Die Resistenz von Bakterien gegen Antibiotika wird zu einem Problem für die Menschheit. Die Pharmaindustrie entwickelt neue Wirkstoffe nur zögerlich: Das Geschäft mit Antibiotika rechnet sich nicht.
Wir sind gerade dabei, die Errungenschaften der modernen Medizin wieder zu verlieren und in die Zeit vor der Entdeckung von Penicillin zurückzufallen.“ Mathias Pletz, Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Infektionstherapie (PEG) und Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene an der Uniklinik Jena, sagt, was viele Mediziner denken. „Das ist der Worst Case – er tritt ein, wenn nicht die richtigen Maßnahmen getroffen werden“, meint auch Birgit Willinger, Leiterin der Abteilung für Klinische Mikrobiologie des Klinischen Instituts für Labormedizin am AKH Wien.
Was die Mediziner umtreibt: die zunehmende Resistenz, die bakterielle Keime gegen Antibiotika-Präparate entwickeln. „Wenn sich Resistenzen entwickeln und Bakterien auf Antibiotika nicht mehr ansprechen, hat der Körper ein wirkliches Problem“, sagt Stephanie Jedner, Standortleiterin des Schweizer Pharmaunternehmens Sandoz in Kundl, Tirol. „Eine simple Schnittverletzung kann dann unter Umständen schon zum Tod führen.“ Vor der Erfindung des Penicillins war das auch so.
Laut einer im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlichten Schätzung starben allein im Jahr 2019 weltweit mehr als 1,2 Millionen Menschen an einer Infektion mit einem antibiotikaresistenten Erreger – allein in der EU sind es jährlich geschätzte 35.000 Tote. Und die Tendenz ist stark steigend. Bis zum Jahr 2050 rechnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit mit einem Anstieg auf das Achtfache: zehn Millionen Tote pro Jahr. „Das entspricht den Todesfällen durch Krebserkrankungen“, ordnet Birgit Willinger diese Zahl ein.

Schleppende Pillenproduktion.
Die Entwicklung neuer Antibiotika-Wirkstoffe gilt als unrentabel. Das Gefahrpotenzial der nosokomialen Keime ist aber stark steigend.
Resistenzen als normaler Anpassungseffekt
Dass bakterielle Keime gegen Antibiotika Resistenzen entwickeln, ist ein natürlicher Prozess der Evolution: Jede Exposition von Antibiotika kann zu Resistenzen führen. Antibiotika sollen die Bakterien abtöten, aber je öfter diese mit einem Wirkstoff in Kontakt kommen, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie immun dagegen werden. Das bedeutet: Die Entwicklung der Antibiotika-Resistenzen lässt sich nicht aufhalten. Man kann nur versuchen, sie mit den richtigen Maßnahmen zu verlangsamen und gleichzeitig die Entwicklung von neuen Wirkstoffen zu forcieren.
An beiden Fronten läuft dieser Kampf allerdings eher schlecht. Ein wesentliches Problem besteht im zu lockeren Umgang mit den lebensrettenden Medikamenten: „Antibiotika sollten so restriktiv wie möglich eingesetzt werden – nur dann, wenn es wirklich notwendig ist“, meint die AKH-Abteilungsleiterin Willinger. Heimische Gesundheitspolitiker verweisen gerne darauf, dass man in Österreich vergleichsweise sparsam mit Antibiotika umgehe. Eine Studie des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) in 24 europäischen Staaten zeigt aber, dass das nur bedingt stimmt: Demnach wurden in den österreichischen Spitälern im Jahr 2021 zwar pro 100 Bettentagen die wenigsten Antibiotika-Dosen verabreicht. Gemessen am Einsatz pro Einwohner lag Österreich allerdings auf Platz sechs und damit im erweiterten Spitzenfeld.
In vielen Spitälern hat man das Problem erkannt. Im AKH Wien wurde beispielsweise ein sogenanntes Antimicrobial Stewardship-Programm (ASP) eingerichtet: Ein interdisziplinäres Team von Fachärzten, Infektiologen, Mikrobiologen, Krankenhaushygienikern und Apothekern koordiniert und überwacht die Maßnahmen zur Eindämmung der Antibiotika-Resistenzen. Dazu zählt auch die Beratung der Kolleginnen und Kollegen zum richtigen Einsatz der Präparate: „Nicht zu viel, nicht zu wenig, nicht zu kurz und nicht zu lang“, bringt es AKH-Mikrobiologin Willinger auf den Punkt.

Keine Hustenzuckerl.
