Sie ist der der Elefant im Raum: die Pflege. Viel ist von Digitalisierung die Rede, wenn es um die Entwicklungen im Gesundheitswesen geht, von Organisationsstrukturen, von digitalen Tools oder High-Tech-Geräten. Aber wenn es um die Pflege geht, gibt es mehr offene Fragen als Antworten.
„Wovon reden wir eigentlich, wenn wir von Pflege reden?“, so Elisabeth Rappold von der Gesundheit Österreich bei der Podiumsdiskussion „Pflege im Alter: Pfade aus dem Kompetenzdschungel“ beim 14. Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongress in Wien. Viel war da von „Stellschrauben“ die Rede, von Reformen, von der Abgrenzung der Bereiche Pflege und Betreuung durch Professionelle oder Angehörige – aber vor allem auch von einem Bedarf, der anwachsen wird, von dem aber nicht klar ist, wie er zu stemmen sein wird.
„Wir sehen, dass bis 2050 die Hälfte des Pflegepersonals in Pension gehen wird“, so Elisabeth Rappold. „Wir sehen, dass wir einen deutlich höheren Bedarf haben werden.“ Und daraus resultierend wiederum: „Einen höheren Personalbedarf“. Wir wären also, so sagt sie, „sehr gut beraten uns zu überlegen, an welchen Stellschrauben wir drehen, damit wir da dagegen steuern können.“
Was sich aus der Debatte ergibt, ist das Bild eines Bereichs auf sehr dünnem Eis. Da ist der Personalmangel. Da ist der steigende Bedarf. Und da sind Behelfslösungen mit Ablaufdatum. Auf das System von zugereisten 24-Stunden-Betreuerinnen dürfe man sich jedenfalls nicht verlassen, sagt Elisabeth Rappold. Das liege nicht zuletzt auch an den ökonomischen Entwicklungen in den Herkunftsländern von Pflegekräften. Viel eher müsse man über genossenschaftliche Lösungen oder auch Wohngemeinschaften nachdenken. Und dabei gehe es vor allem auch darum, Lösungen zu finden, die der Lebensrealität gerecht werden. Denn, wie sie sagt: Auch in der 24-Stunden-Versorgung könne man vereinsamen.
Die 24-Stunden-Betreuung sei letztlich auch eine Nische, die man sich leisten können müsse, so Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich. Wenn man dem Wunsch nach einem möglichst langen Verbleib zu Hause nachkommen wolle, brauche es in Summe eben gemeinschaftliche Lösungen. Denn da gebe es viel Raum zwischen Krankenhaus und Pflegeheim. Und genau in diesem Raum müsse man flexibler werden in den Angeboten: Von Tageszentren bis zu gemeinschaftlichen Projekten oder auch hin zu anderen Modellen. Nicht zuletzt gehe es auch darum, pflegende Angehörige zu entlasten. Denn auch die würden nicht jünger.
Birgit Meinhard-Schiebel von der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger führt die Josefstadt in Wien als leuchtendes Beispiel an. Und da vor allem die Bemühungen des Bezirks eine „Caring Community“, wie sie es nennt, zu etablieren, wo sich Betroffene, Angehörige oder auch professionelle Pflegerinnen und Pfleger austauschen könnten. Dafür brauche es aber Förderungen und vor allem auch Strukturen, die gewillt seien, solche Projekte durchzuziehen.
„Betroffene befinden sich in einem Kompetenzdschungel“
In Österreich gibt es rund eine Million Menschen, die zu Hause pflegen. Und wie Birgit Meinhard-Schiebel sagt: „Die dürfen alles – das macht das Leben aber nicht leichter, weil sie Tätigkeiten übernehmen, die sie nie gelernt haben.“ Und vor allem bleibe diese Sorge-Arbeit „immer bei den Frauen hängen“. Birgit Meinhard-Schiebel: „Betroffene befinden sich in einem Kompetenzdschungel. Pflegende Angehörige versuchen sich zurechtzufinden. Es gibt gute Angebote, aber die Pflegenden wissen es oft nicht.“ Und weiter sagt sie: „Wir haben einen Forderungskatalog an die Politik.“ Nachsatz: „Aber es ist mühsam.“
Das Grundproblem sei, wie es Anna Parr von der Caritas ausdrückt: „Wir haben in der Betrachtung von Gesundheit einen sehr enges Verständnis.“ Und in der gegenwärtigen Lage mit einer sich auftuenden Versorgungslücke brauche es einen gesamtheitlichen Blick nicht nur auf Rahmenbedingungen wie die Finanzierung („Aus einer Hand“, wie sie es fordert), sondern eben auch auf Prävention und Vorsorge. Sie sagt: „Es gab Pflegereformen, es gab gerade zuletzt auch wieder Reformen, die schon helfen werden, aber es bleibt letztlich bei den kleinen Schrauben.“
Für Elisabeth Rappold fängt das Thema gar in den Kindergärten an – bei der Gesundheitskompetenz oder etwa auch der motorischen Entwicklung bei Kindern.
Für Anna Parr haben solch langfristige Ansätze durchaus ihre Berechtigung, was aber mehr dränge, seien die kurzfristigen: Unterstützungen, etwa finanzielle Unterstützung für Berufsumsteiger, die viel geholfen hätten. Ein solcher Ausbau sei im Finanzausgleich allerdings nicht vorgesehen. 200.000 Pflegekräfte brauche es bis 2050. Und genau das müsse die Priorität sein, so Anna Parr.
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(red.)