gesunde Altern im Fokus der Bemühungen der Gesundheitspolitik steht. Im Bereich der Rehabilitation unterstrich sie etliche Maßnahmen, welche die Rehabilitation in Zukunft noch stärker an die Bedürfnisse der Betroffenen heranbringen werden, u. a. die Telerehabilitation oder das Pilot-Projekt der Telekardiologie, das derzeit im Bundesland Tirol implementiert wird.

In seiner Keynote skizzierte der BBRZ-Geschäftsführer und Sprecher der BBRZ-Gruppe, Dr. Manfred Polzer, die wichtigsten Faktoren des umfassenden Reha NEXT-Entwicklungsprozesses, den man 2016 im BBRZ ins Leben rief. „Im jetzigen Rehabilitationsprozess werden Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen durch fachliche Neuqualifizierung wieder für den Arbeitsmarkt vorbereitet. Dafür gibt es klare rechtliche Rahmenbedingungen und einen definierten Reha-Prozess, der mit einem systemischen, ganzheitlichen Ansatz erfolgt“, betonte Polzer. Wenn man aber Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt in Betracht zieht, sieht man laut Polzer, dass die fachlichen Qualifikationen vorausgesetzt werden bzw. nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.
Das stelle auch das klassische Modell der beruflichen Rehabilitation in Frage. „Auf dem Arbeitsmarkt stehen vielmehr Erwartungen an Persönlichkeitsmerkmale sowie Prozess- und Sozialkompetenzen im Vordergrund. Dies erfordert einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Rehabilitationsverständnis. Der Anteil von klassisch fachlicher, inhaltlicher Wissensvermittlung wird zurückgehen, zugunsten der Förderung der nachgefragten Selbst- und Sozialkompetenz. Gleichzeitig rückt der Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung in den Vordergrund.
Das heißt, es geht zukünftig darum, einen weitgehend selbstorganisierten und praxisorientierten Lernprozess zu initiieren, der Selbstermächtigung unserer Kundinnen und Kunden ermöglicht. Für die fachliche Qualifikation heißt das in vielen Fällen, dass wir nicht mehr von einer Arbeitsmarkt- bzw. einer Berufsqualifizierung, sondern von einer Arbeitsplatzqualifizierung sprechen müssen, die enge Kooperationen mit den Unternehmen erfordert“, erklärte Polzer.

Individualisierung als Priorität
Mag. Roman Pöschl, Geschäftsführer der BBRZ Reha GmbH und BBRZ Med GmbH, sprach in diesem Zusammenhang von künftigen Herausforderungen des Rehabilitationsprozesses und die Bedeutung des individuellen Zugangs zur beruflichen Rehabilitation. „Damit man den Anforderungen des Arbeitsmarkts gerecht wird, ist die bloße Vermittlung von bestimmten Skills bei Weitem nicht mehr ausreichend. Es geht vielmehr darum, die eigene Persönlichkeit als die beste Ressource wahrzunehmen. Dieser Prozess der Persönlichkeitsveränderung ist keinesfalls leicht und muss von den Betroffenen aus Überzeugung mitgetragen werden“, erklärte Pöschl. Er wies dabei auf zwei entgegengesetzte Trends in Gesellschaft und Wirtschaft hin, die sich auch auf die Rehabilitation auswirken: „Während man in der Gesellschaft nach immer mehr Autorität strebt, verlangt die Wirtschaft nach mehr Entrepreneurs, also Personen, die sich selbst führen können. Dies ist auch eine der größten Herausforderungen im Prozess der beruflichen Rehabilitation. Dabei geht es uns nicht nur darum, das Bewusstsein und Haltungen unserer Kundinnen und Kunden zu ändern, sondern auch die Haltungen des BBRZ neu zu definieren, was wir im Rahmen unseres umfassenden Zukunftsprojekts Reha NEXT bereits umsetzen. Wir müssen unsere Spielregeln so ändern, um die maximale Selbstbehauptung und Individualisierung unserer Kundinnen und Kunden zu erreichen“, betonte Polzer.

Der Erste Direktor der Deutschen Rentenversicherung Westfalen, Thomas Keck, skizzierte u. a. einige Mega-Trends, die die Arbeitswelt der Zukunft prägen werden, von fortschreitender Digitalisierung über einen Strukturwandel von der Industrie zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft bis hin zur Veränderung von Arbeitsstrukturen und Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Dabei wies er auf die Notwendigkeit einer individuellen und maßgeschneiderten Rehabilitation hin und betonte, dass u. a. Reha-Lotsen und Reha-Manager im zukünftigen Rehabilitationssystem eine wesentliche Rolle spielen werden.

Karin Risser, MBA, Expertin für medizinisch-beruflich-orientierte Rehabilitation (MBOR) in der BBRZ Reha GMBH, sagte, dass das Rehabilitationssystem in Österreich zwar eine hohe Qualität der Rehabilitationsangebote aufweist, die Betroffenen aber viel zu spät zu rehabilitieren beginnt. Aus diesem Grund wird es in Zukunft unerlässlich sein, die medizinische noch enger mit der beruflichen Rehabilitation zu verweben, wie das im BBRZ bereits umgesetzt wird.

