Langzeit-CEO Ernst Wastler hat die VAMED groß gemacht. Dann fuhr er den Konzern mit patriarchalischem Gehabe gegen die Wand. Für seinen Abgang zahlt ihm Fresenius mehr als zehn Millionen Euro.
Ernst Wastler pflegte einen speziellen Führungsstil. Vorstandssitzungen unter der Leitung des Langzeit-CEOs der VAMED dauerten drei Stunden und länger – und selten waren weniger als 20 Abteilungs- und Projektleiter im Raum. Neulinge im Management erkannte man daran, dass sie sich pünktlich zum ausgeschriebenen Zeitpunkt in der Chefetage einfanden – und feststellten mussten, dass das Sitzungszimmer leer war. Treffen mit Mitarbeitern fanden nach Gutdünken des Chefs statt – egal ob in der Gruppe oder im Einzelgespräch. Zwei und drei Stunden Wartezeit waren keine Seltenheit. War ein tatsächlicher Beginn einer Sitzung absehbar, starteten die Assistentinnen einen Rundruf. Konnte eine Besprechung endlich beginnen, zeigte sich Wastler akribisch vorbereitet. Er kannte jedes Protokoll und jede Manager-Aussage, bei dem ein Projekt besprochen wurde. Es kam oft vor, dass ein Projektleiter auf Strich und Komma erinnert wurde, was er ein Jahr zuvor gesagt hatte. 25 Jahre lang war der Linzer Wastler Teil der Geschäftsführung des „weltweit führenden Gesundheitsdienstleisters“, so die Eigendefinition des Wiener Konzerns. 22 Jahre lang bestimmte der promovierte Handelswissenschaftler die Geschicke des Konzerns als Vorstandsvorsitzender. Ernst Wastler war Mr. VAMED.
Teile und herrsche. Ernst Wastler hat über 22 Jahre die Geschicke der VAMED als CEO geführt. Wegbegleiter meinen, er habe irgendwann aufgehört, auf andere Menschen zu hören.
Wachsen um jeden Preis
Die Zerschlagung der VAMED ist in den vergangenen sechs Monaten in der Öffentlichkeit breit und lang beschrieben worden. Der 77 Prozent-Mehrheitseigentümer, der deutsche Gesundheitskonzern Fresenius, hatte unter neuer Führung beschlossen, sich von dem österreichischen Unternehmen zu trennen – „koste es, was es wolle“, wie ein ehemaliger VAMED-Mitarbeiter kommentierte. In 42 Jahren war aus einer spontanen Rettungsaktion für den verfahrenen AKH-Neubau ein Gesundheitsdienstleister geworden, der in 98 Ländern der Welt 2,3 Mrd. Umsatz macht und zuletzt 20.200 Mitarbeiter beschäftigte. Und der zunehmend in finanzielle und strategische Schwierigkeiten gekommen ist.
Ernst Wastler hatte der Unternehmensgruppe speziell in den letzten Jahren eine aggressive Wachstumsstrategie verordnet, die mehr am Auftragseingang als an der Profitabilität orientiert war. „Am Ende hatten wir nur mehr Stürmer am Feld und spielten ohne jede Verteidigung“, beschreibt ein Begleiter die „Alles oder nichts“-Haltung der späten Wastler-Jahre. Für jeden Bereichsleiter war essenziell, in den Vorstandssitzungen mit Zuschlagsmeldungen aufwarten zu können. Wenn sich Mitbewerber bei Projekten preislich besonders kompetitiv erwiesen, drängte Wastler, ein besseres Angebot zu legen. Dabei wurde von Best Case-Szenarien ausgegangen. Risiken wie Streiks, Bauverzögerungen, Pandemien oder Kriege hatten in den Kalkulationen keinen Platz. Aber die Welt hatte aufgehört, normal zu sein.
Wastlers Vorstellungen von Wachstum grenzten mitunter ans Schrullige. 2022, zum 40er-Jubiläum der VAMED, lautete im Vorfeld der Auftrag, den Konzern in genau 100 Ländern vertreten zu wissen. Im Juni 2022, anlässlich einer Auszeichnung für das Unternehmen, konnte der Vorstandsvorsitzende nur 98 Länder vorweisen – obwohl den Projektverantwortlichen kein Markt zu klein war: Die VAMED-Eroberungen Nummer 96, 97 und 98 waren damals Barbados, Ruanda und Dschibuti.
