Weltgesundheits­organisation: Who is WHO?

Lesedauer beträgt 7 Minuten
Autor: Josef Ruhaltinger

Für Kritiker ist die Weltgesundheitsorganisation WHO der Inbegriff einer latenten Souveränitätsbedrohung. Für ihre Befürworter ist sie das Flaggschiff des solidarischen Gesundheitsgedankens. Sicher ist: Die WHO ist pleite.

Die Chefposition einer UNO-Organisation kann stressig sein. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der World Health Organisation WHO, saß ahnungslos in einem üppig gepolsterten Ledersessel in der Abflug-Lounge des Flughafens im westjemenitischen Sana’a, als ihn Sicherheitsmänner in T-Shirt und Jeans unvermittelt aus dem schweren Fauteuil zerrten. In den tonlosen Videobildern der Überwachungskameras macht sich plötzlich Panik breit, ohne dass dafür Gründe zu erkennen sind. Die Begleiter des WHO-Generals laufen wirr durcheinander, bis zwei Securitys Tedros flankieren und ihn aus der Lounge schleppen. Der Generaldirektor wirkt sichtlich „not amused“.

Auf den Bildern der Lounge-Kameras sind keine Schäden zu sehen. Das ändert sich mit dem nächsten Bildschnitt abrupt: Die Abflughalle, durch die der WHO-Generaldirektor anschließend eskortiert wird, liegt im nebeligen Halbdunkel. Staub und Rauch wabbern durch den Terminal, Menschen stolpern. Es war der 26. Dezember gegen fünf Uhr nachmittags in dem von Huthis kontrollierten Sana’a, als israelische Kampfjets den Flughafen angriffen. Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) erklärten später, der Flughafen sei von den Huthi-Rebellen genutzt worden, um „iranische Waffen in die Region zu schmuggeln“, die sie für Angriffe auf Israel und zur Begrüßung „hochrangiger iranischer Beamter“ nutzten. WHO-Generaldirektor Dr. Tedros postete drei Stunden nach dem ersten Einschlag: „Der Tower, die Abflughalle – nur wenige Meter von unserem Standort entfernt – und die Start- und Landebahn wurden beschädigt. Wir müssen warten, bis die Schäden am Flughafen behoben sind, bevor wir abfliegen können.“ Wenig später beschrieb er gegenüber Reuters, wie Menschen nach etwa vier Explosionen „in völliger Unordnung“ durch das Gelände rannten. Einer der Einschläge ereignete sich „alarmierend“ nahe seinem Sitzplatz in der Nähe der Abflughalle. „Ich war mir nicht sicher, ob ich überleben würde“, so der WHO-Generaldirektor später. Der Generaldirektor der WHO war über Weihnachten mit einem Team der Vereinten Nationen in Sana’a gelandet, um mit den Huthis über die Freilassung von mehr als einem Dutzend UN-Mitarbeitern zu verhandeln, die von den Rebellentruppen als Geiseln gehalten werden. Bei dem Angriff auf den Flughafen wurde ein Mitglied der WHO-Reisegruppe verletzt. Dr. Tedros selbst kam laut einem Post auf X mit einem Tinnitus davon.

Politiker und Immunologe – in der Reihenfolge

Tedros Adhanom Ghebreyesus (60) wurde im eritreischen Asmara geboren, als es noch Teil Äthiopiens war. Die Wirren des Unabhängigkeitskrieges zwangen seine Mutter, ihre Kinder mit Matratzen vor Querschlägern zu schützen. In der Zeit starb sein dreijähriger Bruder an Masern, weil es keine Gesundheitsversorgung gab.

Tedros studierte in den 80er-Jahren Biologie an der Universität Asmara und erhielt ein WHO-Stipendium für einen Master-Abschluss an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. 1991 trat er der kommunistischen Volksbefreiungsfront von Tigray bei, die gemeinsam mit anderen äthiopischen Befreiungsorganisationen (u. a. der eritreischen Volksbefreiungsfront) im selben Jahr den Diktator Mengistu Haile Mariam stürzte. 2005 bis 2012 war Tedros Ghebreyesus äthiopischer Gesundheitsminister und von 2012 bis 2016 Außenminister.

In seiner Zeit als Gesundheitsminister etablierte er eine universelle Krankenversicherung und verbesserte den Zugang zur Gesundheitsversorgung. Kritiker werfen ihm vor, mehrere Cholera-Ausbrüche zwischen 2006 und 2011 heruntergespielt und dadurch nötige Gegenmaßnahmen verschleppt zu haben. 2017 wurde Dr. Tedros zum Generaldirektor der WHO gewählt.