Mag. Marie Ringler, MBA, Geschäftsführerin von Ashoka Österreich, sprach über gesuchte Talente und neue Führung im Jahre 2030. In ihrem Vortrag konzentrierte sie sich auf Möglichkeiten eines Systemwandels am Beispiel von Social Entrepreneurs. Ringler betonte, dass der Erfolg der namhaftesten Social Entrepreneurs der Gegenwart primär darin liege, dass diese mit hoher sozialer Kompetenz entlang ihres ureigensten persönlichen Potenzials individuelle Lösungen für brisante gesellschaftliche Herausforderungen entwickeln. Als solches seien Social Entrepreneurs häufig wichtige Treiber des aktuell spürbaren Systemwandels, der sich u. a. abbilde durch Tabubrüche, neue Rollen, den Einsatz neuer Technologie, eine Neuverteilung der Macht, sowie einen neuen Führungsstil, der den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr Selbstermächtigung erlaubt.

Dr. Herbert Buchinger, Vorstandsvorsitzender des AMS Österreich, sprach in seinem Vortrag über künftige Innovationen am Arbeitsmarkt und Folgen der Digitalisierung. Dabei fokussierte er auf Algorithmen zur prognostischen Berechnung der individuellen Chancen von AMS-Kunden auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, um sie so maßgeschneiderter und optimaler zu betreuen. Für Buchinger stehen trotz des verstärkten Einsatzes der Digitalisierung die individuelle persönliche Betreuung von AMS-Kunden sowie eine zielgruppenorientierte Arbeitsmarktförderung weiterhin im Mittelpunkt des Arbeitsmarktservices.

Herbert Pichler, Präsident des Österreichischen Behindertenrates und Behindertensprecher des ÖGB, betonte in seiner Rede, dass Menschen mit Behinderungen nicht nur eine intensive Betreuung seitens des AMS, sondern auch sämtliche Weiterbildungsmaßnahmen in vollem Umfang zur Verfügung stehen müssen.

Über Innovationen im Bereich der Rehabilitationsangebote sprach der Chefarzt der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), Dr. Martin Skoumal. Im Mittelpunkt seines Referats stand das innovative PVA-Projekt RehaJET, mit dem die PVA eine stärkere Verknüpfung von medizinischer und beruflicher Rehabilitation erprobt. Mit dem Programm wird während einer medizinischen Rehabilitation bereits verstärkt auf die individuelle berufliche Lage der Personen Rücksicht genommen und ihnen damit eine erfolgreiche Rückkehr zur Arbeit nach einer schweren Krankheit ermöglicht.

Für Dr. Eva Höltl, Leiterin des Gesundheitszentrums der Erste Bank AG, spielt die Frage der Prävention eine besonders wichtige Rolle. Es sei wichtig, qualitativ hochwertige Reha-Angebote in die Wertschöpfungskette zu bringen und den Weg in die Rehabilitation zu präzisieren. Dabei müsse sowohl die Wirtschaft als auch die Industrie erkennen, dass die Rehabilitation eine der wirksamsten Maßnahmen sei, die Erwerbsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten.

Mag. Andreas Schröck, Regionalleiter der BBRZ-Region Süd, unterstrich die Bemühungen des BBRZ im Rahmen der österreichweiten Reha NEXT-Pilotprojekte neben der fachlichen und sozialen Kompetenzförderung verstärkt die Förderung der Gesundheitskompetenz der Betroffenen in den Vordergrund zu stellen. Um die Betroffenen bestmöglich bei der Erhöhung ihrer persönlichen Erwerbsfähigkeit zu unterstützen, spiele zudem die Entwicklung ihrer Selbstmanagement-Fähigkeiten eine vordergründige Rolle.

Über Reha NEXT
Das BBRZ setzt sich im Zuge des Reha NEXT gemeinsam mit allen Akteuren, die in das System der Rehabilitation eingebunden sind, mit den richtungsweisendsten Entwicklungen der Gegenwart auseinander und entwickelt innovative Angebote für die veränderten Zielgruppen der Rehabilitation und deren Bedürfnisse. Seit Beginn 2017 wurden österreichweit bereits mehr als 20 regionale wie auch überregionale Zukunfts-Workshops abgehalten mit zahlreichen relevanten Partnerinnen und Partnern im System der Rehabilitation Österreichs. Entlang der Ideensammlung wurden in ganz Österreich zukunftsweisende Pilotprojekte gestartet, um neue Ansätze und Wege in der Rehabilitation sogleich in der Praxis zu erproben.

Im Bild v. l.: Roman Pöschl, Eva Höltl, Karin Risser, Herbert Pichler, Andreas Schröck, Manfred Polzer, Thomas Keck (Fotocredit: Katharina Schiffl)

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