Im März 2022 veröffentlichte der Konzern seinen letzten hauseigenen Geschäftsbericht. Darin wurden die Akquisitionserfolge des Jahres 2021 mit einem Plus von 14 Prozent und einem Auftragseingang von rund 1,3 Mrd. Euro hell beleuchtet. Aber die Ertragsseite bröckelte bereits. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern EBIT betrug 2021 ungenügende 100 Mio. Euro (bei 2,3 Mrd. Euro Umsatz). 2022 lag es bei 20 Mio. und 2023 bei einem Minus von 16 Mio. Euro. Die VAMED wankte.
Insider legen den Kipppunkt des VAMED-Schicksals auf das Jahr 2018. Damals erwarb die VAMED das Reha- und Pflegegeschäft von Helios Deutschland. 38 Reha-Kliniken wanderten auf Wunsch des damaligen Fresenius-CEOs Stephan Sturm zu horrenden Buchwerten in die Bilanz der VAMED. Die Ertragskraft der Reha-Einrichtungen hätten derartige Beträge „nie gerechtfertigt“, erinnert sich ein Beteiligter. Mit dem Deal hätten die Liquiditätsprobleme des österreichischen Konzerns begonnen.
Aus ehemaligen VAMED-Kreisen heißt es, dass sich die internationalen Projekte – anders als öffentlich dargestellt – im Rahmen der angenommenen Risikorange entwickelten. Die Millionengräber hätten sich in Deutschland aufgetan. VAMED Deutschland wurde von Ernst Wastler an der kurzen Leine geführt. Die dortigen Geschäfte ressortierten unmittelbar zum österreichischen CEO. Hauptauftraggeber von VAMED Deutschland war das Schwesterunternehmen Helios Gesundheit, Betreiber von über 80 Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen. „Die größten Verluste kamen aus Aufträgen des Fresenius-Unternehmens Helios“, heißt es in einem Schreiben an die ÖKZ.
Jahrelang wurden die VAMED-Verluste durch das interne Liquiditätsmanagement des Fresenius Konzerns verwischt. Die VAMED hatte nahezu unregulierten Zugang zu den Cash-Reserven des Konzerns. Erst durch personelle Wechsel im Fresenius-Management trockneten die Finanzflüsse aus – und wurden zum Gegenstand weitreichender interner Untersuchungen, die bis heute andauern. Fakt war: Die interne und externe Verschuldung der Österreicher stieg von Jahr zu Jahr.
Times they are changin‘. Gerade zwei Jahre ist es her, seit WKO-Präsident Harald Mahrer Ernst Wastler eine Auszeichnung überreichte. Heute ist das einstige 24.000 Mitarbeiter-Unternehmen österreichische Wirtschaftsgeschichte.
Der Abgesang
Das Ende des VAMED-Konzerns hat alles zu tun mit den Ertragsproblemen des Mehrheitseigners Fresenius. Vor allem die Dialysetochter FMC, jahrzehntelang hochprofitabel, begann zu schwächeln. Eine Senkung der Gewinnprognose jagte die nächste, der Aktienkurs von Fresenius kam ins Trudeln. Im Oktober 2022 verdrängte Michael Sen den bisherigen Fresenius-Boss Stephan Sturm vom Homburger Chef-Sessel. Michael Sen war seit anderthalb Jahren Geschäftsführer der Fresenius-Tochter und Biosimilar-Herstellers Kabi und – wenn man dem Fresenius-Flurfunk glaubt – gut vernetzt mit seinem langgedienten Vorstandskollegen Ernst Wastler, der seit 2008 im Fresenius-Vorstand Sitz und Stimme hatte.
Die guten Drähte halfen wenig. Sen, der durch die Manager-Schmiede von Siemens gegangen war und Siemens Healthineers an die Börse gebracht hatte, hat nach seinem Amtsantritt keine Gelegenheit versäumt, seine Unzufriedenheit mit der VAMED-Performance in die Welt zu tragen. Bei der Hauptversammlung im Februar 2023 machte der Fresenius-Chef klar, dass er die VAMED nicht mehr zu den Kerngeschäften von Fresenius zähle.
