Dipl.-Ing.in Dr.in Michaela Fritz, Vizerektorin für Forschung und Innovation an der Medizinischen Universität Wien, im ÖKZ-Interview über den Wissenstransfer aus den USA nach Europa und ihren Wunsch an die neue Forschungsministerin Eva-Maria Holzleitner.
Frau Fritz, Forscher und Forscherinnen sind untereinander stark vernetzt. Welche Botschaften hören Sie aus den US-Campus und anderen nordamerikanischen Forschungseinrichtungen?
Michaela Fritz: Der Druck auf die freie Forschung und Lehre hat sich in den USA deutlich gesteigert. Ein Beispiel liefert das NIH (National Institutes of Health, Red), bei dem die Overheads von 40 bis 100 Prozent auf 15 Prozent gekürzt wurden. Bisher bekamen Institutionen bei einem Grant von einer Million Dollar im Durchschnitt 500.000 Dollar für die Nutzung der Infrastruktur. Jetzt sind es nur mehr 150.000. Monatelang hat das NIH überhaupt keine Grants vergeben. Dazu kommen die massiven Einschnitte auf der Columbia University, Johns Hopkins und anderen Spitzen-Institutionen. Das alles hat enorme Auswirkungen auf die Wissenschaft. Wenn die US-Unis leiden, geht uns das alle an.
Inwiefern?
Wir können uns jetzt freuen, dass wir gute Bewerbungen erhalten. Aber viele unserer Forscher kooperieren mit amerikanischen Einrichtungen – zum Teil über gemeinsame Grants, zum Teil über loses Teamwork. Wenn bei Forschungsgebieten wie mRNA-Impfstoffe, HIV oder Tuberkulose ganze Programme on hold gestellt oder überhaupt abgesagt werden, dann wird uns das alle in Medizin und Forschung treffen. Wir merken, dass etliche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an US-Instituten nach einem neuen Umfeld suchen. Gesamt gesehen ist es jedenfalls eine Katastrophe – auch für uns in Europa.

Dipl.-Ing.in Dr.in Michaela Fritz ist seit Oktober 2015 Vizerektorin für Forschung und Innovation an der Medizinischen Universität Wien. Zuvor leitete Michaela Fritz das Health & Environment Department des AIT Austrian Institute of Technology und war von 2005 bis 2010 für die Austria Wirtschaftsservice GmbH tätig, wo sie das LISA (Life Science Austria)-Programm verantwortete. Nach ihrem Studium der Materialwissenschaften (ETH Zürich) absolvierte sie von 2000 bis 2001 ein Postdoc-Studium an der University of California, Berkeley.
Viele europäische Staaten reagieren mit Willkommens-Programmen auf diese Wissensvertreibung. Was passiert in Österreich?
Es wurde bereits der Ausdruck „Reverse Manhattan Project“ geboren: Anders als in den 40ern gibt es jetzt die Gelegenheit, den Wissenstransfer aus den USA nach Europa zu leiten. Die Vorgänge an den US-Unis sind auch bei uns nicht unbeachtet geblieben. Entscheidend ist, deutlich zu machen, dass Forscher und Forscherinnen willkommen sind.
Wie will man das sichtbar machen?
Wir können die bürokratischen Hürden senken. Es braucht vereinfachte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen. Wichtig sind schnelle Lösungen, um attraktiv zu sein. (Hinweis der Redaktion: Das Interview erfolgte vor Bekanntwerden der Idee der Willkommens-Plattform.)
Gibt es dafür auch Geldmittel?
Spezielle Budgets wird es vermutlich nicht geben. Die Finanzierungsvereinbarungen 25 bis 27 sind zugeschnürt. Aber wir haben auf alle Fälle etliches zu bieten.
Was kann das sein?