Was ist schon historisch?

Tedros Adhanom Ghebreyesus ist der erste Afrikaner, der in das Amt des WHO-Generaldirektors gewählt wurde. 2017 erstmals berufen, steht der ausgebildete Immunologe und frühere Gesundheits- und Außenminister Äthiopiens in seiner zweiten Amtsperiode. Um die stete Verwirrung um seinen Namen zu beseitigen: In Äthiopien wird traditionell kein Familienname im westlichen Sinn verwendet. Stattdessen setzt sich der volle Name aus dem eigenen Vornamen, dem Vornamen des Vaters und dem Vornamen des Großvaters zusammen. Dr. Tedros, wie der „Director General“ im Hauptquartier in Genf genannt wird, ist im Zuge der Pandemie zu einer Person der Weltöffentlichkeit geworden. Und ihm gefällt diese Rolle.

Am 20. Mai feierte er einen seiner größten Erfolge: Die 78. Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly) nahm das in drei Jahren intensiv verhandelte Pandemieabkommen ohne Gegenstimme an. Die Verabschiedung folgte auf die Abstimmung der Delegationen am Vortag. Dort stimmten 124 Mitgliedstaaten dafür, 11 enthielten sich und kein Land stimmte dagegen. Es verzichteten auf ihr Stimmrecht die Regierungen von Polen, Italien, Israel, Russland, Iran, der Slowakei und jene der Niederlande. Die Vereinigten Staaten nahmen an der Abstimmung erst gar nicht teil. Die österreichische Delegation unterstützte unter den Augen der angereisten Gesundheitsministerin Korinna Schumann den Antrag. Die Welt sei mit dem Pandemievertrag „sicherer geworden“, ließ sich Dr. Tedros zitieren, nachdem er Wochen zuvor, nach Ende der Verhandlungen, bereits jubiliert hatte, „es sei in Genf Geschichte geschrieben worden.“ Das ist sehr früh gefreut: Der Pandemievertrag muss erst von mindestens 60 teilnehmenden Staaten ratifiziert werden, damit er überhaupt in Kraft tritt. Bis dahin dürfte es noch Jahre dauern.

Das Pandemieabkommen ist der erste internationale Vertrag, der regelt, wie im Fall einer weltweiten Gesundheitskrise infolge einer Infektionserkrankung auf internationaler Ebene gehandelt werden soll. Kernstück des Vertrags ist das sogenannte Pathogen Access and Benefit-Sharing System (PABS). Es soll sicherstellen, dass genetische Informationen über neue Krankheitserreger rasch und global zugänglich gemacht werden – und dass der daraus entstehende Nutzen gerecht verteilt wird. Während der COVID-19-Pandemie teilten viele Länder ihre Labordaten, um in der anschließenden Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten massiv benachteiligt zu werden. Durch das PABS-Konzept sollen Staaten und Forschungseinrichtungen neu entdeckte Pathogene und deren genetische Sequenzen über ein internationales Meldesystem bei der WHO einbringen. Pharmaunternehmen und Forschungsteams, die diese Daten nützen, verpflichten sich im Gegenzug dazu, einen Teil der entwickelten Produkte wieder in das System zurückzugeben. Konkret sieht das Abkommen vor, dass zehn Prozent der produzierten Impfstoffe der WHO kostenlos zur Verfügung gestellt werden, weitere zehn Prozent sollen zu deutlich reduzierten Preisen abgegeben werden. Es ist dann an der WHO, diese Kontingente in ärmere Länder weiterzuverteilen – unabhängig von deren finanziellen Möglichkeiten oder politischer Einflussnahme.

Neben den PABS-Regeln sollen Staaten außerdem möglichst gerechten Zugriff auf Medikamente und Schutzmaterial erhalten. Dabei wird das Gesundheitspersonal weltweit vorrangig versorgt werden. Und die Länder verpflichten sich, ihre Gesundheitssysteme und auch die Überwachung von Krankheitserregern so zu stärken, dass akute Ausbrüche möglichst schnell entdeckt werden – ein Passus, der Österreich fordern wird: Das heimische Pandemiegesetz stammt unverändert aus dem Jahr 2013. Eine Neuregelung ist derzeit nicht in Sicht.