Birgit Willinger, Abteilungsleiterin für Klinische Mikrobiologie am AKH Wien, kritisiert die unreflektierte Einnahme von Antibiotika: „Nicht zu viel, nicht zu wenig, nicht zu kurz und nicht zu lang.“
Keine Bonbons
Auch die Patientinnen und Patienten selbst tragen eine gehörige Teilschuld an der Misere: „Viele Menschen verwenden Antibiotika immer noch wie ein Hustenzuckerl“, meint Willinger. Fachleute weisen auf eine wichtige Maßnahme zur Eindämmung der Antibiotika-Resistenzen hin, die während der Corona-Pandemie von großen Teilen der Bevölkerung ohne allzu großes Murren angenommen worden ist: die konsequente Händehygiene. Mit ihr lässt sich weitgehend verhindern, dass es überhaupt zu einer Infektion kommt. „Das haben viele leider wieder vergessen“, so Willinger, die auf einen weiteren Aspekt hinweist, dem im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen eine Schlüsselrolle zukommt: In der Massentierhaltung werden massiv Antibiotika-Präparate eingesetzt – ohne Antibiotika wäre die Massentierhaltung aus Sicht von Experten gar nicht möglich. Über die Fäkalien der Tiere und die Abwässer gelangen diese Antibiotika in großen Mengen in die Umwelt und über das Fleisch direkt in Kontakt mit den Menschen. Die Folgen: ein höchst fruchtbarer Nährboden für die Bildung von Resistenzen.
Um zu verhindern, dass auch nur kleinste Mengen Antibiotika in die Umwelt gelangen, setzt Sandoz am Standort Kundl umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen um. Das Werk hat 2023 die AMR-Zertifizierung durch das British Standards Institute erhalten. Sie gilt als der Goldstandard bei der Medikamentenerzeugung. Jedner: „Wir sind der einzige Antibiotika-Hersteller weltweit, der dieses Zertifikat bislang erhalten hat. Würden alle Hersteller auf unserem Sicherheitsniveau produzieren, wäre dies ein großer Schritt, um die Resistenzen einzudämmen.“
Was es zusätzlich braucht: die Entwicklung neuer Wirkstoffe. Und dies ist, zurückhaltend formuliert, eine Herausforderung. Seit den 1980er-Jahren sind kaum noch neue Wirkstoffgruppen auf den Markt gebracht worden. Und bei den wenigen neuen Präparaten handelt es sich laut Martin Wagner, Leiter des Departments für Nutztiere und öffentliches Gesundheitswesen in der Veterinärmedizin an der Vetmed in Wien, „häufig nur um Modifikationen“. Insgesamt sind rund 25 Wirkstoffklassen für die Therapie zugelassen.
Zu geringe Profite
Der Hintergrund für die Zurückhaltung der Pharmaindustrie liegt in der Natur der Renditerechnung. Krankenkassen aller solidarischen Gesundheitssysteme drängen auf niedrige Preise. Laut Sandoz-Managerin Jedner erlösen die Hersteller pro Packung Antibiotika im Durchschnitt schlanke drei Euro. Niedrige Preise plus hohe Forschungs- und Entwicklungskosten ergeben eine schwierige Mischung. „Die Kosten für die Entwicklung neuer Antibiotika-Wirkstoffe sind enorm. Mit den aktuellen Rahmenbedingungen rechnet es sich praktisch nicht“, so Jedner.
Die Stimmen der Kritiker, die darauf hinweisen, dass das Geschäftsmodell von Pharmaunternehmen auf der Verbesserung und Rettung von Menschenleben basiere, gelten weithin als naiv. Viele Mediziner fordern daher – wie auch die Pharmaunternehmen –, dass der Staat eingreifen müsse. Sie verlangen nach neuen Vergütungsmechanismen, damit es sich für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Hersteller lohnt, neue Wirkstoffe zu entwickeln. In anderen Worten: Ohne Subvention durch die öffentliche Hand wird es nicht gehen. Das sieht auch Vetmed-Mediziner Wagner so. Er war am Projekt BIMM beteiligt, in dessen Rahmen die BOKU Wien und die Vetmed am Universitäts- und Forschungszentrum Tulln nach bioaktiven Substanzen in Pilzen geforscht haben. Die Forscherinnen und Forscher haben 30 Moleküle identifiziert – eine Reihe von ihnen könnte als Basis für Antibiotika-Präparate dienen. Die Finanzierung für das Projekt ist allerdings ausgelaufen. Nun benötigt man weitere Gelder, um in die klinischen Studien zu gehen. Wagner: „Es braucht einen Schulterschluss zwischen Industrie und öffentlicher Hand – sonst kommen wir nicht weiter.“
Quellen und Links:
Antibiotika & Resistenzen:
www.ages.at/mensch/arzneimittel-medizinprodukte/antibiotika-resistenzen
Antibiotika-Resistenzen – eine unterschätzte Gefahr?
www.apothekerkammer.at/aktuelles/aktuelle-themen/antibiotika-resistenzen
Alles zu Antibiotika-Resistenzen im Gesundheitssystem:
www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Antimikrobielle-Resistenzen