Spätestens zu dem Zeitpunkt wurden in der Wiener Zentrale die letzten Schlafenden geweckt. Das Management organisierte Boards, die sich mit Restrukturierungen und Projektsanierungen auseinandersetzen sollten. Ein eigenes Sanierungskonzept wurde entwickelt. Ernst Wastler glaubte daran, selbst den Turnaround managen zu dürfen. Er lag daneben.
Dies waren auch die Tage und Wochen, an denen die ersten anonymen Anzeigen beim österreichischen Finanzamt und in der Fresenius-Zentrale aufschlugen. Inhalt waren Vorwürfe zu Geldflüssen und Einflussnahmen bei heimischen und internationalen Projekten und Kickbackzahlungen. Auch Bestechungsvorwürfe wurden geäußert. Die Vorwürfe schlugen in Wien ein wie eine Bombe. Finanzvorstand und Compliance-Verantwortlicher Andreas Wortmann, heute der letzte Spitzenmanager aus der Ära Wastler im VAMED-Vorstand, ließ jeden Verdachtsfall penibel verfolgen. Telefone wurden beschlagnahmt, Laptops eingezogen, sämtliche Werkzeuge der elektronischen Forensik eingesetzt. Betroffene erzählen von wiederkehrenden Wellen von Befragungen. Bis heute wurden keine Ergebnisse der Detektivarbeiten bekannt.
Nur die Wiener Gesundheitseinrichtungen durften sich freuen. Ein Klinikmanager erzählt von „mehreren System-Spezialisten aus der VAMED, die zu uns gewechselt sind“. Das Besondere daran: Die Gehaltsangebote in den neuen Jobs waren deutlich niedriger als das VAMED-Salär. Die Leuten wollten einfach weg.
Als im Sommer des Vorjahres Wastler und zwei weitere Vorstände ausgewechselt wurden – dem Vernehmen nach unter Beiziehung von Security und Zwang zur sofortigen Schlüsselabgabe, wurde für Insider klar, dass es nur mehr um die Abwicklung des Wiener Unternehmens ging. Lediglich die vergnügtesten unter den verbliebenen Managern glaubten noch an eine Zukunft der VAMED.
Die Verkaufsbemühungen von Fresenius setzten ab Februar diese Jahres mit hoher Intensität ein. Hauptauftrag war Geschwindigkeit. Die Filetierung des Unternehmens in drei Teile wurde frühzeitig fixiert. Der Investor Georg Stumpf zeigte Interesse, mit seiner Firma Exyte die VAMED in ihrer Gesamtheit zu übernehmen. Auch die Uniqa zeigte sich bereit, ein Angebot für die gesamte VAMED-Gruppe zu legen. Beiden Interessenten wurde eine Due Diligence verwehrt. „Die wurden regelrecht verscheucht“, bemerkte ein Beobachter. Um Geld allein kann es bei der Verwertung nicht gegangen sein. Die 90 Millionen Euro, die von Porr und Strabag für sechs Thermen, die AKH-Betriebsführung und das österreichische Baugeschäft gezahlt wurden, gelten als Mezzie.
Das VAMED-Puzzle
Der VAMED-Konzern ist Geschichte. Porr und Strabag übernahmen die technische Betriebsführung des Allgemeinen Krankenhauses Wien (AKH Wien), das österreichische Projektgeschäft sowie Anteile an sechs Thermen in Österreich (u.a. Therme Wien, Geinberg, St. Martins). Der französisch-luxemburgische Private-Equity-Fonds PAI Partners erwirbt zu 67 Prozent das Kerngeschäft der VAMED mit 18 Rehazentren im Land, von Gars am Kamp bis St. Veit im Pongau, von Onkologie bis Psychiatrie. Fresenius behält 33 Prozent. Der Krankenhausdienstleistungsbereich High-End-Services (HES) der VAMED geht an Fresenius zurück. HES erwirtschaftet rund die Hälfte seines Umsatzes durch die Unterstützung der Helios-Kliniken, die zu Fresenius gehören. HES trägt rund 30 % zum Umsatz der VAMED bei. Das internationale Projektgeschäft („Health Tech Engineering“) soll „schrittweise und geordnet zurückgeführt“ werden.
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