Einer der Hauptstreitpunkte bei den langwierigen Verhandlungen war der One-Health-Ansatz: Nur wenn Tiergesundheit, menschliche Gesundheit und Umweltschutz als Gesamtheit angesehen werden, können Gesundheitsrisiken frühzeitig erkannt und gezielt bekämpft werden. Viele Staaten – vor allem aus dem globalen Süden, aber auch einige Industrieländer – befürchteten, dass mit dem One-Health-Ansatz die WHO weit über ihr klassisches Mandat im Bereich der menschlichen Gesundheit hinaus interveniert. Besonders agrarwirtschaftlich geprägte Länder wie etwa Brasilien, Argentinien, Indien oder auch China zeigten Widerstand. Sie lehnten internationale Vorgaben aus dem Pandemievertrag zu Tierhaltung, Antibiotikaeinsatz oder Landnutzung kompromisslos ab – und haben angekündigt, dies in den anstehenden Detailverhandlungen zum PABS-Entwurf weiterhin zu tun.

Himmelwärts.
Die jüngste Versammlung der WHO-Mitglieder brachten den Pandemievertrag – und eine 20-prozentige Erhöhung der Beiträge.

Von eHealth-Soldaten und Ärzte-Bataillonen

In den sozialen Netzwerken gärt es. Skeptiker sehen ihre Freiheiten im Zuge von WHO-verordneten Lockdowns und Begegnungsverboten gefährdet, heimische Polizisten als Büttel der Internationalisten durch Garagen streifen. „Das ist einfach absurd“, ärgert sich der Grazer Gerald Rockenschaub. Er ist Allgemeinmediziner und Facharzt der Chirurgie. Rockenschaub arbeitete 20 Jahre für die WHO, zuletzt als Leiter des Büros in den besetzten palästinensischen Gebieten (Westjordanland und Gazastreifen) und als Repräsentant der WHO in Albanien. Die Verschwörungstheorien rund um die Weltregierungsfantasien der WHO seien ohne Substanz: „Artikel 22 des Vertrages sagt eindeutig, dass die Kompetenzen für Lockdowns und Schutzmaßnahmen ausschließlich bei nationalen Parlamenten und Regierungen liegen.“ Die WHO gebe nur Empfehlungen. Außerdem, so Rockenschaub weiter, „hat sie rund 8.000 Mitarbeiter – das ist weniger als ein Drittel des Wiener Krankenanstaltenverbundes“ – für eine Weltregierung zu wenig. Und ein Jahresbudget von ca. 7 Mrd. Euro reiche gerade aus, „um ein mittelgroßes Krankenhaus über das Jahr zu bringen.“ Es sei für ihn ein Beispiel „grassierender Infodemie“, in Zusammenhang mit der WHO „von Machtfantasien und Übernahmeszenarien zu reden.“

Es war Teil der vielen Kompromisse klarzustellen, dass weder die WHO noch ihr Generaldirektor ermächtigt sind, innerstaatliche Maßnahmen anzuordnen, Reisebeschränkungen zu verhängen, Impfungen zu erzwingen oder Lockdowns auszusprechen. Zudem gilt der Vertrag nur in Ländern, die ihn ratifizieren. Strafmaßnahmen gibt es nicht, auch wenn ein Land seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Der Einmarsch internationaler Gesundheits-Bataillone bleibt ein Hirngespinst.

Die Ängste vor einer WHO-Weltregierung wurzeln in einer Bestimmung, die in einer groß angelegten Revision der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) im Jahr 2005 eingeführt wurde und nichts mit dem Pandemieabkommen zu tun hat. Der Passus gibt der WHO in Person des Generaldirektors die Befugnis, aus eigenem Ermessen den internationalen Gesundheitsnotstand zu erklären. Das beigeordnete Emergency Committee, bestehend aus internationalen Fachleuten, kann dabei Empfehlungen aussprechen – denen der Director General folgt – oder auch nicht.

Die „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“, englisch „Public Health Emergency of International Concern (PHEIC)“, wurde seit Einführung der Bestimmung sieben Mal ausgerufen: Gründe waren H1N1, Polio, Ebola und Zika-Virus. Anfang 2020 sorgte COVID-19 für den ultimativen Alarm. So richtig in die Nesseln setzte sich Dr. Tedros allerdings mit den Affenpocken oder Mpox. Im Juli 2022 stufte er Ausbrüche in Großbritannien, später in Europa und Nordamerika als internationalen Gesundheitsnotstand ein – entgegen der Mehrheit seines eigenen Expertengremiums. Er setzte sich über deren Empfehlung hinweg, um im Mai 2023 die Notlage wieder aufzuheben. Doch im August 2024 rief Dr. Tedros sie erneut aus: wegen einer neuen Mpox-Virusvariante.