Wir beobachten den Trend anhand wachsender Bewerbungen aus den USA – und das schon länger. Offensichtlich haben viele der jungen Forscherinnen und Forscher erahnt, wie sich die Dinge unter einer neuen Regierung entwickeln. Die meisten der Bewerber haben europäische Wurzeln. Wir konnten bereits junge Wissenschaftler z.B. aus Harvard gewinnen, was zeigt, dass unser Gesamtpaket kompetitiv ist: moderne Arbeitsplätze, soziale Absicherung, Schulen, Sicherheit, Gesundheitssystem. Das sind Dinge, die zählen. Der Forschungsstandort Österreich ist international wettbewerbsfähig. Wir müssen offensiv signalisieren, dass wir offen sind für Talente.
Wie wichtig ist dabei Geld?
Geld ist immer ein Aspekt. Wir haben die Hoffnung, dass Ministerium und Stadt Wien bei Stipendien, Zuschüssen oder Fellowship-Programmen etwas drauflegen, auch wenn das Geld derzeit knapp ist. Ich denke aber, dass die Honorare nicht allein entscheiden. Wie gut sind die Core Facilities ausgestattet (technische Infrastruktur, Red)? Wie leicht finde ich PhD-Studierende? Gibt es genug qualifizierte Master-Studierende? Und wie ist das Netzwerk, mit dem ich lokal kooperieren kann? Gute Leute gehen tendenziell dorthin, wo sie auf andere gute Leute treffen.
In Österreich machen es Regeln wie Stellenpläne und Ausschreibungspflichten schwer, wechselwilligen Forscherinnen und Forschern spontan ein fixes Berufsangebot zu machen. Was können Sie anbieten?
Es gibt Stellenformate, die einen Übergang erlauben. Ich wurde kürzlich von einem Forscher informiert, dass ein angesehener Kollege aus den östlichen Nachbarstaaten nach einem neuen Umfeld suche. Eine Überlegung ist, dem Wissenschaftler ein Fellowship mit einer temporären Projektfinanzierung anzubieten. Das gibt Zeit, um für die Zukunft zu planen. Es gäbe auch das Instrument der Opportunity Hirings. Das sind anlassbezogene Beschäftigungsverhältnisse ohne große Formalitäten. Wir müssen in unseren Angeboten kreativ sein.
Was wünschen Sie sich von der neuen Forschungsministerin Eva-Maria Holzleitner für die universitäre Zukunft?
Abgesehen von der Forderung nach mehr Budget geht es immer um Menschen und Wissen. Wir brauchen eine universitäre Willkommenskultur, um die besten Köpfe anzuziehen. Bei uns ist in den letzten Jahren in den Bereichen der Infrastruktur viel passiert. Es sind neue Institute mit frischen Jobs im Aufbau und neue Gebäude im Entstehen. Dieses Investment können wir nur nutzen, indem wir sichtbar machen, dass engagierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Österreich ein tolles Umfeld vorfinden.
Nur ein einziger Wunsch an die Ministerin?
Natürlich bleibt die Entbürokratisierung ein ständiges Thema. Die Auflagen im Bereich der klinischen Forschung sind überschießend. Wir tendieren in Österreich dazu, die EU-Regulatorien für Forschung ganz besonders eng auszulegen. Etwas weniger Gold-Plating würde uns gut tun – vor allem im Vergleich mit anderen EU-Staaten.
Das Regierungsprogramm will die Entfristung der Drittmittelangestellten. Bisher werden Mitarbeiter der unteren akademischen Ebene bei extern geförderten Projekten nur befristet beschäftigt. Laut Regierungsprogramm sollen diese Befristungen verboten werden. Der Protest gegen diese Pläne ist in allen Rektoraten heftig. Ist die Forderung nach stabileren Arbeitsbedingungen ungerechtfertigt?
Sie ist verständlich. Sie geht aber an der Uni-Wirklichkeit vorbei. Wenn unsere Forschenden für ein Projekt Drittmittel erhalten, holen sie sich PhDs und Postdocs zur Unterstützung. Wenn es unglücklicherweise kein Folgeprojekt gibt, ist es leider unumgänglich, dass man sich wieder trennt. Und das muss möglich sein. Bei unbefristeten Dienstverträgen ist dies an einer Universität so gut wie nicht erlaubt. Das Wissenschaftssystem lebt von Fluktuation. Auch die nächste Generation braucht die Chance auf eine Post-Doc-Stelle.
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