Bioinformatiker Günter Klambauer: „Während KI Fusionsreaktoren steuern kann, sind Patientenströme im Krankenhaus dem Zufall überlassen. Der klinische Einsatz moderner KI erfolgt langsam – oder gar nicht.“
Künstliche Intelligenz (KI) hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht – vor allem dank Entwicklungen bei künstlichen neuronalen Netzen. Zwei Nobelpreise im vergangenen Jahr würdigten Pionierarbeiten auf diesem Gebiet. KI-Systeme sind universell einsetzbar und werden fast alle Innovationen der kommenden Jahrzehnte prägen. Bereits heute können große Sprachmodelle wie ChatGPT Texte generieren, Mathematikaufgaben lösen oder programmieren. Andere KI-Anwendungen steuern Fusionsreaktoren oder sagen die 3D-Struktur von Proteinen voraus.

Autor:
Der Bioinformatiker Dr. Günter Klambauer (geb. 1982) ist KI-Forscher und Professor am Institut für Machine Learning der JKU Linz. Klambauer ist Träger mehrerer wissenschaftlicher Auszeichnungen.
Das Gesundheitssystem unter Druck
Während KI enorme Chancen für die Medizin bietet, steht das Gesundheitssystem selbst massiv unter Druck: Der Fachkräftemangel ist akut – bis 2030 fehlen laut EU-Kommission rund 4 Millionen Arbeitskräfte im europäischen Gesundheitswesen. Ärzt:innen und Pflegekräfte sind überlastet, der bürokratische Aufwand ist enorm, Prozesse sind ineffizient. Die Versorgung bleibt für Patient:innen oft fragmentiert: Sie müssen ihre Gesundheitsdaten selbst koordinieren und organisieren. Studien der WHO und EU zeigen, dass diese strukturellen Defizite langfristig bestehen werden.
Zahlreiche Studien belegen, dass KI-Systeme zur Lösung dieser Probleme beitragen können. Sie entlasten das Personal durch Automatisierung repetitiver Tätigkeiten, reduzieren Dokumentationsaufwand und schaffen so mehr Zeit für direkte Patientenversorgung. Intelligente Assistenten können relevante Vorinformationen bündeln, die Versorgung koordinieren und Patient:innen effizient an die passende Stelle weiterleiten. Bildanalyseverfahren unterstützen Ärzt:innen bei der Diagnose – schneller, strukturierter, konsistenter. Während KI Fusionsreaktoren steuern kann, sind Patientenströme im Krankenhaus oft dem Zufall überlassen. Der klinische Einsatz moderner KI erfolgt langsam – oder gar nicht. Gründe dafür sind fehlende oder unstrukturierte Daten, zu kleine Pilotprojekte, mangelnde Rechenleistung, fehlende KI-Expert:innen oder regulatorische Hürden (DSGVO, Medizinproduktegesetz, EU AI Act).
Was es jetzt braucht
Um die Probleme im Gesundheitssystem zu lösen, braucht es mehr als nur KI, aber sie kann ein wichtiger Bestandteil der Lösung sein. Dabei ist es scheinbar einfach, die Aufnahme von KI zu ermöglichen, denn es benötigt nur drei Dinge: Daten und Rechenkapazität, interdisziplinäre Teams und Referenzprojekte. Moderne KI-Methoden werden auf Daten entwickelt – „trainiert“, wie die Expert:innen sagen – und Daten gibt es im Gesundheitssystem sehr viele. Es gibt viele Möglichkeiten, diese Daten sowohl für KI-Methoden verwendbar zu machen und trotzdem alle Datenschutzrichtlinien einzuhalten. Zudem benötigt es ein großes Rechenzentrum, in dem KI-Systeme basierend auf der europäischen LSTM-Technologie (statt der vorherrschenden ChatGPT/Transformer-Technologie) trainiert und eingesetzt werden. Es ist klar, dass es interdisziplinäre Teams mit hohem Anteil von KI-Expert:innen benötigt, um solche Methoden zu entwickeln und praktisch einsetzbar zu machen. Teil des Teams müssen neben Mediziner:innen auch Rechts- und Ethik-Expert:innen sein. Transparenz und Schulungen ermöglichen, Barrieren und Hindernisse beim Einsatz abzubauen. Ein großes Referenzprojekt, das zeigt, was KI bringen kann, wie man sie korrekt und sicher einsetzen kann und was sie verändern kann, müsste reichen, um die breite Aufnahme zu fördern. Folgeprojekte können von Erfahrungen, z. B. bei der Zertifizierung des KI-Systems, profitieren und somit effizienter umgesetzt werden.
KI ist kein Ersatz für Ärzt:innen oder Pfleger:innen – sie ist ein Werkzeug zur Unterstützung. Richtig eingesetzt, kann sie helfen, zentrale Probleme des Systems zu entschärfen. Doch dafür muss sich das System bewegen. Denn: Die Technologie ist bereit – aber ist es auch das Gesundheitssystem?