Die Möglichkeit, einen internationalen Gesundheitsnotstand auszurufen, ist jener Aspekt der WHO-Arbeit, der ihr in sozialen Medien und bei manchen Parteien scharfe Kritik einbringt. So klagt FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak, im Brotberuf Apotheker, in einem Mittagsjournal-Interview, dass „die WHO jederzeit einen unbefristeten Notfall ausrufen kann. Dabei würden Einschränkungen der persönlichen Reisefreiheit, Einschränkungen der freien Meinungsäußerung, Einschränkungen des privaten Eigentums greifen. Und das alles ohne Entschädigung und ohne Befristung.“ Abgesehen von der Unkenntnis der Artikel 22-Bestimmung: Es ist stets die Souveränität des Staates, die Kritikern von multilateralen Vereinbarungen Sorgen bereitet – bis hin zum Geschwurbel in den sozialen Medien, das vor Gesundheitsdiktatoren und Freiheitsräubern warnt.

Nüchtern betrachtet bleibt der Gesundheitsnotstand PHEIC aber das stärkste Signalinstrument der WHO – zwar ohne Zwangsgewalt, aber mit globaler Reichweite. Die Ausrufung durch den Generaldirektor löst weitreichende Konsequenzen aus: Länder werden angehalten, Reise- und Handelsdaten zu melden, Kontrollsysteme zu aktivieren und Ressourcen für Impfungen, Diagnostik oder Notfallversorgung bereitzustellen. Internationale Organisationen wie UNICEF oder der Globale Fonds starten auf Veranlassung der WHO oft eigene Programme. Die Vorgaben haben aber ausschließlich Empfehlungscharakter. Die WHO kennt keine Sanktionen – bis auf den Entzug des Stimmrechtes. Auch Zulassungsverfahren für Impfstoffe und Medikamente können im Status des Gesundheitsnotstands beschleunigt werden – allerdings nur über Empfehlungen an die entsprechenden Normeninstanzen: Nach Ausrufung des Notstands 2020 empfahl die Europäische Arzneimittelagentur EMA der EU-Kommission, beschleunigte Prüfverfahren zu erlauben. Diese Möglichkeit wurde von BioNTech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca genutzt – ein Vorgang, der Maßnahmenskeptikern und WHO-Gegnern bis heute Anlass liefert, Impfstoffen auf mRNA-Basis mit großer Ablehnung gegenüberzutreten.

Wie limitiert der Einfluss der WHO ist, musste Dr. Tedros am eigenen Leib erfahren: Die Organisation sah sich bereits in der frühen Phase des Ausbruchs dem Vorwurf ausgesetzt, auf die ersten Berichte über das Coronavirus in China zu zögerlich reagiert zu haben. Kritiker bemängelten, dass die WHO Peking nicht stärker unter Druck setzte, als chinesische Stellen internationalen Forschungsteams den Zugang zur Untersuchung des neuartigen Virus verweigerten – entgegen zuvor getroffener Absprachen. Auch der Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Übertragbarkeit des Virus stieß in der WHO lange auf Unverständnis: Obwohl Hinweise auf eine Ansteckung über Aerosole rasch zunahmen, blieben die Notfallkomitees lange bei ihrer ursprünglichen Linie und legten den Fokus auf Maßnahmen wie Händehygiene. Experten bewerten diese Haltung als entscheidende Verzögerung im Kampf gegen die Ausbreitung.

Voll dabei.
Österreichs neue Gesundheitsministerin Korinna Schumann holt sich in Genf ein Zertifikat vom WHO-Chef.

Ein guter Tag

Heute beteuert Tedros Adhanom Ghebreyesus, er und seine Mitstreiter hätten alles in ihrer Macht Stehende getan, um China zur Kooperation zu drängen. Die WHO-Immunologen wollten in Wuhan Informationen über das neuartige Virus sammeln. Chinas starker Mann Xi Jinping sagte erst zu, um sich danach wieder querzulegen. Der WHO-Generaldirektor macht aus seiner Machtlosigkeit kein Hehl: „Wir konnten nicht mehr tun, als wir getan haben, denn die Zusammenarbeit liegt in der Verantwortung der Regierungen.“ Der betuliche Umgang der WHO mit China blieb nicht ohne Folgen: Donald Trump war bereits am Ende seiner ersten Präsidentschaft auf die UN-Organisation aus Genf nicht gut zu sprechen. Unstrittig ist, dass der WHO-Generaldirektor in seiner Zeit als äthiopischer Außenminister von 2012 bis 2016 enge Kontakte zur politischen Führung der Volksrepublik China geknüpft hatte und Addis Abeba bis heute ein enger strategischer Partner Pekings ist – eine Tatsache, die sich in der Freund-Feind-Wahrnehmung des aktuellen US-Präsidenten tief eingebrannt hat.

Die fehlenden Sanktionsmöglichkeiten des 30-seitigen Pandemievertrags machen ihn noch lange nicht zum Papiertiger. Die Vereinbarung liefert Standards. Sie gibt Verhaltensweisen vor. An die kann man sich halten – oder auch nicht. Aber die Entscheider werden begründen müssen, warum sie sich über Empfehlungen und Vorgaben im Sinne einer grenzübergreifenden Seuchenbekämpfung hinwegsetzen. Für WHO-Veteran Gerald Rockenschaub war der 20. Mai „ein guter Tag für die internationale Gesundheitsdiplomatie. Der Vertrag ist ein Kompromiss mit Schwächen. Aber er ist eine gute Basis, die weiterentwickelt werden muss.“

Leere Taschen

Der Tag, an dem das Pandemieabkommen beschlossen wurde, brachte Dr. Tedros ein zusätzliches Highlight: Die WHO-Mitgliedstaaten haben einer Erhöhung der Pflichtbeiträge um 20 % zugestimmt und gleichzeitig den Haushalt in Höhe von 4,2 Milliarden US-Dollar für den Zeitraum 2026–27 gebilligt. Ursprünglich war das Budget mit 5,2 Milliarden für diesen Zeitraum veranschlagt. Die neue US-Außenpolitik machte eine Anpassung notwendig. Eigentlich müssten die USA für 2025 noch rund 130 Millionen Dollar (etwa 116 Mio. Euro) zahlen. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass das Geld kommt. Inklusive Zuschüsse und Projektgelder verweist die WHO auf ein Gesamtbudget von 6,83 Mrd. Dollar für zwei Jahre – deutlich weniger, als noch im Herbst kalkuliert.

Für das laufende Jahr drohe eine Finanzierungslücke von fast 600 Millionen Dollar, gut 554 Millionen Euro, schreibt der WHO-Generaldirektor in einem internen E-Mail, das der Nachrichtenagentur AFP im März zugespielt wurde. Die WHO habe daher „keine andere Wahl“, als Kürzungen vorzunehmen. Glaubt man dem Sparplan von Dr. Tedros, dann wird die Zahl der Beschäftigten in der WHO von insgesamt 9.500 Mitarbeitern im Dezember 2024 auf 7.500 sinken.

Vor 50 Jahren entfielen 80 % des Budgets auf Mitgliedsbeiträge und 20 % auf Spenden. Mittlerweile hat sich das Verhältnis mehr als umgedreht: 17 Prozent des Haushaltes kommen aus den Beiträgen der Mitgliedstaaten und 83 Prozent kommen von Spendern – mit Zweckbindungen unterschiedlicher Intensität. Den Geldgeschenken gemeinsam ist die Problematik, dass sie Interessen dienen. Wenn die Gates Foundation, der aktuell größte private Geldgeber der WHO, eine Zweckwidmung für Impfprogramme gegen Polio einführt und gleichzeitig an Aktien von serumproduzierenden Pharmafirmen beteiligt ist, dann fangen die Befindlichkeiten an, kompliziert zu werden. Noch verworrener sind die Interessenlagen bei der Impfallianz GAVI, bei der sich internationale Organisationen wie die EU, UNICEF und die Weltbank, noch einmal die Bill & Melinda Gates Foundation sowie Impfstoffhersteller unter einem Dach versammeln. Die GAVI ist der zweitgrößte nichtstaatliche Sponsor der WHO. Da spenden Pharmafirmen Geld, um die eigenen Produkte zu verkaufen. Und es gibt noch ein Problem: Unternehmen und Stiftungen können ihren Geldfluss jederzeit einstellen – anders als die Mitgliederländer.